EU-Afrika-Gipfel

Gelassene Europäer lassen Gaddafi ins Leere reden

Ausland
30.11.2010 22:59
Keine Frage, wem das zweitägige EU-Afrika-Gipfeltreffen gehörte, das am Dienstag zu Ende ging: Der Gastgeber war einfach überall - und überlebensgroß war er auch. Bereits am Flughafen von Tripolis prangte auf dem allerersten Plakat Muammar al-Gaddafi, diesmal noch im Straßenanzug. In der Innenstadt grüßte Libyens Revolutionsführer dann mit Umhang oder auch in Uniform von den Häuserwänden. Platz für die rund 80 Gäste des 3. euro-afrikanischen Gipfels war kaum - doch die europäischen Vertreter konterten mit betonter Gelassenheit.

Im neu erbauten Tagungszentrum setzte sich dann das Bild fort. Im Beratungssaal, wo mit 27 Staaten aus Europa und 54 Ländern aus Afrika fast die halbe Welt versammelt ist, beherrschte Gaddafi - diesmal in echt - ebenfalls das Rund. Nicht nur, weil ihm als einzigem die alphabetische Sitzordnung egal sein durfte, der bereits seit 41 Jahren amtierende Staatschef legte auch einen erinnerungswürdigen Auftritt hin.

Gleich zu Beginn Drohungen und Tiraden
Gaddafi beließ es nicht dabei, gleich zum Beginn des Gipfels von der EU fünf Milliarden Euro pro Jahr zu verlangen, um Flüchtlingsströme über das Mittelmeer zu verhindern. Ansonsten, so drohte er, werde der "weiße, christliche Kontinent" eben "schwarz". Afrika sei eine demografische Bombe, die Maghreb-Länder müssten im Auftrag Europas den Polizisten spielen. In seiner einstündigen Rede überzog er die Gäste auch mit Schimpftiraden. Trotzdem ging niemand protestierend aus dem Saal, die Europäer ließen Gaddafi über sich ergehen. Keiner antwortete, man ließ ihn ins Leere reden.

Auf diese Taktik hatten sich die Europäer schon im Vorfeld verständigt. Schließlich war klar, dass Gaddafi die Mega-Konferenz im eigenen Land zum ganz großen Auftritt nutzen wollte. Vielen in der EU ist die neue Partnerschaft zu dem Diktator, der jahrzehntelang geschnitten wurde, noch unangenehm. Aber man ist auf ihn angewiesen.

Erst im Oktober unterzeichnete die EU mit Gaddafi eine Vereinbarung über "Migrationskooperation": 50 Millionen Euro für Maßnahmen in Libyen - unter anderem für eine strengere Grenzkontrolle oder für eine bessere Versorgung der vielen illegalen Flüchtlinge. Geschätzt wird, dass jedes Jahr bis zu zwei Millionen Afrikaner versuchen, über Libyen nach Europa zu kommen. Über ein Land, das keine Asylverfahren kennt, die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterschrieben hat und das UN-Flüchtlingskommissariat in seiner Arbeit behindert.

Zahlreiche Polit-Spitzen wichen der Einladung aus
Das Unbehagen der Europäer drückte sich auch dadurch aus, dass in Tripolis längst nicht alle eingeladenen Staats- oder Regierungschefs dabei waren. Italiens Premier Silvio Berlusconi zwar, der größte Gaddafi-Fürsprecher innerhalb der EU, oder auch Spaniens Regierungschef José Luis Zapatero. Aber die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Beispiel ließ sich von ihrem Vize Guido Westerwelle vertreten.

Der deutsche Außenminister reihte sich am Dienstag ein in die Schar der Redner, die Gaddafis Auftritt vom Vortag völlig ignorierten. Westerwelle zog es vor, vom bevorstehenden Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudan zu sprechen und darüber, dass Afrika endlich einen Ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat bekommen sollte. "Uns geht es darum, dass wir Afrika als einen Kontinent betrachten, in dem wir uns rechtzeitig und mit langem Atem engagieren."

Österreichs Außenminister Michael Spindelegger wiederum plädierte in seiner Rede für eine Vertiefung der Energiepartnerschaft zwischen Europa und den afrikanischen Staaten: Nachhaltige Energielösungen seien das Kernstück für erfolgreiche Armutsbekämpfung und "grünes Wirtschaften". "Wir werden die Kontakte, die wir mit der afrikanischen Energie-Szene knüpften, weiterführen und bei der Umsetzung konkreter Projekte vertiefen", sagte Spindelegger.

Am Rande des Gipfels kam keine längere Unterhaltung der europäischen Politiker mit dem Revolutionsführer zustande. So tauschten Westerwelle und Gaddafi auf dem Flur zwar kurz einige Höflichkeiten aus, beim Abendbankett im ersten  Stock des Konferenzzentrums - mit Salat, Hammel und Frucht-Cocktail, aber ohne Alkohol - saßen sie jedoch schon wieder weit voneinander entfernt.

Hoffen auf den Anfang vom Ende der Gaddafi-Ära
Das passte der deutschen Delegation auch ins Konzept. Lieber geht man davon aus, dass die Ära Gaddafi sich langsam dem Ende zuneigt und andere in Afrika an Einfluss gewinnen - Südafrika zum Beispiel, Nigeria oder der Senegal. Der Gipfel könnte dann für den libyschen Exzentriker bereits einer der letzten wichtigeren internationalen Auftritte gewesen sein. Oder, wie einer hoffnungsvoll formulierte: "Das war die letzte große Messe, die gelesen wurde."

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