Psyche und Corona:

Die Krise macht uns sensibler – bleiben wir so!

Österreich
13.11.2020 19:02

Wer vor ein paar Jahren noch öffentlich zugab, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, riskierte, als Spinner abgestempelt zu werden. Therapie sei etwas für Verrückte, man solle sich nicht so anstellen, man müsse bloß raus an die frische Luft oder die Dinge positiver betrachten, so die Vorurteile und Binsenweisheiten, die in unserer Gesellschaft herumschwirrten. Dann kam Corona.

Plötzlich setzt sich unser Land in einem noch nie dagewesenen Ausmaß öffentlich mit psychischer Gesundheit auseinander. Die Stadt Wien richtet einen psychosozialen Krisenstab ein. Der Gesundheitsminister beruft runde Tische zu psychischen Erkrankungen ein. Er lässt Menschen mit persönlicher Erfahrung zu Wort kommen. Und er verspricht: Bis 2024 soll der Bedarf an Psychotherapie in Österreich vollständig durch die Krankenkassen gedeckt werden. Von einer „Gleichstellung mit der Behandlung körperlicher Erkrankungen“ spricht er in Aussendungen.

Zugegebenermaßen steht diese Bedarfsdeckung im türkis-grünen Regierungsprogramm aus der Zeit vor Corona bereits festgeschrieben. Das ist erwähnenswert, kommt die Wortfolge „psychische Gesundheit“ im türkis-blauen Programm von vor drei Jahren doch kein einziges Mal vor. Aber wer weiß, ob das Thema ohne den substanziellen psychischen Druck, der Corona bei vielen Österreicherinnen und Österreichern ausgelöst hat, nicht in Vergessenheit geraten wäre.

In der Popkultur ist das Thema ebenfalls längst angekommen - der Kosmetikriese Maybelline New York bekämpft mit seinem Programm „Brave Together“ die Stigmatisierung von Depressionen und Angststörungen. Bis zu einem Drittel der Bevölkerung leidet im Laufe des Lebens mindestens einmal an einer solchen. Das Supermodel Gisele Bündchen ruft gemeinsam mit der App "InsightTimer" zur Meditation und zu mehr Achtsamkeit auf. Im Freundes- und Bekanntenkreis wird plötzlich offen gesprochen. Über Einsamkeit, Bedrückung, Überforderung, Burn-out. Und darüber, wo es Hilfe gibt. Auch die Wissenschaft hatte dieses Jahr allen Anlass, sich mehr mit unserer psychischen Gesundheit zu befassen.

Und psychische Gesundheit ist nicht das einzige „weiche“ Thema, das plötzlich im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Das Frauenbudget steigt weiter, der Schwerpunkt liegt auf Gewaltschutz.

Ende November lädt Frauenministerin Susanne Raab zu einem Gewaltschutzgipfel, Schwerpunktsetzungen sind unter anderem sexuelle und traditionsbedingte Gewalt.

Die Frauenhäuser rücken als Schutzeinrichtung ins öffentliche Bewusstsein. Eindrücklich wird klar, dass das „Zuhause“, in dem wir dieses Jahr aufgerufen waren, möglichst zu bleiben, nicht für alle Kinder ein sicherer Ort ist. Auch die Bundesländer schärfen bei der Sensibilisierung nach, etwa die Fachstelle für Gewaltprävention in Niederösterreich. Und die Regierung erkennt mit ihrem Paket gegen Hass im Netz an, dass Dinge, die sich im virtuellen Raum abspielen, sehr reale Folgen haben können. 

Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer weiß, wovon sie spricht - sie war wohl eines der prominentesten österreichischen Opfer von Hass im Netz.

Das soll nicht heißen, dass alles gut ist. Von einer Bedarfsdeckung bei der Psychotherapie sind wir aktuell weit entfernt. Es fehlt nach wie vor akut an Fachkräften in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Jede fünfte Frau ist nach wie vor Gewalt ausgesetzt, von der Dunkelziffer gar nicht zu sprechen. Aber zumindest reden wir jetzt darüber, sparen uns die Vorurteile und die Tabuisierung, sehen hin, wo es auf den ersten Blick nichts zu sehen gibt. Damit sollten wir auch nach der Krise nicht aufhören.

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