Tragödien miterlebt

Polizist: „Über Tod zu reden, macht ihn einfacher“

Wien
01.11.2020 06:00

Vor Allerheiligen spricht ein Polizist, der von Berufs wegen immer wieder mit dem Sterben konfrontiert ist, über Lebensdramen. Und darüber, wie er versucht, diese Tragödien zu bewältigen.

Die Besonnenheit; die Stärke, die er ausstrahlt; seine Stimme, sanft und kräftig zugleich – Peter Aichinger scheint das Beispiel eines „Paradepolizisten“ zu sein. Der Werdegang des 58-Jährigen: „Mit 18 fing meine Ausbildung an“, erzählt er. Nach eineinhalb Jahren Schule begann er, in einem Wachzimmer zu arbeiten; in der Folge machte er Streifendienste und nebenbei Kurse, die ihn die Karriereleiter hinauf klettern ließen. Jetzt ist er Chefinspektor und Kommandant einer Inspektion in Wien-Hietzing.

„Der Tod gehört leider zum Leben“
„Warum wollen Sie mich interviewen?“, fragt Peter Aichinger. Weil wir – kurz vor Allerheiligen – wissen wollen, wie ein Mensch, der von Berufs wegen ständig mit dem Tod konfrontiert ist, damit umgeht „Der Tod gehört zum Leben, aber er ist nichts Schönes.“ Und nein, nie werde er es als „normal“ empfinden, ihm zu begegnen; auch wenn er schon unzählige Leichen gesehen hat.

„Der erste Tote, den ich sah, war ein Freund“
Wann, wie war „das erste Mal“? „Grauenhaft. Ich bin gerade erst ein paar Monate Polizist gewesen.“ Aichinger wurde damals zu einem Motorradunfall gerufen. Das Opfer: Ein junger Mann, „er war im selben Gemeindebau wie ich aufgewachsen – ein Freund aus Kindheitstagen.“ Der Schock groß, „das Geschehene schwierig zu verkraften“.

Und „das alles“ letztlich vielleicht der Grund dafür, warum er – wie mittlerweile weitere 80 Polizisten in Österreich – zu einem „Peer-Supporter“ wurde. Sich psychologisch schulen ließ, um Kollegen, die im Job fürchterlichen Dingen ausgesetzt waren, beistehen zu können: „Indem ich ihnen zuhöre und mit ihnen rede.“ Zu reden über Dramen, „über schreckliche Bilder, die nicht aus dem Kopf gehen“, sei nämlich sehr wichtig, „weil dadurch Ventile geöffnet werden.“

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Unsere Beamten geraten im Dienst oft in grauenhafte Situationen. Dann ist’s wichtig, dass sie psychologische Hilfe in Anspruch nehmen können.

Manfred Reinthaler von der LPD Wien

„Ja, es gibt schlimme Erinnerungen“
Wer hilft Peter Aichinger, wenn er selbst an die Grenzen des Ertragbaren stößt? „Ich spreche mit Kollegen, mit meiner Frau und meiner Tochter; und – mitunter – mit Psychologen vom BMI.“ Wann war das für ihn notwendig? 2013, nach der „Gräueltat vom Annaberg“, bei der ein Sanitäter und drei Polizisten erschossen wurden: „Einen von ihnen hatte ich seit Langem gekannt, ich war am Tatort; ich habe seinen Angehörigen die Todesnachricht überbracht.“ Erlebnisse, die den Chefinspektor bis heute beschäftigen. Während er darüber berichtet, füllen sich seine Augen mit Tränen. „Ja, es gibt sie, diese schlimmen Erinnerungen.“

Und es gibt diese Einsätze, immer wieder, die besonders an die Substanz gehen: „Wenn ein Baby an plötzlichem Kindstod stirbt und seine verzweifelten Eltern vor mir stehen.“ Oder wenn Verwandten eines Verstorbenen „die schreckliche Wahrheit“ mitgeteilt werden muss: „Meine Kollegen und ich bereiten uns auf die Situationen vor. Nicht selten ziehen wir schon im Vorfeld Sanitäter und die Akutbetreuung Wien bei.“

Die Begegnungen mit Menschen, die gerade entsetzliche Schicksalsschläge erlitten haben - „laufen nicht nach einem einheitlichen Muster ab“. Und mitunter sei es eben so, „dass ich mit den Betroffenen bloß mitweine“. Allerheiligen hat für Peter Aichinger kaum Bedeutung: „Jemandem, der mir nahe stand, zu gedenken und auf dem Friedhof zu besuchen - dazu braucht es keinen Anlass.“

Ob er an ein Jenseits und ein „Dasein danach“ glaubt? „Eher nicht. Doch eines weiß ich: Sollte ich noch einmal auf die Welt kommen, dann will ich ein Hund sein. Bei einem Herrl wie mir. Denn meine beiden Landseer haben ein herrliches Leben. Und das Gute ist: Sie wissen nicht, dass sie irgendwann sterben werden“.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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