Filzmaier analysiert

ÖVP: Volksnähe oder Arroganz der Macht?

Politik
30.08.2020 16:00

In den Sommergesprächen im ORF ist Sebastian Kurz am Montag der fünfte und letzte Gast. Er beschließt den Reigen der Chefs aller Parlamentsparteien. Schauen wir uns in der „Krone“-Serie also die Situation der ÖVP an. Nein, wir sprechen (fast) nicht über die freitägliche Kanzlerrede, die ein paar Tage vorher angekündigt wurde und - geht es nach Sebastian Kurz - die Inhalte für seinen Auftritt im ORF vorgeben soll.

Die Rede nochmals anzusprechen, wäre ein Tappen in die Kommunikationsfalle der ÖVP. Diese wirft in der Regierung immer geschickt Themenbälle mit Zukunftsversprechen in die Luft, um den Ball in Wiederholungen solcher Überschriften ständig selbst aufzugreifen.

Kritische Bilanzen in der Gegenwart und von früheren Kurzaussagen des Typs „Jeder wird jemand kennen, der am Coronavirus verstorben ist!“ mag man weniger. Doch in der Bevölkerung kommt die strategische Kommunikation gut an. Die ÖVP hat die vorjährige Wahl gewonnen und lag seitdem in Umfragen zwischenzeitlich sogar so gut wie in 50 Jahren nicht. Ist also alles Friede, Freude, Eierkuchen? Nein.

Alle Wahlerfolge von Sebastian Kurz beruhen darauf, dass ihm Hunderttausende Ex-Wähler der FPÖ in Scharen zugelaufen sind. Die muss er um jeden Preis halten. Dafür nimmt er in Kauf, dass ein Teil der bürgerlich-liberalen Österreicher sich häufiger von der ÖVP abwendet und vermehrt - das beweisen Wählerstromanalysen - zu den NEOS oder Grünen geht.

Weil ehemalige Blauwähler in der Zuwanderung die Wurzel vielen Übels sehen, verknüpft die ÖVP raffiniert alles ein bisschen arg einseitig damit. Soeben etwa nach dem Anschlag auf die Grazer Synagoge beim islamischen Antisemitismus. Der ist wirklich ein großes Problem. Doch Studien, die genauso erschütternd hohe Zahlen antisemitischer Einstellungen von Nichtmoslems in Österreich belegen, lässt die ÖVP-Ministerin halt lieber weg.

Im Coronajahr kommt für die ÖVP das Virus aus dem Ausland, Vervielfachungen von Ischgl bis Sankt Wolfgang werden ungern angesprochen. Dafür seien wir super durch die Krise gekommen. Na ja, alle Nachbarländer Österreichs weisen momentan im Verhältnis zur Einwohnerzahl geringere Infektionszahlen auf als wir.

Mangelnde Transparenz
Anhänger der ÖVP meinten übrigens gemäß einer Studie der Universität Wien zumindest im April - nach der ersten Coronawelle - zu fast zwei Drittel, dass Opposition und Medien sich gefälligst mit kritischen Worten zurückhalten sollen. Vielleicht hat das in Verbindung mit den Wahlerfolgen unter Regierungsmitgliedern und Funktionären der Partei zu einer gewissen Arroganz der Macht geführt. Was sich einerseits in der mangelnden Transparenz für staatliche Auftragsvergaben und Postenbesetzungen zeigt.

Andererseits hat Angela Merkel um Kritik als Herzstück der Demokratie gebeten und sich für Fehler entschuldigt. Das ist Sebastian Kurz und türkisen Ministern fremd. Man gibt sich mehr als unfehlbare Heilsbringer, Andersdenkende sind da Störenfriede. Erst seit das Verfassungsgericht zentrale Coronaregeln aufhob, kanzelt Kurz Kritiker nicht als „juristisch spitzfindig“ ab. Nun will das Kanzleramt in einem „Philosophicum“ politische Entwicklungen diskutieren. Nach konkreter Fehleranalyse klingt das nicht.

Steigende ÖVP-Skepsis in den Städten
Die Folge ist eine steigende ÖVP-Skepsis in Städten. Nur dort. Je mehr ländlicher Raum, desto mehr ÖVP. Würden nur Leute am Land wählen, wäre die Partei nahe der absoluten Mehrheit mit einer Alleinregierung ohne Koalitionspartner gewesen. Umgekehrt ist innerstädtisch bloß ein Viertel der Österreicher für die ÖVP. In bundesweiten Wahlkämpfen ist das egal, weil sich die Rechnung unter dem Strich ausgeht. Gesellschaftlich ist so eine Polarisierung heikel.

Dumm gelaufen in diesem Zusammenhang für die ÖVP, dass die nächste Wahl am 11. Oktober in Wien stattfindet. Da ist man schwach. Bei der Nationalratswahl 2019 war die Bundeshauptstadt das schlechteste Bundesland. In Niederösterreich etwa gab es fast doppelt so viele Stimmen. Nur etwa jeder zehnte Wähler der ÖVP war aus Wien. Auch Sebastian Kurz - ein Meidlinger, der gerne als halber Waldviertler auftritt - ist hier weniger beliebt als anderswo.

Der Kurz‘sche Stellvertreter als Wiener Spitzenkandidat heißt Gernot Blümel und ist Finanzminister. Als großartiger Stimmenbringer gilt er nicht, doch hilft ihm die jämmerliche Ausgangslage. Als 2015 letztmals der Landtag und Gemeinderat in Wien gewählt wurden, verzeichnete die ÖVP einen historischen Tiefstand. Also kann man nur deutlich zulegen.

Was auch für Sebastian Kurz wichtig ist: Seine parteiinterne Erzählung lautet: „Mit mir gewinnt ihr Wahlen, während wir vorher ständig verloren haben!“ Da ist er zum Dauererfolg verdammt, weil die ÖVP mit ihren Teilorganisationen selbst bei ihm sonst zu deren früheren Volkssport zurückkehren könnte: Den Bundesparteichef entmachten und absägen.

Peter Filzmaier, Kronen Zeitung

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