Vater steht zu ihr

Fünf Jahre Haft für Mädel (15) wegen Mordes an Mutter

Wien
15.09.2010 17:13
Jenes Mädchen, das am 13. April 2010 in Margareten die eigene Mutter erstochen hat, ist am Mittwoch wegen Mordes zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Die Geschworenen am Straflandesgericht Wien sprachen die zierliche Angeklagte einstimmig schuldig. Nach der Verhandlung trat ihr Vater zu ihr, streichelte ihr den Rücken und flüsterte ihr ein paar Sätze ins Ohr. Er werde sich "weiter um sie kümmern", hatte der 44-jährige Witwer in seiner Zeugeneinvernahme angekündigt. Schon bisher hat er seine Tochter regelmäßig im Gefängnis besucht.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Verteidiger Ernst Schillhammer (li. im Bild) verzichtete auf Rechtsmittel. Für die Staatsanwaltschaft Wien ist das Strafmaß nicht genug. Die Anklagebehörde hat daher am Donnerstag Strafberufung gegen das Urteil angemeldet.

Als Höchststrafe sieht das Jugendstrafgesetz übrigens zehn Jahre Haft vor. Das Mädchen wird nun "möglichst rasch" ins Frauengefängnis Schwarzau am Steinfeld (NÖ) verlegt, wie Richterin Beate Matschnig ankündigte. Die 15-Jährige machte bei der Urteilsverkündung einen äußerlich gefassten Eindruck.

Psychiater erklärte Angeklagte für zurechnungsfähig
Der Prozess war für zwei Tage anberaumt, angesichts des vollständig geklärten Tathergangs bedurfte es dann aber offenbar doch nur eines Verhandlungstages. In Handschellen in den Gerichtssaal gebracht, wirkte die zierliche 15-Jährige zu Beginn des Prozesses auf den ersten Blick keineswegs wie eine kaltblütige Mörderin, als die sie Anklageschrift beschrieb. Während der Ausführungen des Staatsanwalts und des Verteidigers schluchzte das ganz in weiß gekleidete Mädchen in ein Taschentuch.

Laut dem Gutachten des Kinderpsychiaters Werner Gerstl war die zum Tatzeitpunkt 14-Jährige infolge der ständigen Streitereien mit ihrer Mutter, der 37-jährigen Svetlana D., "zermürbt", was "zur Verformung und Zerstörung der kindlichen Bedeutung und Existenzerkenntnis führte". Aggression sei aber "kein Charakterbestandteil ihrer Persönlichkeit. Sie ist kein aggressiver, losstürmender Typ", stellte Gerstl fest. Viel eher sei sie in ihrer Kindheit "emotional mangelversorgt" worden. "Eigentlich hätte man mit der ganzen Familie eine Familienberatung machen müssen." Zurechnungsfähigkeit war bei dem Mädchen jedoch gegeben, "aber ihre Willensfreiheit war auf 60 bis 80 Prozent eingeschränkt", meinte Gerstl. Grundsätzlich habe die Angeklagte "gewusst, dass sie jetzt die Mutter ersticht und dass es nicht recht ist, was sie macht".

Tötungsphantasien über Mutter und Bruder im Internet
Der Bluttat waren jahrelange Streitereien zwischen der Mutter und ihrer Tochter vorausgegangen. "Mit zehn hat das alles begonnen", schilderte die Angeklagte dem Schwurgericht. Ihre Mutter habe sie immer wieder beschimpft, auch geschlagen. Sie habe zurückgeschlagen und sich ausgemalt, mit einem Messer auf die Mutter loszugehen, "seitdem sie mich immer gehaut hat".

Ihren Tötungsfantasien ließ die Hauptschülerin auch im Internet freien Lauf, wo sie einen Blog schrieb. Entsprechende Einträge über die Mutter waren dort schon im November 2008 zu lesen. Im November 2009 erklärte die damals 14-Jährige, es wäre "eigentlich besser, sie umzubringen". Es sei "eigentlich schade, dass ich kein Messer genommen und ihr den Hals aufgeschlitzt habe". Auch über ihren um zwei Jahre jüngeren Bruder ließ sie sich im Internet aus, während sie den wenigen Freundinnen, die das in der Schule ungeliebte und oft verspottete Mädchen hatte, nichts von ihren familiären Problemen erzählte. In ihrem Blog malte sie sich dafür aus, wie sie auf den Zwölfjährigen losging.

"Ich wollte mich nur abreagieren. Ich habe gedacht, ich würde es nicht tun", nahm das Mädchen zu ihren Blogeinträgen vor Gericht Stellung, wobei sie sich während ihrer Einvernahme - absichtlich oder unbewusst - die langen Haare ins Gesicht hängen ließ, sodass sie dahinter zu verschwinden schien. Ihre recht große Brille hatte zusätzlich eine Schutzfunktion gegenüber den Blicken der seitlich von ihr sitzenden, nur rund zwei Meter entfernten Geschworenen. Zu den Einträgen über ihren Bruder meinte die 15-Jährige: "Ich hasste meinen Bruder nicht. Aber ich hasste es, wenn meine Mama meinen Bruder lieber mochte." Diese habe ihn bevorzugt. Sie sei eifersüchtig gewesen, weil die Mutter zu ihm "lieb" war.

"Sie nannte mich Schlampe"
Am 13. April kam es einmal mehr zu einem Streit. Die 37-jährige Svetlana D. verlangte, ihre Tochter möge entweder den Fernseher oder ihren Laptop abschalten. Dass beide Geräte gleichzeitig in Betrieb waren, hatte schon oftmals für Reibereien und tätliche Auseinandersetzungen gesorgt. "Ich habe aber nicht auf sie reagiert. Dann kam sie zu mir und schlagte mich und nannte mich Schlampe. Dann ging sie auf die Toilette", schilderte das Mädchen in etwas geknicktem Deutsch den weiteren Ablauf.

Die damals 14-Jährige holte sich aus der Küche ein Messer mit einer Klingenlänge von zwölf Zentimetern: "Ich war wütend auf die Mama." Als sie berichtete, wie sie der Mutter ins Bad folgte und siebenmal auf die Frau, die ihr den Rücken zugekehrt hatte, einstach, weinte die Angeklagte und schnäuzte sich in das Taschentuch. Als Svetlana D. leblos in ihrem Blut lag, "machte ich die Tür zu. Ich nahm andere Klamotten. Ich nahm den Schlüssel und das Handy und rannte dann weg."  Zuvor hatte die Tochter die Badezimmertür von außen abgesperrt, "weil ich nicht wollte, dass sie herauskommen kann", wie sie dazu unmittelbar nach ihrer Festnahme erklärt hatte.

"Ich wusste nicht, was ich tue"
Die Handschellen klickten für die äußerlich äußerst kindlich wirkende Schülerin, als sie mit ihrem Mobiltelefon den Vater anrief und so gepeilt werden konnte. Das Mädchen wurde in einem Park unweit vom Tatort in Margareten aufgegriffen. "Ich wollte sie nicht töten. Ich wusste nicht, was ich tue", versicherte sie am Ende ihrer Einvernahme mehrfach. Auf Befragen des Verteidigers Ernst Schillhammer, was sie sich am liebsten wünsche, sagte sie: "Dass es ruhig ist und wir uns vertragen." Am Ende ihrer Einvernahme erzählte das Mädchen von Selbstmordgedanken: "Ich wollte aus dem Fenster springen oder vor ein Auto." Sie habe sich irgendwann mit einem Messer oberflächlich an den Armen verletzt, weil ihr Leben "so scheiße" gewesen sei. Auch in ihrem Blog fanden sich dahingehende Äußerungen: "Was ich mir wünsche? Dass ich verrecke."

Anklage sah Tötungsabsicht
Staatsanwalt Christian Mayer glaubte hingegen, das Mädchen habe in "Tötungsabsicht mehrere Male auf ihre Mutter eingestochen". Die Beteuerung, sie habe ihre Mutter mit den Messerstichen nicht töten wollen, glaubte er der 15-Jährigen nicht, sondern wertet sie in der Anklageschrift als "Schutzbehauptung".

Die Angaben wären "mit der Heftigkeit des Angriffs nicht in Einklang zu bringen". Der Gerichtsmediziner zählte am Körper der toten 37-Jährigen insgesamt sechs Stichverletzungen: drei im Rücken, eine im Hinterkopf, eine im Oberarm und schließlich eine in der Brust. Ein Stich, der die Lunge und die Hauptschlagader verletzte, führte zum Verbluten. Dieser Angriff wurde derart heftig ausgeführt, dass laut Anklage die Klinge brach und in der Brust stecken blieb. Die Mutter dürfte laut dem Gerichtsmediziner von dem Angriff völlig überrascht worden sein. Der Sachverständige konnte keine an sich typischen Abwehrverletzungen an Armen oder Händen feststellen.

Staatsanwalt: "Mitinsassen in den Wahnsinn getrieben"
Mayer äußerte auch im Hinblick auf das Verhalten der 15-Jährigen im Jugendtrakt des Landesgerichtlichen Gefangenenhauses Zweifel an ihrer angeblich nicht aggressiven, ruhigen und introvertierten Art: "Sie probiert im Haftraum zu bestimmen, was zu geschehen hat. Wir haben sie noch aus jeder Zelle verlegen müssen. Es muss nach ihrem Kopf gehen. Wenn das nicht passiert, hat sie anderen das Leben zur Hölle gemacht." Weil es mit anderen Jugendlichen offenbar nicht funktionierte, sei die 15-Jährige mit ihrer Zustimmung schließlich in eine Zelle mit einer erwachsenen Gefangenen gekommen. "Selbst die hat sie in den Wahnsinn getrieben", erklärte der Ankläger.

Familienleben als "Verdüsterungsprozess"
Der Vaters der 15-Jährigen schilderte im Zeugenstand das Familienleben als zusehenden "Verdüsterungsprozess". "Zehn Jahre lang haben wir eine sehr gute Ehe geführt. Wir waren eine normale, glückliche Familie", legte der Vater dar. Dann habe sich Svetlana - wie er ursprünglich aus Tschechien stammend - verändert. Während er zur Arbeit ging, habe sich seine Frau nicht selbst verwirklichen können. Ihre schlechten Deutschkenntnhabe dazu geführt, "dass sie geglaubt hat, nur sie kann das richtig machen. Wohl deshalb habe seine Tochter im Haushalt nicht mitgeholfen, vermutete der 44-Jährige. Seine Frau habe ihren Frust auf das Mädchen abgeladen: "Meine Frau hat sehr oft gesagt, dass sie die [Vorname des Mädchens] hasst." Es sei auch in seiner Gegenwart öfters zu Tätlichkeiten gekommen, wobei diese ausschließlich von seiner Frau ausgingen, behauptete der Witwer: "Ich hab' es geschlichtet. Es ist mir fast immer gelungen."

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