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KW 17 – die wichtigsten Neuerscheinungen der Woche

Musik
25.04.2020 06:00

Musik als Lebenselixier - besonders für das Wochenende, wo man hoffentlich auch Zeit dafür hat. Wir haben für euch wieder die besten Alben und Veröffentlichungen der Woche zusammengesammelt. Quer durch alle Genres ist hier garantiert für jeden was dabei. Viel Spaß dabei!

(Bild: kmm)

BC Camplight - Shortly After Takeoff
Brian Christinzio hat es in seinem Leben nicht immer leicht gehabt. Schwerwiegende Alkoholprobleme, wiederkehrende Depressionen, Deportation des Amerikaners aus seiner Wahlheimat Manchester. Umso beeindruckender ist es, dass der Ende Mai 40 werdende Künstler eine ganze Albumtrilogie seiner inneren Abgründe geformt hat. „Shortly After Takeoff“ ist nach „How To Die In The North“ (2015) und „Deportation Blues“ (2018) auch schon der Abschluss und dazu noch das bislang eklektischste Werk. In einer fast schon schmerzenden Klarheit und Authentizität referiert BC Camplight über seine Schwächen und Schmerzen und verpackt dies in Synthie-umwobenen Art-Pop, der auch gerne mal in die Disco-Beatlastigkeit ausschert. Zu Beginn von „Ghosthunting“ gibt es sogar eine Stand-Up-Comedian-Einlage zum Tod seines Vaters. Harte Ironie, harter Tobak. 7/10 Kronen

Brendan Benson - Dear Life
In seiner Stammband The Raconteurs ist der im November auch schon 50 werdende Brendan Benson der „Beatle“ mit dem Gespür für die sanften Melodien, während Partner Jack White eher den „Rolling Stone“ gibt. Auf seinen Solowerken (veröffentlicht hier auf White’s Label Third Man Records) hat der in Nashville wohnhafte Benson jedenfalls mehr Freiheiten, sich musikalisch auf wilde Pfade zu begeben. Sieben Jahre nach seinem letzten Solo-Output hatte Benson offenbar Lust auf größtmögliche Vielseitigkeit. Klingt der Titeltrack noch am ehesten nach seiner Beatles-Liebe, verwandelt sich „Good To Be Alive“ von einer Pianoballade zu einem Disco-Stampfer, lässt in „Freak Out“ den 70er-Pop von den Ketten und baut in „Evil Eyes“ sogar kompositorische Dunkelheit ein. In nur etwas mehr als einer halben Stunde entführt er den Hörer in eine variable Reise zeitloser Klänge. Ist kurzweilig und macht großen Spaß. 8,5/10 Kronen

Buffalo Summer - Desolation Blue
Josefundmaria. Wenn schon in den ersten Presseinfozeilen Vergleiche mit Bands wie Led Zeppelin, Whitesnake, Free oder den Black Crowes gezogen werden, dann ist natürlich äußerste Vorsicht geboten. Buffalo Summer sind vier junge Burschen aus dem Süden von Wales im Herzen Großbritanniens und haben sich ganz grob dem US-Southern-Rock verschrieben. Grob deshalb, weil die kitschige Melodielastigkeit und das Pathos in Songs wie „Last To Know“ fast unerträglich hoch sind und das Karies im Gebiss anschwellen lassen. Das mittlerweile dritte Album krankt im Prinzip an den Problemen der Vorgänger. Man versucht sich zu sehr im Fahrwasser der eigenen Helden zu suhlen und findet dabei keine eigene Identität und - der Kardinalsfehler - es gibt nun einmal keine Songs, die sich nach dem Durchhören nicht so sofort aus den Gehörgängen entfernen. Ausladende Soli und Mut zur Überlänge wie auf „Dark Valentine“ sollten sich die Burschen öfter zugestehen - zu Lasten der prüden Konformität. 5,5/10 Kronen

Cavetown - Sleepyhead
Macht man eigentlich noch Indie-Pop, wenn man auf einem Majorlabel veröffentlicht? Diese Frage muss sich auch das 21-jährige YouTube- und Spotify-Wunder Robert Skinner aka Cavetown stellen, der nach veritablen Netzerfolgen nun endlich seinen großen Vertrag bekam. So ist „Sleepyhead“ trotz seiner Jugend eigentlich schon das vierte Album, aber das erste, das nun auch global für Furore sorgen sollte. „Bedroom-Pop“ trifft es als Zuschreibung wohl besser, denn der Rotschopf aus der Universitätsstadt Oxford schraubt am liebsten Zuhause an seinen Tracks und scheint mittlerweile ordentlich Budget für eine adäquate Produktion aufgetrieben zu haben. Die oft mit Ukulele oder sanfter Akustikgitarre vorgetragenen Songs erinnern an „American Pie“-Soundtracks und sind wohl die perfekte Untermalung für die Generation Netflix. Skinner wäre nur zu gerne Weezer oder Nirvana (etwa beim abgekupferten „Come As You Are“-Riff bei „Feb 14“), ist aber am Ende des Tages doch nur einer der vielen Teenager, die beim groß aufgeteilten Teenie-Pop-Kuchen mitnaschen wollen. Nett und ruhig, aber auch ziemlich substanzlos. 5,5/10 Kronen

Ian Chang - Belonging
Son Lux ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Nerd-Band. Wenn Frontmann Ryan Lott seit mittlerweile zwölf Jahren elektronische Experimente mit Post-Rock und Ambient verformt, dann hat das mehr Genialität als Sex, doch die technischen Fertigkeiten der Mitglieder sind unbestritten. Das gilt freilich auch für den in Hongkong geborenen Drummer Ian Chang, der mit seinem Rhythmusgefühl einen erklecklichen Teil des Indie-Undergrounderfolgs der Band ausmacht. Unter dem Banner „Belonging“ veröffentlicht er jetzt sein zweites Soloalbum und sucht dabei wieder nach neuen Wegen in der elektronischen Drum-Musik. Der erst kürzlich von New York nach Dallas verzogene Vollblutinstrumentalist entführt dabei gerne in träumerische Klangsphären und lässt nur ganz selten grazile Frauenstimmen in seinen Kosmos, die aber gar nicht sein müssten. Kopfhörer sind hier Pflicht! 6,5/10 Kronen

Cirith Ungol - Forever Black
Die stilecht nach JRR Tolkiens „Herr der Ringe“ benannten Cirith Ungol sind für Heavy-Metal-Fans so etwas wie der heilige Gral der Szene. Bereits 1972 gegründet veröffentlichten die Kalifornier in den 80ern drei Alben, die für immer in die Annalen der Szene eingehen werden. Mit ihrem epischen Doom Metal, in Szenekreisen gerne als „Kauz-Metal“ verschrien, prägten sie den Weg für eine Hundertschaft von Nachahmern. Anfang der 90er pulverisierte das Business die Kulttruppe, seit vier Jahren ist man wieder live unterwegs. Mit vier Altmitgliedern und Bassist Jarvis Leatherby, der federführend für dieses Sensationscomeback war, wagt man sich jetzt gar an das erste Studioalbum seit 29 Jahren. Und fürwahr: „Forever Black“ wird getreuen Fans wie Öl die Kehle runterrutschen. Tim Bakers stahlzersägendes Organ, epische Parts, fette Riffs, eine zeitgemäße Produktion und der erfüllte Vorsatz, der eigenen Vergangenheit treu zu bleiben. Well done! 8/10 Kronen

Dark Forest - Oak, Ash & Thorn
Apropos Kauz-Metal: wer auf galoppierenden Heavy Metal steht, der macht bei Dark Forest schon seit knapp zwei Dekaden nichts falsch. Die Briten sind so etwas wie die hervorstechendsten Patrioten ihres Segments, sehr stark von Iron Maiden und noch stärker von den Solowerken Bruce Dickinsons beeinflusst und würzen ihren hochmelodischen, manchmal fast schon ins Kitschige abdriftenden Heavy Metal mit allerlei Geschichts- und Sagenstunden, die Frontmann Christian Horten durch das Lesen von Büchern und durch akribisches Recherchieren mit Inbrunst weitergibt. Dieses Mal geht es um die drei Nationalbäume Englands (Eiche, Esche und Weißdorn) inspiriert von Rudyard Kiplings „Puck Of Pook’s Hill“. Doppellead-Gitarren, hochtrabende Melodien und fast schon hymnische Arrangements erfreuen vor allem die Metaller, die nicht unbedingt unbändige Härte benötigen. Technisch und spielerisch ein astreines Werk. 8/10 Kronen

Day Wave - Crush EP
Einen interessanten Ansatz wählte Musiker Jackson Phillip, als er 2015 sein Indiepop-Projekt Day Wave ins Leben rief. Er wollte eine Plattform für seine eigene Kreativität herausbilden, diese aber in der Liveumsetzung mit unterschiedlichen Musikern umsetzen. Heißt also - das Fundament der Songs obliegt dem Kalifornier, was auf der Bühne daraus wird, liegt aber nicht immer zu voller Kontrolle in seinen Händen. Die vier Songs auf seiner neuen EP „Crush“ sind von einer träumerischen Sänfte durchzogen, die einem so schön vor den inneren Augen aufleuchten, wenn man Frühlingsgefühle, blühende Bäume und lange Tage so richtig inhaliert. Eben alles, was wir in dieser Saison so sträflich vermissen, gießt der sympathische Musiker hier in schwelgerische, aber nie pathetische Töne. Inhaltlich geht Phillip auf Identitätssuche und strebt nach Unabhängigkeit. Hier ist eben alles federleicht. Ohne Bewertung

Drahthaus - Drahthaus
Schon das mit Gesichtern verzierte, gänzlich weiße Coverartwork verleitet in die stilistische Irre. Beatles, Depeche Mode, Pink Floyd, Brian Eno - irgendwie ein bisschen was von allem. Das Wiener Kollektiv Drahthaus hat akribisch, lange und mit unbändiger Leidenschaft an diesen mehr oder weniger neun neuen Tracks gearbeitet und dabei mit freudigem Wohlwollen unzählige Grenzen überschritten. Tabubruch mit Ansage sozusagen, denn das Wiener Kollektiv mit Südtiroler Einschlag rund um Mastermind Hans Zoderer will sich mitnichten der biederen Gewohnheit anheimfallen. Bei den - oft auch überlangen - Tracks setzt man voll auf eine digitale Klangwelt, die sich raum- und zeitübergreifend ausbreitet. Besonders gut gelingt das etwa im paralysierenden „Quintus“ oder dem fast schon verträumten „Skin“, das fast schon Pop-Appeal aufweist. Dazwischen mäandert die Truppe zwischen Nintendo-Sounds („Coins“) oder Jazz-Anleihen („Cles“). Das gefällt auch Elektronik-Kultstar Fennesz ausnehmend gut. 7,5/10 Kronen

Dvsn - A Muse In Her Feelings
Um den guten alten R&B war es in den letzten Jahren wahrlich nicht gut bestellt. Entweder wurde die Wärme des Sounds mit aufplusternden Rap-Parts zerschunden oder aber der Crossover-Gedanke setzte sich gar noch in anderen Genres fest. Das kanadische Duo Dvsn bringt drei Jahre nach „Morning After“ und einer bewusst eingelegten Schaffenspause wieder Feuer in das ausgerauchte Genre. Auf „A Muse In Her Feelings“ vermischt sich das zauberhafte Falsett von Daniel Daley kongenial mit den sanften Beats seines Kollegen Nineteen85. Fast schon romantisch klingen die fein arrangierten Songs, die sich nicht dafür fürchten, das Gefühlvolle an die oberste Stelle zu geben. Im Gegensatz zur Vergangenheit setzt das Duo auch auf einen Packen Gaststars. Besonders gelungen sind die Songs mit Jessie Reyez, Trap-Ikone Future und Summer Walker. Mit dieser emotionalen Konversation scheinen sich die Musiker endgültig gefunden zu haben. 8/10 Kronen

Ezra Furman - Sex Education Soundtrack
Netflix-Connaisseure wissen: „Sex Education“ ist eine der spannendsten, humorigsten und vor allem akkuratesten Teenager-Serien der letzten Jahre. Stets mit der Liebe für Außenseiter, die Realität nicht verleugnend und für sämtliche Altersgenossen identifizierbar, wird in einer nicht näher benannten Ecke Englands Liebe, Leid und Leidenschaft gepflegt. Nach zwei erfolgreichen Staffeln ist die dritte bereits in Auftrag, musikalisch gab es über die ersten Folgen hinweg auch haufenweise memorable Momente (man denke etwa an die Billy-Ocean-Verbeugung „Love Really Hurts Without You“). Niemand Geringerer als der immer noch aufstrebende Popstar Ezra Furman hat sich zudem dem Soundtrack für Staffel 2 angenommen. Passenderweise gehen die gleich 19 Songs quer durch alle Emotionen und Stimmungen und geben ein rundes Bild ab. Very well done! Ohne Bewertung

Glass Animals - Quarantine Covers Pt. 1 EP
Es ist gewiss - Nirvanas „Heart-Shaped Box“ war nicht nur ihr vielleicht bester Song kurz vor Kurt Cobains Freitod, sondern auch eine der besten melancholischen Grunge-Rock-Nummern der 90er-Jahre. Daran haben sich schon viele Künstler verhoben, Lana Del Rey war beispielsweise eine seltene Ausnahme für eine gelungene Cover-Version. In der Quarantäne-Fadesse probierte sich auch Glass-Animals-Frontmann Dave Bayley am Jahrhundertsong und verschafft ihm tatsächlich einen neuen, sehr psychedelischen Ansatz. Del Rey ist übrigens die zweite, die auf der 2-Track-EP mit „Young And Beautiful“ dran glauben muss. Der Song rutscht nicht mehr ganz so leicht die Kehle runter, lebt aber von Bayleys fragiler Stimme. Mit dieser Leidenschaft darf man sich jedenfalls auf weitere Neueinspielungen in absehbarer Zukunft freuen. Ohne Bewertung

Katatonia - City Burials
Längere Schaffenspausen waren in der Karriere von Katatonia immer wieder mal zu bemerken, doch als Jonas Renkse und Anders Nyström vor zwei Jahren ankündigten, eine nicht näher definierte Pause einzulegen, bekamen die zahlreichen Fans der Schweden Schnappatmung. Doch offenbar war die Lust am Komponieren und gemeinsamen Musizieren dann doch größer als das Bedürfnis, sich wirklich einmal für längere Zeit aus dem Spiel zu nehmen. „City Burials“ ist das Ergebnis feuereifriger Tätigkeiten Renkses, der dieses Werk quasi im Alleingang geschrieben hat. Mit seiner doomigen Ausstrahlung ist es gleichermaßen Rückbesinnung auf alte Tage als auch Verbeugung vor der jüngeren Vergangenheit. Die progressiveren Gefilde des Vorgängers „The Fall Of Hearts“ (2016) hört man nur mehr weniger Songs wie „Heart Set To Divide“ oder „City Glaciers“ an, ansonsten sind die Songs eingängiger und in gewisser Weise entschlackter geraten. Schwelgerisch, melancholisch, dunkel und in sich gekehrt. Nichts für frohgelaunte Frühlingssonnenanbeter. 7,5/10 Kronen

Dermot Kennedy - Lost In The Soft Light EP
Die Corona-bedingte Langeweile muss man auch erst einmal überbrücken, da geht es vielen Künstlern, Sportlern und Normals gleich. Die irische Goldstimme Dermot Kennedy hat sich dafür entschieden, drei Songs aus seinem famosen Debütalbum „Without Fear“ als digitale EP namens „Lost In The Soft Light“ zu veröffentlichen. Statt extensiver Live-Tour schraubt man dann eben lieber daheim an Tracks. „All My Friends“, „Outnumbered“ und „The Corner“ - allesamt Fanlieblinge - werden in neuem Gewand, aber mit seiner gewohnt beliebten rauen Stimme zum Besten gegeben. Nichts besonders Notwendiges oder Herausragendes, aber ein nettes Zeichen des Lebens in einer ohnehin von Fadesse geplagten Zeit. Ohne Bewertung

John Carroll Kirby - My Garden
Die letzten beiden Alben von Solange, dazu Harry Styles, Frank Ocean, Blood Orange oder Shabazz Palaces - wenn man sich diese Referenzen genauer zur Gemüte führt merkt man, dieser John Carroll Kirby befindet sich in durchaus elitären Kreisen. Überall dort taucht der Pianist mit den blonden Surferlocken als Ko-Produzent auf. Kirby ist also ein Paradebeispiel für den erfolgreichen Mann im Schatten, denn sein eigenes Musikerdasein ist ein wesentlich bescheideneres. Wenn er selbst Hand anlegt, dann vermengt Kirby sein Pianospiel gerne mit entrückter Elektronik und einer smoothen Grundatmosphäre. Die neun Songs plätschern dann auch gemütlich dahin, kommen aber niemals wirklich aus sich heraus, sondern fühlen sich im Lounge-/Ambient-Jazz-Bereich wohl. Angenehmes, aber auch schwer ereignisloses Werk eines versteckten Genies. 6/10 Kronen

Le Mol - White Noise Everywhere
Vier Alben alt ist das Wiener Instrumentalduo Le Mol mittlerweile. Das ist insofern beeindruckend, als das man außerhalb diverser Nischen noch nicht wirklich auf Aufmerksamkeit stieß, die jahrelange Beharrlichkeit aber trotz allem schwer zu respektieren ist. Die Loopstation ist das bevorzugte Klangkonstrukt des Duos, auch wenn man anno 2020 weit aus dem eigens gebauten Käfig ragt. Es gibt nämlich nicht nur Saxofon, Trompete und Tuba zu bestaunen, mit Hans Platzgumer hat man auf dem Track „Hands“ auch erstmals überhaupt einen Sänger mit an Bord. Diese neuen Besen kehren durchaus gut, auch wenn „White Noise Everywhere“ in seiner Detailverliebtheit und Klangvariabilität sehr viel Konzentration und Hingabe benötigt, um wirklich voll erfasst zu werden. 33 Minuten können lang sein, wenn man der Easy-Listening-Fraktion angehört, aber auch wertvoll, wenn man sich behutsam fallen lässt. It’s Your Choice. 7/10 Kronen

The Lowest Pair - The Perfect Plan
Auf dem malerischen schönen Artwork befinden sich Kendl Winter und Palmer T. Lee aka The Lowest Pair eingemummt auf einer Waldgabelung. Um sie herum gezeichnet die vier Jahreszeiten. Ein Naturschauspiel des Indie-Folk, das sich auch auf akustischem Weg fortsetzt. Auf ihrem auch schon sechsten Album knarzt das Banjo, fidelt die Gitarre und nölen sich die beiden Lebenspartner in bester Lagerfeuer-Manier durch die zehn Songs, die unbändiges Fernweh nach einem naturbelassenen USA-Roadtrip evozieren. Für das sanfte Stelldichein haben sich die beiden wieder gewaltig aus der Komfortzone gewagt. Winter reiste zu einer wissenschaftlichen Forschungsstation an die Antarktis und lief dort bei minus 36 Grad weibliche Bestzeit beim Südpol-Marathon, Lee sperrte sich in eine Berghütte in Wisconsin ein. Hier riecht man förmlich die unberührte Landschaft. 7/10 Kronen

Tom Misch & Yussef Dayes - What Kinda Music
Als der mittlerweile renommierte Vollblutmusiker Tom Misch rund um die Nullerjahre bei einer Talentshow im Südosten Londons das Drumming von Yussuf Dayes sieht, reißt es ihn sofort vom Hocker. Dayes war damals noch nicht einmal zehn Jahre alt, doch das musikalische Schicksal sorgte dafür, dass sich die beiden fast zwei Dekaden später wieder zusammenfanden. Misch ist mittlerweile einer der renommiertesten Sänger, Gitarristen und Produzenten der britischen Nu-Jazz-Szene, während Dayes als Hälfte des Duos Yussef Kamaal den UK-Jazz einem jüngeren Publikum näherbringt. „What Kinda Music“ ist die Fusion dieser beiden nur scheinbar entgegengesetzten Pole, die hier im Livegewand smoothen Jazz mit Electronica, Avantgarde und atmosphärischem Hip-Hop vermischen. Synthesizer, Streicher und lakonischer Sprechgesang existieren hier in friedlicher Koexistenz. Ein wundervolles Schmankerl, nicht nur für Kunstbeflissene. 8/10 Kronen

NUFO - Fight Your Thoughts
Steirerbluat is ka Himbeersaft - das ist auch Restösterreich allgemein bekannt. NUFO begannen ihre Karriere 1995 unter dem Namen Nuclear Fallout und haben sich in der grün-weißen Punk-Szene schnell einen Namen gemacht. Ihre Mischung aus Skatepunk und Melodycore á la schwedischen Vorbildern wie Millencolin, Adhesive oder den Satanic Surfers traf einst nicht nur den Zeitgeist, sondern wurde auch mit viel Leidenschaft durchs Land getragen. Ob Midlife-Crisis oder nicht - vor einigen Jahren haben die alten Recken mit junger Unterstützung wieder angefangen zu musizieren und als größtes Highlight sogar eine Brasilien-Tour aufgerissen. Zum 25-Jahre-Jubiläum beschenkt man sich und die treuen Fans mit der zweiten Full-Length „Fight Your Thoughts“ und lässt die Zeit angenehm stehenbleiben. Off-Beat-Drumming, flotte Riffs, Teenager-Feeling - alles was man für eine Punkrock-Party braucht. Natürlich nicht hochglanzprofessionell, aber sehr herzhaft. 6,5/10 Kronen

(0) - SkamHan
Mummenschanz ist ein blumiges und durchaus akkurates Wort in der gegenwärtigen Metalszene. Allzu oft stülpen sich anonyme Gesellen Strumpf oder Sack über das Antlitz, um möglichst mystisch, ungreifbar und gefährlich zu wirken. In Zeiten von Social Media und des ständig und allseits Greifbaren auch kein Wunder, dass man sich im dunkelsten aller Musikgenres nach ein bisschen Anonymität sehnt. Das tun auch fünf Dänen, die bislang nur ein verwackeltes Bandfoto in den Online-Orbit schossen und als (0) (ausgesprochen „Parentes 0 Parentes“) versuchen, weitere stilistische Grenzen aufzubrechen. Das Fundament ist melodischer Black Metal, der Überbau sind Post Metal, Sludge und eine Spur Ambient. Die Texte werden durchwegs in Dänisch vorgetragen und repetitive Monotonie ist der Grundpfeiler des Musikalischen. Manchmal wollen die Nordmänner ein bisschen zu viel auf einmal und überladen sich selbst mit Layern. „SkamHan“ wäscht den Kopf aber dennoch ganz ordentlich. 7/10 Kronen

Roger O’Donnell - 2 Ravens
„Roger, born next to the piano.... and never really ever moved far away from one“ - so steht es in der Social-Media-Selbstbeschreibung des umtriebigen Briten und damit hat man auch schon die wichtigste Subsummierung seines Tuns aufgeworfen. Nun ist O’Donnell Popfans vordergründig als langjähriger Keyboarder Gothic-Institution The Cure bekannt, doch auch solo ist der 64-Jährige seit Jahr und Tag umtriebig. Das Piano-Album „2 Ravens“ hat er im harschen britischen Winter eingespielt, wodurch das Werk automatisch eine besonders melancholische Klangfärbung erhält. Ursprünglich wollte O’Donnell das Werk rein instrumental gestalten, fand sich dann für ein paar Songs aber mit Goldstimme Jennifer Pague von Vita And The Woolf zusammen, die dem Ganzen auch etwas mehr Spannung und Verve verleiht. Eine sanfte Reise in verregnete Klangsphären ist das O’Donnells Sololauf allemal. 6,5/10 Kronen

Operator Burstup - CATN1P EP
Operator Burstup ist DJ, er ist eine FM4-Institutition und seit knapp 30 Jahren einer der drei Schönheitsfehler, die dem einst brachliegenden Hip-Hop auch in Österreich auf die Landkarte hievten. Operator Burstup ist aber in erster Linie grenzenüberschreitender Musikliebhaber, dessen Liebe zu Klängen, Sounds und Arrangements sich noch nie einfach haben greifen lassen. In den Wirren der Coronazeit feuert der Wiener nun eine gediegene 4-Track-EP via Bandcamp in den Orbit, die als zurückgelehntes, träumerisches Downtempo/Chill-Electronica-Vergnügen durchgeht. In zwei überlangen und zwei komprimierteren Songs „flowt“ es sanft und erhaben, in den richtigen Momenten aber dennoch druckvoll und zielsicher. Feines Musikgut für die zusätzliche Entschlackung zur Virus-Realität. Ohne Bewertung

Other Lives - For Their Love
Im Indierock-Segment sind Other Lives die vielleicht letzten wirklich unbesungenen Helden der USA. Frontmann Jesse Tabish - übrigens auch längst vergessenes Gründungsmitglied der All-American Rejects - ist nicht nur ein begnadeter Songschreiber, sondern auch ein melancholischer Sänger und vielseitiger Instrumentalist. Mit seiner Frau zog er vom Hipster-Zentrum Portland ins rurale Gebiet Cooper Mountains nach Oregon und ließ sich ganze fünf Jahre für dieses heiß ersehnte Album Zeit. Wie gewohnt würzt er seinen eleganten Indierock mit Country-, Americana- und Folk-Anleihen, wodurch sich dich Other Lives irgendwo zwischen The National und den Tindersticks befinden. Am absoluten Höhepunkt in „We Wait“ wähnt man sich in Sergio-Leone-Western, während Tabish die posttraumatischen Effekte der Ermordung seines damals 17-jährigen besten Freundes von jemanden aus dem All-American-Rejects-Umfeld reflektiert. Das schnürt jedem die Kehle zu... 8,5/10 Kronen

Ufo361 - Rich Rich
Die dicke Hose ist bei den Gangsta-Rappern und solchen, die es gerne sein würden, das allerwichtigste Utensil. Daran hat sich in den letzten 35 Jahren wenig geändert. Der Berliner Ufuk Bayraktar aka Ufo361 ist ein kreatives Arbeitstier, das mit „Rich Rich“ sein fünftes Studioalbum in knapp mehr als zwei Jahren veröffentlicht. Er ist aber auch eine Drama-Queen und kündigte aufgrund mieser Fanstimmung im Sommer 2018 schon mal sein Karriereende an, aus dem natürlich nichts wurde. „Rich Rich“ ist einmal mehr eine bunte Palette aus Koks, dicken Lamborghinis, fetten Hotelsuiten und der allerteuersten Rolex, verpackt in Trap- und Cloud-Rap, wie er noch immer ziemlich angesagt ist. Mit einem Feature von Atlanta-Rapper Future hat sich der 31-Jährige auch einen langgehegten Kindheitstraum erfüllt. Im Deutschrap dominiert er mit dem tighten Album mit Sicherheit, denn hier hat alles hohe Qualität - auch die Produktion. 7,5/10 Kronen

Ulcerate - Sare Into Death And Be Still
Wer Ulcerate (etwa einst im Wiener Escape) schon einmal live gesehen hat, der wird sich wohl noch gut an die herausragende Mischung aus schierer Brutalität und technischem Können erinnern. Die Neuseeländer (jawohl ja!) sind nun schon knapp 20 Jahre im Geschäft und versuchen erst gar nicht, aus dem Death-Metal-Untergrund ausbrechen zu wollen. Dafür ist ihnen die Integrität zu ihrem eigenen Sound viel zu wichtig. Während sich andere Bands noch und nöcher kopieren und mit einer Schablonenplatte nach der anderen langweilen, verquickt das Trio (das die Soundwalze von fünf Mitgliedern aufweist) lieber Progressive-Parts, schwindelerregende Griffbrettreibereien und - wenn es dem Song dienlich ist - feine Black-Metal-Einsätze. Kaum einer der acht Songs über menschliche Verfehlungen, Umwelt- und Weltenzerstörung kreuzt unter der Sechs-Minuten-Grenze über die Ziellinie oder lässt auch nur ein bisschen Raum für Unkonzentriertheit. Ohrwürmer gibt’s hier keine, aber eine Lehrstunde in Sachen atmosphärisch-technischem Death Metal. 7,5/10 Kronen

Uncle Bard & The Dirty Bastards - The Men Beyond The Glass
Gerade bei uns in Österreich erfreuen sich Bands wie Flogging Molly oder die etwas harscheren Dropkick Murphys größter Beliebtheit und füllen mittlerweile sogar schon die Wiener Stadthalle. Irische Saufsongs gehen halt auch im Epizentrum des Bieres ganz gut runter. Unter wesentlich schwierigeren Bedingungen haben die auch schon 13 Jahre tätigen Uncle Bard & The Dirty Bastards ihr neues Werk „The Men Beyond The Blass“ eingespielt. Die Kollegen kommen nämlich aus dem Corona-gebeutelten Nachbarland Italien und finalisierten ihr Werk unter widrigsten Umständen. Mit rauer Stimme, allerlei stilechten Instrumenten und viel tanzbarem Material schlägt man eben genau in die Celtic-Rock-Kerbe und macht das wirklich respektabel und mit sehr viel Liebe zur Sache. Kurzweilig, authentisch, stimmungsaufhellend. 7/10 Kronen

Hans Unstern - Diven
Hans Unstern ist keine Person, sondern ein Kollektiv. Ähnlich den Hamburger Wirrköpfen H.GichT befinden sich hinter diese Pseudonym verschiedene Persönlichkeiten aus der Kunst- und Kulturszene, die seit 2008 grenzenübergreifend für Musik, Lyrik, Konzerte, Performances und Kunst stehen. Mit „The Great Hans Unstern Swindle“ gelang der kruden Besetzung 2012 ein veritabler Erfolg im abstrakten Kulturbereich, seitdem ist es zunehmend ruhiger geworden um die fiktive Persönlichkeit, hinter der sich u.a. Persönlichkeiten wie Sibylle Berg oder René Pollesch befinden bzw. befanden. Mit einer elektroakustischen Harfe bewaffnet kreieren Hans Unstern in acht Songkapiteln eine Melange aus Sprechgesang, Noise-Verzerrung, Avantgarde-Pop und purem Dadaismus. Textlich geht es um Geschlechterfragen und das pure Sein. Unfassbar abgedreht und nicht für jedermann zugänglich. Ohne Bewertung

The Used - Heartwork
Dass die US-Pop-Punker The Used einmal kurz vor ihrem 20. Bandgeburtstag stehen würden, hätten sich wohl auch nur eingefleischte Fans gedacht. Groß geworden rund ums Millennium in einer späten Emo-Hochphase haben Frontmann Bert McCracken und Co. ihre Rezeptur seitdem noch nicht einmal marginal verändert und damit bewusst und stolz sämtlichen Trends getrotzt. So ist „Heartwork“ nun auch schon das achte Studioalbum und bietet genau so viele Überraschungen wie eine biedere Straßenlaterne. Screamo, Clean-Vocals, pubertäre Punkriffs und die eine oder andere Gossenpoesie wabert aus den Boxen und sorgt sich nicht sonderlich um Anspruch oder Ohrwurmtauglichkeit. Wobei gerade im ersten Albumdrittel doch ein paar Brecher stecken, doch ansonsten sind es eher Gäste wie Jason Butler (Fever 333), Mark Hoppus und Travis Barker (Blink-182) oder Caleb Shomo (Beartooth), die für kurze Aufregung sorgen. Wer’s heute noch braucht… 5/10 Kronen

Warbringer - Weapons Of Tomorrow
Unter den vielen Bands der neuen US-Thrash-Metalwelle waren die 2004 gegründeten Warbringer aus Ventura, Kalifornien, schon immer ganz vorne dabei. In den letzten Jahren kam das Gespann rund um Schreibolzen John Kevill aufgrund von Personalwechsel zwar etwas aus der Spur, doch mit „Weapons Of Tomorrow“ meldet sich das Quartett so stark wie schon lange nicht mehr zurück. Hasstiraden auf gesellschaftliche Verfehlungen, politisch Obskures und die nicht enden wollenden Kriegswirren verpacken die Westküstler in feurige Thrash-Salven, die in ihren besten Phasen stark an Spät-80er-Slayer („Crushed Beneath The Tracks“) oder alte Metallica („Power Unsurpassed“) erinnern. Mit „Defiance Of Fate“ hat man sogar ein episches, an Bathory gemahnendes Stück mit Black-Metal-Referenzen, „Heart Of Darkness“ geht in eine ähnliche Richtung. Nur im letzten Drittel geht der Band doch klar die Luft aus und verhindert eine bessere Bewertung. 7,5/10 Kronen

Werewolves - The Dead Are Screaming
Ein gewaltiges Prügel-Stakkato erwartet Fans derber Klänge vom brandneuen Projekt Werewolves. Harsches Death-Metal-Geschrote, vorwiegend im Hochgeschwindigkeitsbereich, das in bester Dampfwalzen-Manier durch die Hirnwindungen pflügt und mit viehischen Blastbeats und schneidenden Riffs wie eine Abrissbirne durch die Wohnung donnert. „The Dead Are Screaming“ als Albumtitel ist Programm, denn der „Höhlenmenschen-Death-Metal“ (© Werewolves) lässt sich zu keiner Sekunde festhalten und walzt in bester US-Manier durch die Botanik. Hier eine Prise Skinless, dort etwas Mortician und in den schwächeren Phasen (die zum Glück selten sind) etwas Psycroptic, von wo auch Bandmitglied Dave Haley stammt. Um für Abwechslung zu Sorgen gibt’s in Songs wie „Gnaw Their Bones“ auch partiell eingesetzte Marduk-Black-Metal-Referenzen. Ein wuchtig-druckvolles und ganz und gar kompromissloses Teil für Genre-Connaisseure. 7,5/10 Kronen

Lucinda Williams - Good Souls Better Angels
„Ich wollte dieses Mal einen richtigen Garage-Sound. Ganz einfach: Gitarre, Bass, Schlagzeug“. Lucinda Williams, diese amerikanische Folk/Blues-Göttin der Realitätspoesie hat sich für ihr 14. Studiowerk die Reduktion nahegelegt. „Good Souls Better Angels“ ist für die dreifache Grammy-Gewinnerin gleichzeitig ein Schritt zurück und einer nach vorne. Einerseits hat sie erstmals seit ihrem späten 1998er-Durchbruchswerk „Car Wheels On A Gravel Road“ wieder mit Ehemann/Manager Tom Overby zusammengearbeitet, andererseits legt sie die persönlichen Geschichten dieses Mal beiseite, sondern springt breitbeinig und voller Selbstvertrauen in den Polit- und Gesellschaftskritiksumpf. Es geht um häusliche Gewalt („Wakin‘ Up“), Nachrichtenfluten („Bad News Blues“) oder die Krux der Sozialen Medien („Shadows & Doubts“). Lucinda anno 2020 ist wütend. Auf den Staat, das System und das Establishment. Das ist gut für sie und uns. Ein wundervolles Blues-Werk. 8/10 Kronen

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