Die 14-jährige Chiara-Marie Müller ist eine von 42.700 Young Carers in Österreich - das sind Minderjährige, die Familienmitglieder pflegen. Für ihren krebskranken Vater Andreas ist die Schülerin aus Pressbaum in Niederösterreich stets da, wann immer er auf ihre Hilfe angewiesen ist.
Es ist die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Chiara-Marie Müller sitzt in ihrem Zimmer im ersten Stock eines Einfamilienhauses in Pressbaum und zeichnet - wie so oft seit Stunden. Plötzlich hört sie einen Hilfeschrei. Es ist die Stimme ihres Vaters, der sich im Erdgeschoß befindet. Andreas Müller war nach einer Operation erst seit wenigen Tagen zu Hause. Weil seine Naht aufgegangen ist, musste er wieder ins Krankenhaus - und befindet sich seither dort. Diesen Ort kennt er gut. Denn vor sechs Jahren wurde bei dem damals 39-Jährigen Darmkrebs diagnostiziert. Seine Tochter Chiara-Marie war zu diesem Zeitpunkt erst acht Jahre alt.
Chiara-Marie unterstützt Vater, wenn Mutter im Dienst ist
„Es gibt gute, und es gibt schlechte Tage“, erzählt sie uns im „Krone“-Gespräch. An den schlechten Tagen ist Papa Andreas auf die Hilfe seiner Tochter und seiner Frau Andrea, die als Krankenschwester tätig ist, angewiesen. Wenn die Mama gerade Dienst hat und Chiara-Marie nicht in der Schule sitzt, kümmert sie sich um ihren Vater. Sie macht ihm Essen, reicht ihm Medikamente und sieht stündlich nach ihm. Mit zwölf Jahren hat sie erstmals dabei zugesehen, wie man einen künstlichen Darmausgang reinigt. „Ich wollte wissen, wie ich es machen muss, wenn die Mama nicht da ist“, erzählt sie.
Eltern pflegen „zerstört ein bisschen die Kindheit“
Chiara-Marie ist eine von 42.700 Minderjährigen in Österreich, die kranke Familienmitglieder pflegen. Man nennt diese Gruppe Young Carers. Sie betont, dass ihre Eltern immer sehr darum bemüht waren, ihr eine unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen. Und dennoch „zerstört es ein bisschen die Kindheit“, erzählt sie. Treffen mit Freunden sind schon oft ins Wasser gefallen, weil ihr Vater sie gebraucht hat. Zu spät zur Schule ist sie „zum Glück“ noch nie gekommen, „oft ist es aber so, dass es meinem Papa abends schlecht geht und ich deshalb viel zu spät ins Bett komme“. Seit Jahren quälen sie Einschlafprobleme, Albträume und Flashbacks – deshalb nimmt sie seit geraumer Zeit professionelle Hilfe in Anspruch.
In Camp vom Jugendrotkreuz können Jugendliche wieder Kind sein
Wirklich unbeschwert fühlt sich Chiara-Marie nur, wenn sie Abstand gewinnen kann. „Einmal im Jahr bin ich zwei Wochen auf einem Camp, das ist richtig cool“, erzählt sie. Bereits zum dritten Mal wird sie heuer am Camp für Kinder und Jugendliche schwerkranker Eltern, organisiert vom Jugendrotkreuz, in Slowenien teilnehmen. Dort darf sie einfach nur Kind sein – ganz ohne Verantwortung tragen zu müssen: „Außerdem begegne ich Gleichaltrigen, die eine ähnliche Geschichte haben, und mir wird bewusst, dass ich nicht alleine bin.“ Daraus schöpft sie Kraft, denn eines weiß sie sicher: „Wenn mein Papa in den nächsten Jahren mehr Hilfe braucht, bin ich dafür bereit und für ihn da.“
Sandra Schieder, Kronen Zeitung
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