Stadthalle ausverkauft

Cher: Die grellbunte Nacht der 1000 Perücken

Musik
08.10.2019 00:26

Mehr als 15 Jahre nach ihrem letzten Auftritt in der Wiener Stadthalle kehrte die 73-jährige Pop-Diva Cher Montagabend im Zuge ihrer vermeintlichen letzten Tour noch einmal an die alte Wirkungsstätte zurück. Den 11.500 Fans lieferte sie eine Konzertrevue der Sonderklasse.

(Bild: kmm)

Man merkt ihr Routine und Erfahrung zu jeder Sekunde des penibel durchtakteten Konzertes an. Natürlich sind moderne Bombast-Popkonzerte keine Spielwiesen für Überraschungen und Improvisation, doch mit welch beeindruckender Souveränität sich Cher durch den 90-minütigen Konzertabend in der Wiener Stadthalle hangelt, das hat schon allerhöchsten Revue-Charakter. Revue ist auch ein weitaus korrekterer Terminus als Konzert, denn dass die Kalifornierin seit Jahren Las-Vegas-erprobt ist, lässt sich aufgrund des üppigen Showbildes nicht verleugnen. Zum - garantiert hauptsächlich vom Band gesungenen - „Woman’s World“ schwebt sie in einem goldenen Käfig auf den Boden herab, zwei überdimensionale Stiegen flankieren das Hauptbühnenbild, das eine Mischung aus Louis Knie und Esoteriktempel darstellt.

Ja, man kann!
Den Nimbus der Außerirdischen nimmt man ihr durchaus ab. Natürlich sind die 73 Lebensjahre am Papier korrekter als an ihrem Körper, doch Cher ist nicht nur ein ewig junges Pop-Vehikel, sondern auch eine lebenslange wackere Kämpferin für Feminismus und Gleichberechtigung. Schon bei der zweiten Nummer, „Strong Enough“, reißt es die Leute euphorisch von den Sitzen. Danach holt sie zu einem elfminütigen Monolog aus, der diverse Erfahrungen und Rückschläge im Showbiz beleuchtet, mit viel Humor garniert ist, aber auch etwas richtungslos und willkürlich angeordnet wirkt. Die Quintessenz der Karriereretrospektive ist aber eine immergültige Botschaft. Nämlich jene der Selbstbestimmung, der Selbstliebe und des Selbstvertrauens. Nein, man ist mit 40 nicht zu alt für Filmrollen. Ja, man kann mit 73 noch auf der Bühne stehen und Popgöttin sein. Ja, ihr könnt alles sein, was auch immer ihr sein wollt, denn ich bin es auch.

An wehmütiger Lebensrückschau mangelt es bei dieser „Here We Go Again“-Tour nicht. Ausschnitte aus ihren erfolgreichsten Filmen flattern von den pompösen Video-Leinwänden, während „Heartbreak Hotel“ erinnert sie sich an die Frühzeiten mit ihrer Mama und Elvis Presley zurück und für ihren Kulthit „I Got You Babe“ singt sie mit ihrem auf der Leinwand zugespielten Ex-Mann Sonny Bono ein Duett. Diese Version so in die Setlist aufzunehmen, war keine leichte Entscheidung, gibt sie zu, aber sie hat es dann eben einfach gemacht. Ob es wem passt oder nicht. Eine bessere Personenbeschreibung könnte sie gar nicht liefern, denn trotz aller Widrigkeiten, Sexismen und Tücken im Haifischbecken Showbusiness hat Cher mehr als 50 Jahre lang immer gemacht, was sie für richtig hielt - und dabei zumeist recht behalten. Wer hat denn sechs Jahrzehnte lang immer mindestens einen Nummer-eins-Hit gehabt? Und Cher ist auch die Einzige, die innerhalb einer knappen Stunde ein nostalgisches Rollerdisco-Stück wie „The Beat Goes On“ und ein Dubstep-durchzogenes Electro-Interlude vor dem großen „Believe“ verknüpfen kann. Erlaubt ist, was Spaß macht und gefällt.

Künstlerisches Gesamtwerk
Scheinbar ohne großen Plan mäandert die sympathische Diva, die vor dem Auftritt noch hinter dem Bühnenvorhang ihren Fans zuwinkt, durch ein Set, das sich quasi im Minutentakt um jeweils 180 Grad dreht. Reitet sie beim indischen „Gayatri Mantra“ noch auf einem Plastikelefanten herein, lässt sie bei „All Or Nothing“ die Disco-Beats brummen. Erotisiert sie als eine Art mütterliche Dita Von Teese bei „Welcome To Burlesque“, kommt direkt danach ein Ausflug in die grellbunten 70er-Jahre zur größten Popband der Welt. ABBA, denen sie ein ganzes Coveralbum widmete, ist mit „Waterloo“, „SOS“ und dem Schlager „Fernando“ gleich dreifach vertreten. Dass gut die Hälfte der Songs Coverversionen sind (etwa Marc Cohns Klassiker „Walking In Memphis“) stört im Endeffekt genauso wenig wie die zahlreichen Musikunterbrechungen. Cher ist schließlich ein künstlerisches Gesamtwerk und sie zelebriert sich auch in allen Facetten.

Ihre acht hervorragenden Tänzer sind mal als Gladiatoren, mal als 70er-Disco-Tänzer verkleidet und geben der Show mit perfekten Choreografien noch zusätzliche Würze. Zudem verwandelt sich das Bühnensetting passend zu den Songs mal in ein Diner, mal in einen Zirkus oder - irgendwie unpassend - bei „After All“ in eine eisberggeschwängerte Seekulisse, vor der Cher im goldenen Abendkleid singt. Gefühlte 1000 Perücken und die ständigen Outfit-Wechsel lassen viele jüngere Großproduktionsnachfolgerinnen geradezu arm aussehen. Bei ihrer (vermutlich!) allerletzten großen Tour spart Cher keinesfalls mit Kitsch und Knall. Auch wenn sie den „Shoop Shoop Song (It’s In His Kiss)“ und „If I Could Turn Back Time“ etwas lieblos spielt, beim ewigen Superhit „Believe“ hält es am Ende ohnehin keinen mehr auf den Sitzen. Das, meine Damen und Herren, ist Entertainment in Reinkultur. Und für all jene kritischen Geister, die sich nicht davon mitreißen lassen, hatte Cher eingangs ohnehin die beste Antwort in Frageform: „Und was macht eure Oma heute Abend?“

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