„Wie damit leben?“

Verkehrsunfälle: Diese Menschen erzählen ihr Drama

Österreich
11.08.2019 06:00

Mehr als 400 Menschen sterben jährlich auf Österreichs Straßen. Alleine am vergangenen Wochenende waren es zwölf, darunter zwei Kleinkinder. Die „Krone“ sprach jetzt mit Betroffenen: einer Burgenländerin, die ihren geliebten Ehemann durch einem Unfall verloren hat, einem Niederösterreicher, der seit einem schweren Crash querschnittgelähmt ist - und einem Lenker, durch dessen Schuld ein anderer zu Tode kommen musste.

Ehemann durch Autounfall verloren
Mit gesenktem Kopf, eine rote Rose in der Hand, geht Elke S. (Name geändert) wieder einmal zu dem Grab jenes Menschen, „der“, wie sie sagt, „alles für mich war - und immer alles für mich bleiben wird“.

„28 Jahre“, schluchzt die Burgenländerin, „muss ich nun schon ohne ihn sein, seit diesem schrecklichen Tag im August 1991.“ Ihr Ehemann war damals mit seinem Auto auf der A4 unterwegs gewesen, ein Lkw touchierte den Wagen. „Ein Polizeibeamter rief mich drei Stunden später an. Werner habe bei dem Unfall eine Verletzung an der Halsschlagader erlitten.“

„Ich fühlte mich wie in Trance“
Die Angestellte raste in das Krankenhaus, „dort warteten schon Ärzte auf mich, mit Beruhigungstabletten. ,Wir konnten Ihren Mann leider nicht retten‘, erklärten sie mir.“ Und danach? „Fühlte ich mich wie in Trance.“ Sechs Monate vor dem Drama „hatten wir standesamtlich geheiratet, in drei Wochen hätte unsere kirchliche Trauung stattfinden sollen. Und nun rief ich unsere Gäste - 110 an der Zahl - an und bat sie, statt zu einem Freudenfest zu einem Begräbnis zu kommen.“

Elke S. beerdigte ihren Mann in seinem Hochzeitsanzug, „mein weißes Kleid und den Schleier legte ich ihm mit in den Sarg. Und ich weigerte mich, es zu verstehen: Dass Werner tot war. Dass unsere Pläne - ein Haus zu bauen, eine Familie zu gründen - ausgelöscht waren. Ich klammerte mich an den Gedanken, in einem Albtraum gefangen zu sein.“ Das Erwachen, es kam erst ein halbes Jahr später, „da begann ich die Tragödie zu realisieren“. Und dann? „Ich schaffte es, weiter meiner Arbeit nachzugehen. Aber an den Wochenenden „beamte ich mich weg. Mit Alkohol, denn damit konnte ich meinen Schmerz betäuben.“

„Im Herzen blieb Werner mein Mann“
Irgendwann das Erkennen, „dass ich nicht so weitermachen durfte.“ Elke S. fand schließlich abermals einen Partner, bekam mit ihm einen Buben, „doch in meinem Herzen blieb Werner mein Mann“. War das vielleicht der Grund, warum sie den Vater ihres Kindes nie heiratete und die Beziehung mit ihm letztlich scheiterte? „Ich weiß es nicht.“

„Jeden Tag rede ich mit Werner, erzähle ihm von mir.“ Bekommt die 53-Jährige Antworten? „Lange gelang es mir, mit ihm zu kommunizieren. Aber 2009 brach er den Kontakt ab: ,Du musst endlich von mir loskommen‘, sagte er. Und er verstand nicht, dass ich das gar nicht wollte.“ Die Frau glaubt fest an Gott: „Darum bin ich mir sicher: Im Himmel werden wir wieder zusammen sein.“

Ihre Freundinnen, sagt sie, „verstehen mich nicht. Sie meinen, ich würde Werner idealisieren und dass unsere Ehe mittlerweile vielleicht, wäre er noch am Leben, gescheitert wäre. Doch ich weiß, das stimmt nicht: Weil er einfach perfekt gewesen ist. So lieb, so gutmütig, der beste Mensch auf dieser Welt.“ Elke S. steht jetzt am Grab ihres Mannes, legt die rote Rose darauf und sagt leise: „Werner, ich liebe dich.“

Nach Autounfall querschnittgelähmt
Tom Gschwandtner sitzt in seinem Rollstuhl vor dem Balkon seiner hübschen Wohnung in Horn. Die Terrassentüre ist offen, neben ihm steht ein Ventilator, der kalte Luft auf ihn bläst. „Eine Vorsichtsmaßnahme“, sagt der Niederösterreicher, „denn bei hohen Temperaturen bin ich in Gefahr, einen Hitzeschock zu bekommen.“ Die Schweißdrüsen des 50-Jährigen sind gelähmt, wie alle seine Organe und Gliedmaßen, „ab dem sechsten Halswirbel“. Er würde nicht einmal spüren, wenn ein Knochen bräche, „mein Körper kennt einfach kein Schmerzgefühl mehr“.

Seit dem 10. September 1995. Tom Gschwandtner hatte damals einen lustigen Abend in einem Bierlokal verbracht, mit seiner Freundin und dem Mann seiner Schwester. Am Ende stiegen sie alle in das Auto des Schwagers: „Er war betrunken – und zu schnell unterwegs.“ In einer Kurve kam der Pkw von der Fahrbahn ab und stürzte in eine Böschung. Die anderen Insassen wurden nicht besonders schwer verletzt: „Aber ich war am Rücksitz eingeklemmt.“

„Ich empfand nie Wut“
Seine Einlieferung in ein Spital, Operationen, danach Monate in einer Reha-Klinik: „Wo ich lernte zu sitzen, die Arme ein bisschen zu bewegen. Und zu essen.“ Gedanken daran, sein Leben sei sinnlos geworden, seien nie in ihm gewesen: „Ich habe schnell beschlossen, mich mit meiner Situation abzufinden – und das Beste daraus zu machen.“ Wut gegen den Unfalllenker habe er nie empfunden: „Es war ja meine Entscheidung, mich in seinen Wagen zu setzen, somit trifft ihn keine Schuld“ an der Tragödie, die Tom Gschwandtner nie als eine solche gesehen hat. Und er wird nicht müde zu betonen: „Ich bin kein Opfer.“

Nach dem Drama heiratete er, wurde zweifacher Vater. Er machte Karriere, als Grafiker, Texter, Karikaturist. „Und ich arbeitete an mir.“ Psychisch – und körperlich. „Ein Auto bedienen, alleine durch die Gegend fahren zu können, bedeutet unendliche Freiheit für mich.“

„Ja, ich bin glücklich“
„Ich habe nie meine Selbstständigkeit verloren“, sagt er. Und als es in seiner Ehe „immer mehr kriselte“, wagte er eine Trennung. „Ich habe jetzt eine neue Partnerin und bin mit ihr auf Wolke sieben. Kürzlich verbrachten wir gemeinsam einen tollen Urlaub.“ In Italien, mit seinen und ihren Kindern. Er war da – wieder einmal – mit Wünschen, „die andere an mich stellen“, konfrontiert: „Ich sollte eine Bootsfahrt mitmachen.“ Er lehnte ab: „Ich wollte keinen Aufwand verursachen.“ Das Glück, „es ist auch in einfachen Dingen zu finden, für mich: In diesem Fall – am Strand zu sitzen und meine Familie zu beobachten, wie sie, draußen am Meer, Spaß hat.“

Fragt sich Tom Gschwandtner manchmal, wie alles wäre, wenn er noch gehen könnte? „Nein. Mein Leben ist, wie es ist. Und das hat schon seinen Sinn so.“

Tödlichen Unfall verursacht
Gerhard K. (Name geändert) ist mit der Straßenbahn in das Gasthaus am Rande von Wien gekommen. „Seit neun Jahren bin ich in keinem Auto mehr gesessen, weder am Steuer noch als Beifahrer“, sagt der 48-Jährige mit zittriger Stimme, während er an einem der hintersten Tische des Lokals Platz nimmt. „Es fällt mir schwer“, erklärt er dann auch gleich, „über die Tragödie zu sprechen.“

Die Tragödie, die er meint - sie geschah 2010, auf einer Landstraße in Oberösterreich. „Ich arbeitete damals in Linz, bei einem Technik-Betrieb, hatte Überstunden gemacht, es war nach 22 Uhr, als ich mich in meinen Wagen setzte und nur noch nach Hause wollte.“ In ein 40 Kilometer entferntes Dorf, „wo ich mit meiner Frau und unseren drei Kindern in einem netten Haus lebte“.

„Ich fuhr viel zu schnell“
Es war kalt, es schneite, „ich fuhr viel zu schnell“. Ein Pkw vor ihm, „er ist eher langsam unterwegs gewesen“ - Gerhard K. setzte zum Überholen an, „vor einer langgezogenen Kurve“. Plötzlich ein Wagen vor ihm, „ich konnte nicht rechtzeitig bremsen“, der andere Lenker ebenso nicht, „frontal krachten wir gegeneinander“. Von dem Rettungseinsatz danach „bekam ich nichts mit. Ich wachte erst wieder im Spital auf. Mit schweren Knie- und Schädelverletzungen.“ Wochen verbrachte er im Krankenhaus: „Aber ich habe überlebt.“ Der Mann von der Gegenfahrbahn nicht: „Zu wissen, dass ich den Tod eines Menschen verschuldet habe, hat mich kaputt gemacht.“

Vier Monate bedingte Haft, Schmerzensgeldzahlungen an die Witwe des Verstorbenen - so einst sein Gerichtsurteil: „Ich hätte auch eine härtere Strafe angenommen, mir war völlig egal, was mit mir passiert.“ Laufend mehr verfiel Gerhard K. in Depressionen, „ich konnte nicht mehr arbeiten, ich konnte überhaupt nichts mehr tun“. Er fragte sich immer wieder: „Wie soll ich damit leben, einen Menschen getötet zu haben?“ Ein missglückter Selbstmordversuch, seine Aufnahme in eine psychiatrische Klinik - und danach unzählige Sitzungen bei einem Therapeuten: „Letztlich brachte er mich so weit, dass ich wieder einen Job annehmen konnte.“

In Wien. Seine Ehe war mittlerweile gescheitert, „wegen meiner Unfähigkeit, einen normalen Alltag zu führen“, seine Freunde von früher hatte er ohnehin längst verloren. Und jetzt? „Lebe ich in einer kleinen Wohnung, gehe manchmal mit meinen Kollegen nach Dienstschluss ein Bier trinken.“ Nur einer von ihnen weiß von dem Unfall. Gerhard K.s neue Strategie: „Ich versuche zu verdrängen. Aber das funktioniert nicht wirklich.“ Beinahe jede Nacht wacht er irgendwann schweißgebadet auf: „Die Szenen in meinen Albträumen sind immer dieselben. Ich sehe eine dunkle Straße vor mir und darauf liegt ein toter Mensch.“

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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