Experte im Talk

Leben wir im Zeitalter des digitalen Narzissmus?

Web
13.03.2019 14:28

Selfies posten, Videos streamen, sich auf Instagram rekeln: Junge Selbstdarsteller sind in sozialen Medien omnipräsent und sogar eine eigene Berufsgruppe geworden, die sogenannten Influencer. Bei manch einem nimmt das aber geradezu krankhafte Züge an, bisweilen ist die Rede vom „digitalen Narzissmus“. Was es damit auf sich hat, wie es dazu kam und welche Risiken das birgt, erklärt Jugendkulturforscher Philipp Ikrath im Gespräch mit krone.tv-Moderator Gerhard Koller.

Der digitale Narzissmus sei bis zu einem gewissen Grad auch Folge der Erziehung, erklärt Ikrath. Schon im Elternhaus werde heute oft vermittelt, dass man sich als etwas Besonderes darstellen müsse. Das mache auch vor sozialen Medien nicht halt, wo die Jugend die schönen Momente ihres Lebens ausbreite und die weniger spannenden ausblende. „Die Leute stehen ja fast unter einem Glückszwang“, so Ikrath im Talk.

Digitaler Narzissmus verändert, wie Jugendliche denken
Das verändere, wie Jugendliche denken. „Ich sehe bei meiner Arbeit heute oft, dass junge Menschen lernen, sich durch die Augen von anderen zu betrachten und sich entsprechend zu inszenieren“, sagt der Forscher. Die Gefahr dabei: Likes und digitale Aufmerksamkeit können zur Sucht werden. „Und wenn das dann einmal wegfällt, dann brechen diese Leute in sich zusammen“, warnt Ikrath. Daraus resultiere bisweilen, dass junge Menschen Dinge posten, die sie später einmal bereuen.

Ikrath erforscht am Institut für Jugendkulturforschung und beim Trendforscher tfactory in Wien mit soziologischen Methoden die Gedankenwelt der heimischen Jugend. Mit Arbeiten zur digitalen Jugendkultur und digitalem Eskapismus, also der Flucht vor der Realität in die Weiten des Cyberspace, hat sich der 39-jährige Germanist und Werbefachmann Expertenstatus in diesem Themenkomplex erarbeitet.

Jeder dritte Jugendliche leidet unter digitalem Stress
Dass der Drang zum Posten, Liken und Sharen unter Jugendlichen teils bedenkliche Züge annimmt, zeigte jüngst auch eine vom Institut für Jugendkulturforschung durchgeführte Studie der Initiative Saferinternet. Sie kam zur Erkenntnis, dass die Selbstdarstellung über das Smartphone manchen Jugendlichen mittlerweile zu viel wird, sie regelrecht in „digitalen Stress“ abdriften.

Mädchen sind tendenziell stärker gefährdet als Burschen, am stärksten ist das Phänomen bei Jugendlichen zwischen 15 und 17. Bei jüngeren und älteren Jugendlichen ist der digitale Stress zwar auch Thema, aber nicht ganz in diesem Ausmaß. Für die Studie wurden 400 Jugendliche aus Österreich zu ihrem Smartphone-Verhalten befragt.

Es entsteht bereits eine Gegenbewegung
Freilich: Nicht jeder Jugendliche gehört zur Fraktion der digitalen Narzissten, es gibt längst auch eine Gegenbewegung. Auch dazu gibt es Erkenntnisse des Instituts für Jugendkulturforschung. So fühlen sich beispielsweise fast 60 Prozent der Jugendlichen davon genervt, wenn ihre Freunde beim persönlichen Treffen ständig aufs Handy starren, um ihren Social-Media-Gelüsten zu frönen.

Diese Einstellung führt zwar selten dazu, dass sie sozialen Medien abschwören, manch einer versucht aber zumindest, sich zu zügeln. Rezepte hierfür gibt es viele: Wer Instagram und andere Zeitfresser nicht gleich am Startbildschirm platziert, führt sich nicht so leicht in Versuchung. Wer nicht jeder App Benachrichtigungen gestattet, wird nicht ständig vom fiependen Smartphone gestresst und bekommt nicht dauernd das Gefühl, beim Social-Media-Schaulauf ins Hintertreffen zu geraten.

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