Klartext von Direktor

Integration: 4 große Probleme an unseren Schulen

Wien
16.12.2018 15:50

Seit 35 Jahren ist er Pädagoge, sieben davon Direktor einer Brennpunktschule in Wien-Floridsdorf. Er hat schon alles erlebt: Schülerinnen, die zwangsverheiratet werden oder für ihre älteren Brüder ein Kopftuch tragen. Schüler, die sich dem IS angeschlossen haben oder gar anderen Ethnien gegenüber rassistisch und aggressiv sind - und bei all dem zu wenig Personal. Christian Klar spricht Klartext und damit vier Hauptprobleme der Integration an. Zumindest was seinen Arbeitsplatz betrifft, eine Neue Mittelschule.

In der Schule findet gerade eine Projektwoche in Kooperation mit dem Österreichischen Integrationsfonds statt. Im Turnsaal präsentieren alle Schülerinnen und Schüler ihre persönliche Fluchtgeschichte, oder eben auch nicht. So lernen sich alle kennen und müssen sich mit ihrer Geschichte auseinandersetzen. „Viele haben natürlich keinen Bezug zum Fall des Eisernen Vorhangs, dafür sind sie zu jung“, sagt Klar.

„Problem sind oft gar nicht die Eltern“
An diesem Tag besuchen auch drei Integrationsbotschafter die Schule, ein Polizist mit bosnischen, ein Lehrer mit türkischen und ein Unternehmungsberater mit syrischen Wurzeln. „Das Problem sind oft interessanterweise gar nicht die Eltern, sondern die Kinder selbst.“ Ein Fall: säkulare Eltern, die fassungslos waren, dass ihre Kinder „auf einmal religiös sind und Gülen-Unterstützer in Moscheen verraten haben“.  

Im Gespräch mit krone.at fasst der mutige Schuldirektor vier aktuelle Integrationsprobleme zusammen:

  • Kein Unterstützungspersonal
  • Kein Koptuchverbot für die gesamte Pflichtschule
  • Nationalismus
  • Konservative muslimische Werte

„Die Schulpsychologie spüre ich nicht“
Auf die Frage, wie eine Lösung aussehen könnte, erzählt Klar von seiner Beratungslehrerin, die in der Woche zehn Stunden für Einzelgespräche und Unterstützung in der Schule ist. „Sie würde wahrscheinlich mit ihrer Arbeit nicht einmal fertig werden, wenn sie jeden Tag hier ist.“ Obendrauf betont der Schuldirektor die Notwendigkeit einer Schulsozialarbeiterin: „Die könnte auch anders mit Schülern umgehen, sie könnte schulschwänzende Kinder von zu Hause abholen, das dürfen wir Lehrer gar nicht.“ In Summe fehle „ein Netzwerk an Psychologen, Sozialarbeitern, Beratungslehrern - und auch ein Kontaktbeamter bei der Polizei.“

„Natürlich ist das auch Geld.“ Trotzdem wünsche sich der Rektor, dass „in Unterstützungspersonal investiert wird“- für Klar wichtiger als die Aufstockung von Lehrerstunden: „Die Schulpsychologie spüre ich nicht.“

„Niemand kann behaupten, dass im Koran steht, dass Volkschulkinder ein Kopftuch brauchen“
„Der Großteil der Mädchen in der Pflichtschule trägt das Kopftuch - wenn, dann nicht freiwillig“, ist seine Erfahrung. Verbieten kann er ein Kopftuch in der Schule nicht, er wünscht sich aber von seinen Schülerinnen, dass diese keines tragen. Viele davon erscheinen ganz plötzlich damit in den Klassen. Wenn der Direktor nachfragt, lautet die Antwort meist: „Mein Bruder hat gesagt, ich muss Kopftuch tragen, sonst wird er von seinen Freunden beschimpft.“ Und wenn er nicht locker lässt, lautet die zweite Antwort: „Ich möchte das selber.“ Sein Wunsch geht aber auch auf: Viele der Mädchen berufen sich auf seine Bitte und erklären den Eltern, dass sie in der Schule kein Kopftuch tragen sollen. „Ein 12-13-jähriges Mädchen hat nicht die Kraft, der Familie zu sagen ,Ich will das nicht‘, wenn sie in dem Punkt nicht von der Schule unterstützt wird.“

Der Pädagoge fühlt sich auch vom Koran bestätigt: „Niemand kann behaupten, dass im Koran steht, dass Volkschulkinder ein Kopftuch brauchen.“ Vor allem bei 10- bis 14-Jährigen würde ein Verbot demnach Sinn machen. Und „diesen Kopftuchzwang innerhalb der Community wird man ohne Kopftuchverbot nicht verhindern können“.

Der Schuldirektor spricht auch offen die Mischung der Nationalitäten in Klassen an „Wir haben die Tschetschenen, die Syrer, die Afghanen, die Serben, die Kroaten, die Türken, die Kurden, die Ungarn, die … ich weiß gar nicht, die Spanier und die Basken. Wir haben so viele Gruppen.“ Klar ist leidenschaftlicher Basketballspieler und Trainer. Er erinnert sich an seine Mannschaft von damals. „Wir haben nicht einmal gewusst, von wo alle sind, Hautfarbe haben wir auch nicht gesehen, weil wir einfach gemeinsam das Gleiche gemacht haben. Das ist für mich Integration.“

„Verschiedene Ethnien sind sehr nationalistisch, um nicht zu sagen rassistisch“
Zu Problemen kommt es meist erst dann, wenn sich durch Staatsangehörigkeit oder Hintergrund Gruppen bilden: „Wenn ein Spanier da ist, ist es kein Problem, aber würden sieben Spanier da sein, wäre es wahrscheinlich genauso schwierig wie mit sieben Afghanen, die dann sofort zusammen sind und sich gegen die anderen zusammenschließen. Und dieses Zusammenschließen und auch dann aggressiv gegen andere Gruppen sein, ist sicher eines unserer größten Probleme. Ich lehne Rassismus ab, jeden Rassismus.“ Denn viele dieser Gruppen sind gegenüber anderen „sehr nationalistisch, um nicht zu sagen rassistisch. Das ist sicher eine ganz, ganz große Herausforderung, wo mein Ziel wäre, dass man das Gesellschaftsbild verändern kann.“

Wir haben nach wie vor Brüder, die ihre Schwester bis aufs Messer verteidigen müssen
In den sieben Jahren als Schuldirektor habe sich viel getan. Ganz extrem soll es 2015 und 2016 gewesen sein. „Als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu uns in die Schule oder in den Bezirk gekommen sind, hat sich sehr viel verändert.“ So auch das Aufkommen des Islamischen Staates, wobei das Problem immer mehr abnehme. Eine schwierige Zeit für Klar: „Bei manchen Schülern hatte ich das Gefühl, die sind kurz davor, dass sie ausreisen und mitkämpfen. Wir hatten sogar einzelne Schüler, wo das passiert ist.“ Und manche Werte machten das Ganze nicht einfacher: „Ein paar der syrischen Flüchtlinge haben eine sehr konservative islamische Einstellung. Gerade, was Rechte der Frau und der Kinder betrifft.“

Zumindest diese Problematik sei am Schwinden. Aber die „Gewohnheiten, Strukturen, Traditionen sind nach wie vor da“. Der Direktor bleibt realistisch: „Wir haben nach wie vor Brüder, die ihre Schwester bis aufs Messer verteidigen müssen, wo die Schwester nicht angesprochen werden darf.“ Und: „Wir haben leider momentan einen Fall von Zwangsehe, wo wir nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen, und wo wir draufgekommen sind, wie viele unserer ehemaligen Schülerinnen mit 15 verheiratet worden sind.“

Bis hierher gehen deine Freiheiten
Für Christian Klar steht fest: Man muss Kindern gegenüber mehr als nur reiner Wissensvermittler sein und genaue Grenzen schaffen. So wissen die Schüler: „Bis hierher gehen deine Freiheiten, aber hier ist die Grenze, hier sind die Hausregeln, die Schulregeln, das Gesetz, die Jugendschutzbestimmungen und die hast du einzuhalten - und wenn du es nicht machst, gibt es Konsequenzen, das würde ich mir wünschen, auch vom Gesetzgeber.“

Doch in seinem Alltag muss er mit so gut wie keiner Unterstützung seitens der Stadt klarkommen.

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