Wunder in der Wüste

Kühle Brise statt Staub: Der Aralsee kehrt zurück

Wissenschaft
30.10.2009 14:18
Einst war der zentralasiatische Aralsee das viergrößte Binnengewässer der Erde. Dann begannen zu Sowjetzeiten die Planwirtschaftler mit ihrem Hang zu grandiosen Projekten, seine Zuflüsse abzuleiten und damit gigantische Baumwollplantagen zu bewässern. Das Ergebnis: Der See verlor 90 Prozent seiner Wassermenge und zerfiel im mehrere kleine Teile - eine beispielslose Umweltkatastrophe. Doch durch einen Staudamm in Kasachstan ist ein ökologisches Wunder geschehen: Der Aralsee kehrt zurück.

Selbst heute, zwei Jahrzehnte nach dem Zerfall der Sowjetunion, ist das Unheil einer der folgenschwersten Umweltsünden aller Zeiten bei weitem noch nicht gestoppt. Satellitenfotos zeigen, dass ein Teil des ursprünglich 68.000 Quadratkilometer großen Sees allein in den vergangenen drei Jahren um 80 Prozent geschrumpft ist. Usbekistan, zu dem drei Viertel des Aralsees gehören, scheint bereits jede Hoffnung aufgegeben zu haben.

Kasachstan hingegen versuchte in seinem Teil die Rettung - mit durchschlagendem Erfolg. Ein seit 2001 mit Hilfe der Weltbank für 88 Millionen Dollar errichteter Damm (mittleres Bild) zweigt kostbares Wasser aus dem Zufluss Syr-Darja ab, statt es sinnlos nach Süden rinnen zu lassen, und erweckt allmählich den kasachischen Teil des Sees wieder zum Leben (rechtes Bild). An einigen Stellen schwappen die Wellen schon an die vergammelten Schiffsrümpfe, die wie surreale Relikte auf dem Trockenen liegen (linkes Bild).

Süßwasserfische sind wieder da
Der Kokaral-Staudamm sieht nach nicht viel aus und ist in kaum einer Minute überquert, doch seine Wirkung ist immens. Der steigende Wasserstand hat das Klima merklich abgekühlt und die Salzkonzentration im See so weit verdünnt, dass wieder Süßwasserfische darin gedeihen. Der Fang stieg von 52 Tonnen 2004 auf rund 2.000 Tonnen 2007. Die Anwohner, die seit den 60er-Jahren vor der Ödnis, dem Salzstaub und der Arbeitslosigkeit in die Städte geflüchtet waren, haben wieder die Chance auf ein Auskommen.

Die einstige Hafenstadt Aralsk lag zum Schluss 100 Kilometer weit landeinwärts. Jetzt ist der Wassersaum schon wieder bis auf 25 Kilometer herangerückt und dürfte nach Schätzung der Weltbank in sechs Jahren den Hafen erreicht haben. Die Anwohner können es kaum erwarten. "Gute Nachrichten: Der See kehrt zurück!", verkündet ein Schild an der Ortseinfahrt. 

"Es gibt Arbeit für jeden, der will"
In der grellen Sonne blinzelt Badarchan Prikejew in die Ferne, den Fischerbooten entgegen, die mit ihrem Fang zurückkehren. Noch vor nicht langer Zeit war hier öde Wüste irgendwo im Nirgendwo. Jetzt steht der Fischhändler mit den Stiefeln im Wasser - Süßwasser. "Endlich gibt es wieder Hoffnung und die Aussicht auf ein Leben", sagt Prikejew, der nahe des Ortes Akespe 90 Kilometer westlich von Aralsk auf die Fangflotte mit ihrer Ladung aus Hecht und Karpfen wartet. "Es gibt Arbeit für jeden, der will."

Das Wunder ist klein verglichen mit dem Schaden, der vielleicht nie mehr rückgängig zu machen ist. Usbekistan hält am einträglichen Baumwollanbau fest und will zudem unter dem trockengefallenen See nach Erdöl und Gas bohren. Man ist sich zwar theoretisch einig, dass die Nutzung der Zuflüsse Amu-Darja und Syr-Darja abgestimmt werden muss, doch praktisch geschieht wenig.

Allerorten keimt neue Hoffnung auf
In der Hochsaison im Sommer beschäftigt Prikejew mehr als 100 Fischer und Helfer. Er liefert nach Russland, Georgien und in die Ukraine, sucht nach neuen Absatzmärkten in Westeuropa und plant den Bau eines Kühlhauses. Die Hoffnung liegt auch für den Werftarbeiter Alexander Dantschenko in der Luft: "Als der See verschwunden war, kamen wir uns hier inmitten der Wüste vor wie in einer Bratpfanne. Jetzt, wo er zurückkehrt, spürt man manchmal schon eine angenehme kühle Brise von Süden her."

Den Musiker Murat Sydykow aus Aralsk hat das Schicksal des Sees zu traurigen Weisen inspiriert. Doch er ist ebenso ganz zuversichtlich, dass er einmal wieder fröhlichere Töne anschlagen kann. "Wenn der See nach Aralsk zurückkommt", verspricht der 70-Jährige, "dann schreibe ich eine Symphonie und lasse sie von einem Orchester am Seeufer aufführen."

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