"Krone"-Interview

Wowereit: “Sind vor Richtungswahl”

Ausland
14.09.2009 10:25
Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit gratulierte in Wien seinem Amtskollegen Michael Häupl zum 60. Geburtstag und gab der "Krone" ein Exklusiv-Interview über die deutsche Wahl und seine Zukunft.

"Krone": Herr Regierender Bürgermeister, in Berlin und Wien ist der Verkauf von Opel-Anteilen an Magna, das Unternehmen des Austro-Kanadiers Frank Stronach, Gesprächsthema. Was sagen Sie zum Deal?
Klaus Wowereit: Er ist eine Chance, die sich allerdings realisieren muss. Ich glaube nicht, dass Opel insgesamt damit über den Berg ist. Jetzt muss mit den neuen Eigentümern hart an Strategien für die Zukunft des Unternehmens gearbeitet werden. Man wird sehen, wie sich das entwickelt.

"Krone": Österreich möchte jedenfalls nicht der Forderung des deutschen Wirtschaftsministers nachkommen und den Kauf subventionieren. Könnte der Kauf dadurch gefährdet werden?
Wowereit: Schon wieder? (lacht) Ich denke, dass es letztendlich keine Alternative gibt, wenn man Zehntausende Arbeitsplätze retten will.

"Krone": Hätten die Verhandlungen ohne die bundesdeutsche Wahl am 27. September länger angedauert?
Wowereit: Die Verhandlungen haben sich doch schon sehr lange hingezogen. Ausschlaggebend für den Abschluss waren eher Umstände in Amerika, damit meine ich die Entscheidungen von General Motors, als die deutschen Wahlen. Diese haben womöglich den Beginn der Verhandlungen beeinflusst, als von der Regierung beschlossen wurde, überhaupt helfend einzugreifen.

"Krone": So gesehen hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel einfach Glück, dass der Deal rechtzeitig vor der Wahl unter Dach und Fach gebracht wurde?
Wowereit: Es geht nicht um das Glück der Kanzlerin oder General Motors, sondern um die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Zukunft von Opel.

"Krone": Vom fernen Wien aus betrachtet, wirkt der deutsche Wahlkampf etwas zahm.
Wowereit: Die Bundeskanzlerin hat die Taktik gewählt, keinen Wahlkampf zu führen, sondern zu präsidieren und im Schlafwagen durch die Auseinandersetzung zu fahren. Möglicherweise war es ein strategischer Fehler, keine Kontroversen zu führen und sich auf den Amtsbonus zu verlassen. Es zeigt sich ja bereits in den Umfragen, dass sich eine, von der Kanzlerin gewünschte, konservative Mehrheit doch nicht ausgehen könnte.

"Krone": In welchem Waggon fährt denn SPD-Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier durch den Wahlkampf?
Wowereit: Naja, er ist im D-Zug-Tempo unterwegs und muss schauen, dass er nun als Herausforderer die Kanzlerin trotzdem stellt.

"Krone": Trotzdem? Hat die gemeinsame Regierungsarbeit die Kanzlerpartei und die Sozialdemokraten einander zu nahe gebracht?
Wowereit: Es gibt schon sehr große Unterschiede. Das Konzept Frank-Walter Steinmeiers für das Land, nämlich vier Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, unterscheidet sich deutlich von der Wirtschaftspolitik, die Minister Guttenberg in der Schublade hat. Die Republik steht in der Tat vor einer Richtungsentscheidung. Will man neoliberale Wirtschaftspolitik machen oder den Kurs der sozialen Gerechtigkeit fahren?

"Krone": Die SPD liegt bei den Umfragen in einem historischen Tief. Warum konnte die Sozialdemokratie europaweit die Wirtschaftskrise nicht als Chance  nutzen?
Wowereit: Die Menschen glauben in einer Krise, dass die Konservativen mehr Wirtschaftskompetenz besitzen. Das ist zwar falsch, aber auch jetzt bemerkbar.

"Krone": Ihre Partei sollte für soziale Kompetenz stehen. Warum punktet sie nicht damit?
Wowereit: Es wurde ja sehr viel durch die Konjunkturpakete und die Kurzarbeit abgefedert. Dadurch sind die große Arbeitslosigkeit und der große Zusammenbruch gar nicht gekommen.

"Krone": Loben Sie die Kanzlerin für ihre soziale Politik?
Wowereit: Mit uns in der Regierung hat die Kanzlerin eine Politik der Mitte gemacht. Wenn sie mit der FDP von Guido Westerwelle gemeinsame Sache macht, werden Fragen von Kündigungsschutz, sozialer Versorgung oder Mitbestimmung neu definiert werden, und das sicher nicht zum Vorteil der meisten Menschen in Deutschland.

"Krone": Klingt so, als würde Deutschland wählen, wer die Kanzlerin führen soll?
Wowereit: Führen ist der falsche Ausdruck. Aber Angela Merkel ist eine sehr vorsichtige Frau, ihre Positionen wiegt sie ab und ist daher in ihnen sehr flexibel. Das könnte sich in einer zweiten Legislaturperiode rächen.

"Krone": Sie scheinen genaue Vorstellungen über mögliche Oppositionsjahre zu haben. Wo sehen Sie sich dann?
Wowereit: Im Gegenteil, Politik in Deutschland ist durch die
Erweiterung des Parteienspektrums vielfältiger geworden und nicht mehr so vorhersehbar. Daher stelle ich keinerlei Spekulationen an.

"Krone": Anders gefragt: Müsste sich die SPD in der Opposition neu aufstellen?
Wowereit: Nach der Bundestagswahl, egal wie sie ausgeht, muss sich die SPD überlegen, wie die nächste Legislaturperiode zu bestreiten ist. Die Kandidatur von Frank-Walter Steinmeier war jedoch nicht umstritten, wir sind uns einig über das Konzept.

"Krone": Das heißt, die gesamte SPD-Führung muss für einen Wahlsieg oder eine Wahlniederlage die Verantwortung übernehmen?
Wowereit: Beim Erfolg tragen ja sowieso immer alle die Fahnen vorne! Das muss natürlich auch bei einer Niederlage so sein, da sollte sich keiner einen schlanken Fuß machen. Wir haben das Programm gemeinsam getragen, und daher tragen wir auch eine gemeinsame Verantwortung.

"Krone": Welche Gefühle haben Sie, der sie ja den Neoliberalismus ablehnen, beim Gedanken, dass der ehemalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder Lobbyist für einen russischen Konzern ist?
Wowereit: Wir beklagen ja immer, dass Politiker zu wenig Erfahrung in der Wirtschaft haben. Das System muss nach beiden Seiten durchlässig sein.

"Krone": Möchten Sie als Politiker in Pension gehen, oder würde Sie beispielsweise die Wirtschaft reizen?
Wowereit: Ich weiß nicht, wohin mich die Politik noch führt. Ich bin gerne Regierender Bürgermeister und befinde mich nicht auf Jobsuche.

"Krone": Wüssten Sie einen geeigneten Nachfolger als Bürgermeister?
Wowereit: (Lacht) Sie tasten sich ganz schön an das Thema heran! Ich bin bis 2011 zum Regierenden Bürgermeister von Berlin bestellt. An dieser Stelle, zum jetzigen Zeitpunkt, möchte ich keine weiteren Personaldiskussionen führen.

"Krone": Sie haben Berlin  als "arm, aber sexy" bezeichnet. Wie empfinden Sie Wien?
Wowereit: Wien ist reicher, aber trotzdem sehr sexy. 

Persönliche Daten:
Geboren am: 1. Oktober 1953 in Berlin
Sternzeichen: Waage
Spitzname: Wowi
Lebensgefährte: Jörn Kubicki (44)

Interview: Nadia Weiss

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