Eklat nach Urteil

Wiener “Zettelpoet” bekritzelt Fußboden im Landesgericht

Österreich
18.02.2010 14:40
"Zettelpoet" Helmut Seethaler hat am Donnerstag am Wiener Straflandesgericht gleich nach seiner Verurteilung zu zwei Monaten bedingter Haft - nicht rechtskräftig - für die nächste Provokation gesorgt. Nachdem er den Verhandlungssaal verlassen hatte, zückte er einen Filzstift und beschriftete in großen Lettern den Fußboden mit "www.hoffnung.at" und der Nummer seines Festnetzanschlusses. Zusätzlich brachte er den Schriftzug "Kunstverbreitung bringt mi ins Häf'n" an.

Im vergangenen Herbst soll der Künstler am Vorplatz des Wiener Museumsquartiers 13 Steinplatten mit einem Textmarker verunstaltet haben, indem er - genauso wie nun nach dem Richterspruch – "www.hoffnung.at" und seine Telefonnummer hinterließ.

Der Künstler bekannte sich in der Verhandlung am Donnerstag zwar dazu, "pausenlos" und "ununterbrochen" im öffentlichen Raum Texte zu hinterlassen, die ihm in der Anklage zur Last gelegte Tat bestreitet er aber. "Ich habe noch nie in meinem Leben etwas gemacht, wofür ich vor Gericht stehen müsste", so Seethaler. Im Museumsquartier sei er "oft" tätig gewesen, allerdings nicht im Tatzeitraum - laut Anklage zwischen 30. Oktober und 2. November 2009 -, was der "Zettelpoet" ausdrücklich bedauerte.

"Schade, dass ich es nicht war", gab er zu Protokoll. Die Documenta Kassel habe sich nämlich inzwischen bei ihm gemeldet: "Hätte ich es mit Lack gemacht, hätten sie das als Kunst ausgestellt." Er, Seethaler, sei "ein berühmter Wiener Dichter", offensichtlich habe ihn jemand auf den Steinplatten vor dem Museumsquartier kopiert.

Gutachten des Graphologen belastet Seethaler
Ein vom Gericht beigezogener Schriftsachverständiger stellte jedoch in seinem Gutachten fest: "Aufgrund der Schriftformen spricht alles dafür, dass es der Herr Seethaler geschrieben hat." Bei dieser Gelegenheit ersuchte der Graphologe den Künstler, ihn zukünftig nicht mehr mit E-Mails "zuzumüllen", worauf ihm Seethaler beschied: "Jeder, der sich anmaßt, in diesem Theater mitzuspielen, wird von mir informiert. Alle sollen Bescheid wissen."

Nach Verurteilung am Fußboden "verewigt"
Nach dem Ende der Verhandlung – Seethaler hatte "im Sinne der Freiheit der Kunst" einen Freispruch verlangt und meldete volle Berufung an – verließ der Künstler den Saal, zückte einen Filzstift und beschriftete in großen Lettern den Fußboden.

Die Richterin hatte bereits mit einer Provokation Seethalers gerechnet und daher vorsorglich Saalschutz angefordert. Die zwei dafür abgestellten Uniformierten sahen Seethaler jedoch seelenruhig zu, wie er sich "verewigte" und nachher bereitwillig anwesenden Medienvertretern Interviews gab.

Seit 1973 über 3.000 Klagen wegen Zettelgedichten
Seethaler ist seit 1973 als "Zettelpoet" aktiv und hat sich weit über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht. Seine Verse verteilt er mittlerweile auch per Internet und Fax, auch auf Plakatwänden sind Seethalers Zeilen manchmal zu finden. Geld verdient er mit seiner Kunst aber kaum. Der 56-Jährige ist auf Spenden seiner Unterstützer angewiesen. 

1995, als die Wiener Verkehrsbetriebe wieder einmal gegen ihren dichtenden Erzfeind behördlich vorgingen, gab es viel Solidarität mit Seethaler. "Es ist schon erstaunlich, wie rigoros Behörden und Verkehrsbetriebe mit einem Künstler umspringen, der nicht zum erlesenen Kreis derer gehört, die aus dem Steuertopf gefördert werden", hieß es damals sogar vom Pressedienst der FPÖ.

Laut seinem Wikipedia-Eintrag hat sich Seethaler mit seiner ungewöhnlichen Poesie im Laufe der Jahrzehnte mehr als 3.000 Klagen und Verfahren eingehandelt. Obwohl der Oberste Gerichtshof seine Kunst als schutzwürdig wertete. Vor allem den Wiener Linien ist Seethaler ein Dorn im Auge. 2005 mussten sogar Polizisten einschreiten, als ein Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe Seethaler mit Gewalt an der Anbringung seiner Gedichte auf einer Säule in der U3-Station Westbahnhof hindern wollte.

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