"Passendes Urteil"

Boston-Attentäter Tsarnaev zum Tode verurteilt

Ausland
15.05.2015 23:26
Im Prozess um den Bombenanschlag auf den Boston-Marathon mit drei Toten und Hunderten teils schwer Verletzten haben die Geschworenen einstimmig auf die Todesstrafe für den Attentäter Dzhokhar Tsarnaev entschieden. Bereits Anfang April hatten die zwölf Männer und Frauen den 21-Jährigen für schuldig befunden, das Blutbad am 15. April 2013 mit seinem Bruder verübt zu haben. Das Strafmaß sei "passend" für "den feigen Anschlag", sagte US-Justizministerin Loretta Lynch.

Die Geschworenen hatten Dzhokhar Anfang April für schuldig befunden, den islamistisch motivierten Anschlag gemeinsam mit seinem später getöteten Bruder Tamerlan verübt zu haben. Im zweiten Prozessabschnitt war es seit Ende April um das Strafmaß gegangen. Bei der Entscheidung darüber hatte die Jury nur zwei Optionen: Todesstrafe oder lebenslange Haft. Auf 17 der 30 Anklagepunkte stand die Todesstrafe. Nach den Schlussplädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten sich die Geschworenen am Mittwoch zu Beratungen zurückgezogen, die insgesamt 14 Stunden dauerten.

"Kalt und gefühllos feigen Anschlag verübt"
"Dzhokhar Tsarnaev hat kalt und gefühllos eine Terrorattacke verübt, die Hunderte Amerikaner verletzt und drei Menschen das Leben genommen hat", erklärte Justizministerin Lynch nach der Verkündung des Strafmaßes. Kein Urteil könne die seelischen und körperlichen Schäden wiedergutmachen, die der "feige Anschlag" verursacht habe. Lynch drückte aber ihre Hoffnung aus, dass die Opfer und ihre Familien nun zumindest ein bisschen mit dem Geschehenen abschließen könnten.

Tsarnaevs Strafverteidigerin Judy Clarke hatte vergeblich versucht, die Geschworenen milde zu stimmen. In ihrem Schlussplädoyer am Mittwoch hatte sie ihren Mandanten erneut als "verlorenen Jugendlichen" beschrieben, der von seinem sieben Jahre älteren Bruder Tamerlan zu der Tat angestiftet worden sei. Sollte die Verteidigung wie von Beobachtern erwartet Berufung einlegen, könnte sich der Rechtsstreit um das Schicksal des Attentäters noch mehrere Jahre hinziehen.

Die Tsarnaev-Brüder stammen aus einer tschetschenischen Familie und waren als Kinder in die Vereinigten Staaten eingewandert. Dzhokhar ist seit 2012 US-Staatsbürger und studierte an der University of Massachusetts in Dartmouth Meeresbiologie. Sein älterer Bruder Tamerlan hatte sich dem radikalen Islam zugewandt und soll bei einem Aufenthalt im Kaukasus Anfang 2012 Kontakt zu extremistischen Gruppen gehabt haben.

Keine sichtbare Regung bei Dzhokhar Tsarnaev
Bei der Verkündung des Urteils war bei Dzhokhar Tsarnaev keine sichtbare Regung zu vernehmen, wie berichtet wurde. Mehrere Angehörige von Opfern hätten sich hingegen Tränen aus den Augen gewischt, berichtete CNN. Die Eltern von Martin Richard, der im Alter von acht Jahren bei dem Anschlag gestorben war, hätten stoisch gewirkt. Sie hatten sich im Vorfeld gegen die Todesstrafe für Tsarnaev ausgesprochen.

Die Tsarnaev-Brüder hatten im Zielbereich des Boston-Marathons vor zwei Jahren zwei selbst gebaute Sprengsätze gelegt, die kurz nacheinander detonierten. Drei Menschen wurden bei dem schwersten Terroranschlag in den USA seit dem 11. September 2001 getötet, 17 der 264 Verletzten verloren Arme oder Beine.

Das Bruderpaar war zunächst entkommen, erst drei Tage nach dem Attentat veröffentlichte die Bundespolizei FBI die Fahndungsfotos der beiden. Bis dahin dachten die Brüder offenbar, dass man ihnen nicht auf die Spur kommen würde, denn an den Tagen nach dem Anschlag besuchte der damals 19-jährige MIT-Student Dzhokhar wie auch sonst immer Vorlesungen, trainierte im Fitnessraum und amüsierte sich mit seinen Freunden auf Partys.

Polizisten erschossen, Geisel genommen
Gegen 22.20 Uhr am 18. April, drei Tage nach dem schrecklichen Attentat, fielen auf dem Campus des Massachusetts Institute of Technology Schüsse, ein Polizist starb. Die Behörden machten sofort das Brüderpaar dafür verantwortlich, das später einen Mercedes-Sportgeländewagen kaperte und den Fahrer entführte. Die Geisel konnte an einer Tankstelle entkommen.

Dank der Hinweise der geflüchteten Geisel spürte die Polizei die Verdächtigen noch in der Nacht im Bostoner Vorort Watertown auf. Bei einer wilden Verfolgungsjagd und Schießerei wurde der 26-jährige Tamerlan getötet, Dzhokhar konnte fliehen. Die Behörden riefen alle Bewohner der Gegend auf, ihre Häuser nicht zu verlassen. Rund 9.000 Polizisten durchkämmten Straße für Straße, über Watertown kreisten Hubschrauber. Der öffentliche Nahverkehr wurde stillgelegt, Schule und Universitäten blieben geschlossen.

Schwerst verletzt in einem Boot verschanzt
Erst am Freitagabend gegen 18.30 Uhr fanden die Einsatzkräfte Dzhokhar, der sich in einem trocken gelegten Boot im Garten eines Wohnhauses in Watertown schwer verletzt verschanzt hatte. Um 20.45 Uhr vermeldten die Behörden die Festnahme. "GEFASST!!! Die Jagd ist beendet. Die Suche ist erledigt. Der Terror ist vorüber. Und die Gerechtigkeit hat gesiegt. Verdächtiger in Gewahrsam", schrieb die Bostoner Polizei kurz darauf im Onlinedienst Twitter. Kritzeleien von Tsarnaev auf der Innenwand des Bootes deuteten auf einen islamistischen Hintergrund der Tat hin.

Der Bundesstaat Massachusetts, in dem Boston liegt, hat die Todesstrafe eigentlich abgeschafft. Der Fall wurde aber nach Bundesrecht verhandelt. Tsarnaev steht eine Reihe von Rechtsmitteln zur Verfügung, um gegen das Todesurteil vorzugehen. Die Vollstreckung der Todesstrafe ist auf Bundesebene zudem äußerst selten, seit Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA im Jahr 1976 wurden nur drei Häftlinge hingerichtet. Darunter war Timothy McVeigh, der im April 1995 bei einem Anschlag in Oklahoma City mehr als 160 Menschen tötete.

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