"Krone"-Interview

Niedermeyer: “Bin irgendwie in das Schicksal involviert”

Wirtschaft
01.06.2013 17:07
Schock für 580 Mitarbeiter: Die Firma Niedermeyer ist endgültig Geschichte. Im Interview mit Conny Bischofberger erinnert sich ihr 87-jähriger Gründer Helmut Niedermeyer an goldene Zeiten und eiserne Prinzipien.

Der vergangene Mittwoch war ein schwarzer Tag für Österreichs Arbeitsmarkt: dayli musste 180 Filialen zusperren, Niedermeyer Insolvenz anmelden. 1.000 Arbeitsplätze, vernichtet auf einen Schlag. Im burgenländischen Apetlon sitzt "der Herr Kommerzialrat Niedermeyer", wie er als Jagdpächter hier ehrfurchtsvoll genannt wird, unter einem Gemälde mit 13 Fasanen, umgeben von ausgestopften Leoparden, Fellen von Bären und Löwen, der Haut eines Krokodils und unzähligen anderen seltenen Jagdtrophäen. Man könnte glauben, der Mann habe sein Leben lang nur Tiere in Afrika erlegt.

Die Nachricht vom endgültigen Aus für die von ihm gegründete Kette hat den 87-Jährigen getroffen. "Ich habe ja vor langer, langer Zeit schon verkauft", sagt er, "trotzdem ist es natürlich mein Lebenswerk gewesen". Lebensgefährtin Traude nickt. Niedermeyer hat sie einst als Versandleiterin "eingekauft" – seit 40 Jahren sind sie auch privat ein Paar.

"Krone": Herr Niedermeyer, was ist in Ihnen vorgegangen, als Sie von der Insolvenz gehört haben?
Helmut Niedermeyer: Mir gehören nur noch die Häuser in der Alser Straße, in der Niedermeyer-Zentrale bin ich also noch der Hausherr. Abgesehen davon trifft es mich eigentlich nicht, weil ich ja schon 1999 verkauft habe. Trotzdem ist man irgendwie in das Schicksal involviert.

"Krone": Wie?
Niedermeyer: Ich hänge mit dem Herzen dran, obwohl ich mit dem Geschäft nichts mehr zu tun habe.

"Krone": Haben Sie bei Niedermeyer zuletzt auch noch eingekauft?
Niedermeyer: Alles. Bilderrahmen, Batterien, Handys. Wir sind manchmal gut, manchmal nicht so gut betreut worden. Wenn es nicht so gelaufen ist, wie ich es mir gewünscht hätte, war ich immer entsetzt, behauptet die Traude.

"Krone": Was haben die neuen Besitzer falsch gemacht?
Niedermeyer: Da maße ich mir kein Urteil an. Die Zeiten sind härter geworden, die Konkurrenz größer. Als ich mich zurückgezogen habe, hatte die Firma keinen Euro Schulden. Kredite hab ich immer nur kurzfristig aufgenommen - und wenn möglich nicht bei den Banken.

"Krone": Ein Niedermeyer-Erfolgsgeheimnis?
Niedermeyer: Ich denke schon. Ich hatte schlaflose Nächte, als ich von meinen Lieferanten 3.000 Praktica-Kameras übernommen habe, die ich erst in drei Monaten bezahlen musste. Ich hatte einen sehr guten Namen. Eine Praktica hat 1.390 Schilling gekostet, ein Vermögen! Ich hatte Sorge, ob ich das wegbekomme. Dabei hab ich's schon nach drei Wochen verkauft gehabt.

"Krone": Wollten Sie immer Unternehmer werden?
Niedermeyer: Ich war immer ehrgeizig. In Gefangenschaft war ich in kürzester Zeit Brigadier, einmal sogar Lagerkommandant. 1949 habe ich in Rumänien mein letztes Hemd für ein Stück Brot verkauft, bin in Holzschuhen und einer wattierten Jacke nach Wien gekommen. Als Verkäufer hab ich anfangs 570 Schilling verdient, war bald Filialleiter und machte mich dann selbstständig. Also hatte ich das Zeug zum Unternehmer wohl in mir.

"Krone": Ihr Sohn Christian hat die Firma nach 10 Jahren verkauft. Waren Sie damals enttäuscht von ihm?
Niedermeyer: Zwölferfrage! Natürlich wäre es der Wunsch des Vaters gewesen, dass der Sohn die Firma in seinem Sinn weiterführt. Andererseits hätte er es sicher nicht leicht gehabt, deshalb war es vielleicht besser so.

"Krone": Haben Sie Verständnis dafür, dass er lieber ein schönes Leben geführt hat, als das Familienunternehmen weiterzuführen?
Niedermeyer: Mein Sohn stammt aus einer anderen Generation, er hat ja nie Sorgen gehabt. Im Unterschied zu mir ist es ihm immer nur gut gegangen. Nachdem wir beide die Firma verkauft haben – 60 Prozent haben ja noch mir gehört – konnten wir beide ein sorgenfreies Leben führen.

"Krone": Ist eine harte Kindheit also förderlich für geschäftlichen Erfolg?
Niedermeyer: Meiner Meinung nach ja. Mich hat sie hart gemacht. Heutzutage ist eine Generation am Ruder, die gar nicht weiß, wie gut es ihr geht.

"Krone": Heute kaufen die Inder die Kärntner Hypo, die Briten Sport Eybl, und ein Familienunternehmen nach dem anderen sperrt zu. Erfüllt Sie das mit Sorge?
Niedermeyer: Das Leben ist Veränderung. Ich sehe das gelassen. Es ist außerdem nicht mehr mein Geschäft.

"Krone": Sind Ihre Gedanken noch bei den Menschen, die jetzt alle Ihre Jobs verlieren?
Niedermeyer: Sicher. Als Unternehmer denkt man immer an seine Mitarbeiter. Ich habe mit meinen ehemaligen Mitarbeitern, die heute alle in Pension sind, immer noch Kontakt. Was jetzt passiert ist, ist schrecklich für diese Leute, aber es ist das Leben. Und vielleicht ist ja auch die Politik nicht ganz unschuldig daran.

"Krone": Inwiefern?
Niedermeyer: Sie nimmt die Unternehmer ganz schön zur Ader. Die Sozialleistungen Österreichs sind schon bald unbezahlbar, von den Steuern ganz zu schweigen.

"Krone": Hand aufs Herz: Tut es sehr weh, dass es Niedermeyer bald nicht mehr gibt?
Niedermeyer: Natürlich wäre es mir lieber gewesen, wenn die Firma Niedermeyer auch ohne mich ein führendes österreichisches Unternehmen geblieben wäre. Leider ist das nicht der Fall. Ob's wehtut? Wissen Sie, dazu hab ich schon zu viel Böses erlebt in meinem Leben. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben, mein Vater war im KZ und ich in sowjetischer Gefangenschaft. 82 Kameraden erkrankten an Paratyphus, nur drei haben überlebt. Einer davon war ich.

"Krone": Ein Überlebenskünstler?
Niedermeyer: Ja, bis heute eigentlich. Ich schwimme noch täglich meine Runden, ich fahre Rad, ich rauche nicht und trinke wenig. Und wenn ich noch einmal beginnen könnte: Ich würde nichts anders machen.

"Krone": Wie alt möchten Sie werden?
Niedermeyer: Höchstens 95. Dann soll's aus und vorbei sein, wie beim Reh, das ich schieße. Das ist das Leben.

"Krone": Glauben Sie nicht, dass es danach noch etwas gibt?
Niedermeyer: Traude und ich diskutieren das manchmal. Sie sagt: Vielleicht werden wir wiedergeboren. Ich sage: Ausgeschlossen. Stell dir vor, was da auf der Welt los wäre, wenn jeder Regenwurm in einem Käfer oder Hund weiterlebt! Ich sehe auch das Ende mit ziemlich nüchternen Augen.

Seine Geschichte
Geboren am 28. Februar 1926 in Troppau, Sudetenland (heutiges Tschechien). Mit 17 zieht er in den Krieg, ist fast fünf Jahre in russischer Gefangenschaft. 1949 beginnt der Heimkehrer seine Karriere als Verkäufer beim ältesten Fotohaus Österreichs, Herlango am Wiener Graben. 1957 eröffnet Niedermeyer sein erstes "Röntgen-, Foto- und Filmartikelgeschäft" in der Mariahilfer Straße, es ist der Startschuss für den Aufbau eines österreichweiten Fotohandel-Imperiums. 25 Jahre später liegt sein Umsatz bereits bei 400 Millionen Schilling. 1989 übergibt er 40 Prozent der Kette mit 1.000 Mitarbeitern an seinen Sohn Christian, 1999 wird das Traditionsunternehmen verkauft.

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