Skinhead-Doku

ORF will Bänder nun doch geheim halten – Bandion erzürnt

Österreich
27.09.2010 14:41
Kehrtwende im Fall um die Herausgabe der Drehbänder der ORF-Skinhead-Doku: Nachdem das Wiener OLG angeordnet hatte, dass das Material an die Staatsanwaltschaft ausgehändigt werden muss, signalisierte der Sender zunächst, dass er dem Beschluss - wenn auch unter Protest - Folge leisten würde. Doch jetzt hat es sich der ORF offenbar anders überlegt. Das Justizministerium ist erzürnt.

Der ORF will die Bänder bis zu einer eindeutigen Klärung der zukünftigen Rechtslage "im Sinne eines Moratoriums" nicht an die Justiz übermitteln, wie ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz ankündigte.

Das Justizministerium antwortete am Montag auf die Provokation kurz und knapp: "Gerichtsbeschlüsse sind zu befolgen", so ein Sprecher. "Es geht um einen rechtsgültigen Beschluss eines Oberlandesgerichtes im Rahmen eines Verfahrens nach dem NS-Verbotsgesetz, dem sich in einem Rechtsstaat kein Bürger, kein Verein, keine Institution und auch kein Medium entziehen kann", teilte das Büro von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner mit. Es sei von jedem in diesem Land zu erwarten, dass er sich an die Regeln des Rechtsstaates hält und nicht den Versuch anstrengt, sich selbst über das Recht zu stellen. Schließlich stehe es jedem frei, die im Rahmen eines Verfahrens zur Verfügung stehenden Rechtsmittel zu ergreifen. Unabhängig von aktuellen Fällen sei man aber natürlich zu Gesprächen über Verbesserungen im Medienrecht bereit, so Bandion-Ortner.

"Blamage vor Menschenrechts-Gerichtshof ersparen"
Der ORF erwartet von der Justizministerin derweil ein "deutliches Bekenntnis zur Medienfreiheit". Als Ausweg "aus dem von der Wiener Neustädter Staatsanwaltschaft provozierten, mit demokratischen Medienfreiheitsstandards unvereinbarem Beschlagnahmedilemma" schlägt Redakteurssprecher Fritz Wendl eine Weisung Bandion-Ortners an die Staatsanwaltschaft vor. Die Behörde sollte die Herausgabe der Bänder so lange nicht verlangen, bis eine Entscheidung des vom ORF angerufenen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg vorliegt. "Das würde Österreich die Blamage einer Verurteilung durch den Menschenrechts-Gerichtshof ersparen."

Der ORF-Redakteurssprecher wies auch darauf hin, dass die ORF-Geschäftsführung gar nicht das Recht habe, die Bänder an die Staatsanwaltschaft herauszugeben, weil das darauf gespeicherte Material nicht zur Gänze dem ORF gehöre. Teile der Inhalte auf den Bändern seien "Arbeitsgrundlagen, eine Art elektronisch festgehaltener Notizen des Beitragsgestalters, also dessen geistiges Eigentum, über das der ORF keinerlei Verfügungsgewalt hat, es also auch nicht weitergeben darf". Das Rohmaterial sei mit Notizen von Printjournalisten zu vergleichen, und auch eine Zeitung dürfte ein Notizbuch eines ihrer Journalisten nicht der Staatsanwaltschaft übergeben. Wendl: "Will die Wiener Neustädter Staatsanwaltschaft noch immer das Redaktionsgeheimnis ignorieren und das Rohmaterial weiterhin haben, dann müsste sie das in einem weiteren Verfahren beantragen."

FPÖ: "Ein Skandal der Sonderklasse"
Kritik an der ORF-Entscheidung kam am Montag von der FPÖ. Generalsekretär Harald Vilimsky erklärte, das es "ein Skandal der Sonderklasse" sei, "dass der ORF sowohl die österreichische Gerichtsbarkeit wie auch den Rechtsstaat mit Füßen tritt". Es sei mehr als offensichtlich, dass der ORF etwas zu verbergen habe und die ganze Angelegenheit gewaltig zum Himmel stinke. Die Polizei solle deswegen versuchen, die von der Staatsanwaltschaft begehrten Bänder in Gewahrsam zu nehmen.

Als "völlig inakzeptabel" bezeichnete ÖVP-Verfassungssprecher Wilhelm Molterer die ORF-Vorgangsweise. "Warum behindern Wrabetz und Co. die Aufklärung einer möglichen NS-Wiederbetätigungshandlung?", so Molterer. "Das Ganze hat rein gar nichts mit dem Schutz der Pressefreiheit zu tun, sondern mit einem rechtsstaatlichen Verfahren. Von Führungskräften allgemein sollte man ein anständiges Verhältnis zum Rechtsstaat und seinen Gesetzen erwarten dürfen - insbesondere haben Vertreter einer öffentlich-rechtlichen Institution eine Vorbildfunktion einzunehmen", erklärte der frühere ÖVP-Mediensprecher.

SPÖ: "Redaktionsgeheimnis Eckpfeiler der Demokratie"
Die Molterer-Aussagen nannte wiederum SPÖ-Klubobmann und -Mediensprecher Josef Cap unverständlich. "Als Verfassungssprecher sollte es dem Kollegen Molterer bekannt sein, dass die Presse- und Medienfreiheit sowie das Redaktionsgeheimnis Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie sind. Der ORF agiert aus dieser Perspektive, ihm die Behinderung der Aufklärung einer möglichen NS-Wiederbetätigungshandlung zu unterstellen, ist schlicht absurd. Ich unterstütze Staatssekretär Ostermayer, der eine Präzisierung der Regelungen des Redaktionsgeheimnisses gefordert hat, und wünsche mir auch von der Justizministerin ein deutliches Bekenntnis zur Medienfreiheit", so Cap im SPÖ-Pressedienst. "Ohne Redaktionsgeheimnis existiert kein Schutz von vertraulichen Recherchen. Mein Ziel wäre die Stärkung der Rolle der Medien als vierte Gewalt und demokratischer Eckpfeiler."

Der grüne Mediensprecher Dieter Brosz zeigte ebenfalls Verständnis für den "Akt des zivilen Ungehorsams", wie er es formulierte. Österreich sei schon in der Vergangenheit mehrmals vom Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof in Straßburg "peinlich" verurteilt worden, weil das Oberlandesgericht Wien die Presse- und Meinungsfreiheit zu eng ausgelegt habe. "Ich bin gespannt, ob und wann Justizministerin Bandion-Ortner nun endlich bereit ist, medienpolitische Grundsatzfragen zu diskutieren und sich nicht hinter dem stereotypen Hinweis auf die Unabhängigkeit der Gerichte zu verschanzen", so Brosz.

BZÖ: "Bandion verantwortlich für derzeitige Zustände"
BZÖ-Mediensprecher Stefan Petzner übte angesichts der aktuellen Diskussion um Medien- und Pressefreiheit - neben der Skinhead-Affäre wurden jüngst Journalisten des Magazins "profil" in der Causa Hypo Alpe Adria von der Staatsanwaltschaft ohne rechtliche Deckung als Beschuldigte verhört - Kritik an Justizministerin Bandion-Ortner. "Sie trägt die politische Verantwortung für die derzeitigen Zustände und ist deshalb eine echte Kandidatin für einen Misstrauensantrag des BZÖ", so Petzner. Wenn die Meinungsfreiheit und Pressefreiheit von einer anderen tragenden Säule, nämlich der Justiz, direkt angegriffen werde, "dann wird es gefährlich, ist Nordkorea nicht mehr weit und lässt Metternich grüßen".

Die Skinhead-Reportage, bei der ein ORF-Team um "Am Schauplatz"-Reporter Eduard Moschitz mehrere Tage zwei jugendliche Glatzköpfe begleitet hatte, sorgt bereits seit dem Frühjahr für Aufregung. Zum rechtlichen Disput kam es, weil Moschitz dabei mit den beiden Jugendlichen eine Wahlveranstaltung der FPÖ in Wiener Neustadt besucht hatte. Dort gab es eine Begegnung mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der dem Redakteur vor laufender Kamera unterstellte, die Burschen zu einschlägigen rechten Parolen angestiftet zu haben, was aus den Aufnahmen aber nicht hervorgeht. Das Rohmaterial dieser Szenen machte der ORF öffentlich und stellte dieses auch der Staatsanwaltschaft zur Verfügung.

Erfolgte Nazi-Sager an anderen Stellen?
Bei der aktuellen Auseinandersetzung geht es um das übrige Drehmaterial der Reportage. Die Staatsanwaltschaft will offenbar prüfen, ob von den Jugendlichen an anderer Stelle Nazi-Sager getätigt wurden beziehungsweise ob etwaige Parolen, wenn es solche geben sollte, vom ORF-Reporter angeregt wurden. Im ORF betonte man zuletzt, dass auch auf dem nicht gesendeten Drehmaterial keine strafbaren Handlungen zu sehen seien, die eine gerichtliche Verfolgung nach sich ziehen würden.

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