Tierschutz ist „in“. Der zivilisierte Mensch des 21. Jahrhunderts ist selbstverständlich pro Tier- und Naturschutz. Man ist dafür, engagiert sich, kann mitreden. Ganz nach dem Motto „Wir sind Tierschutz“ wird alles gerettet, was nicht fliehen kann. Die Kollateralschäden dieses Hypes sind verstörte Straßenhunde in Tierheimzwingern, verängstigte Streunerkatzen in Wohnungen und freiheitsliebende Wildtiere in lebenslanger Gefangenschaft. Gut gemeint ist leider allzu oft das Gegenteil von gut. Mehr denn je findet sich Tierschutz im Spannungsfeld zwischen der Vermenschlichung und der Versachlichung der Tiere wieder. Auf der einen Seite werden Tiere verhätschelt und auf Händen getragen. Tierfriseure, Barf-Shops, Hundeexperten, Katzenpsychologen, Hühnerphilosophen und Co. haben Hochkonjunktur. Man empört sich über Tiertransporte und unterstützt das Tierschutz-Volksbegehren. (Vermeintliche) Tierquäler werden durch die moderne Lynchjustiz sozialer Medien hingerichtet. Gleichzeitig steigt der Fleischverbrauch kontinuierlich. Hektarweise werden Wälder gerodet, um Weideflächen für das Steak von morgen zu schaffen. Wir tauschen problematische Haustiere gegen ansprechendere aus. Wir benützen den Lebensraum von Weide- und Wildtieren ganz selbstverständlich für unser Vergnügen und stapfen zu Tausenden mit schreienden Kindern und bellenden Hunden durch Wald und Flur. Ist der Unterschied zwischen den Verhätschlern und den (Aus)nützern tatsächlich so groß? Dient nicht letztendlich alles einfach nur unterschiedlichen menschlichen Bedürfnissen? Tun wir, was wir Tieren (an)tun, nicht immer aus individuell-egoistischer Motivation? Tierschutz ändert zwar die Lebensumstände einzelner Tiere, aber die Situation der Tiere an sich hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht verbessert. Das Problem verlagert sich nur immer wieder auf andere Gebiete. Teilbereiche haben sich verbessert – z. B. sind Kettenhunde und die Anbindehaltung von Rindern Auslaufmodelle. Dafür haben sich völlig neue Abgründe aufgetan – Animal Hoarding und die Wohlstandsverwahrlosung von Tieren sind auf dem Vormarsch. Tierschutz ist weniger die Lösung eines Problems, als vielmehr die hauchdünne Schicht Menschlichkeit über der Fratze des Barbaren. Tierschutz hat seinen Zweck erst dann erfüllt, wenn er nicht mehr „in“, sondern obsolet ist.
Ingrid Strake, Tierschutzverein, Tierheim und Gnadenhof Purzel&Vicky, Vasoldsberg
Erschienen am Mo, 4.10.2021
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