Neuer Karriereboost

Life Of Agony: Endlich Frieden gefunden

Musik
04.05.2017 14:17

Life Of Agony-Frontfrau Mina Caputo hat in den 43 Jahren ihres Daseins mehr erlebt, als sich viele überhaupt vorstellen könnten. Nach ihrer erfolgreichen Geschlechtstransformation und einer umjubelten Comebacktour veröffentlichte die US-Band mit "A Place Where There's No More Pain" nun das erste Studioalbum nach zwölf Jahren. Hier die Geschichte einer ganz und gar außergewöhnlichen Band.

(Bild: kmm)

Depressionen, Angstzustände, Scham, Selbsthass und Selbstmordversuche - bevor sich Life Of Agony-Frontmann Keith Caputo vor sechs Jahren offiziell als Transgender outete und zu Mina wurde, durchlebte er die schlimmste Phase seiner Karriere. Hilflos gefangen in Erinnerungen an die Schläge seines Großvaters, an seine an einer Drogenüberdosis verstorbene Mutter, als er erst ein Jahr alt war, an die zerrüttete Kindheit, die harte Zeit im rauen New Yorker Stadtteil Brooklyn und die innere Unsicherheit, sich selbst längst gefunden zu haben, dies aber nicht nach außen tragen zu können. Als Mina Caputo mit Alan Robert und ihrem Cousin Joey Z. 1989 Life Of Agony ins Leben rief, fand die damals 16-Jährige endlich ein Ventil, um all den Frust des Lebens kanalisieren und rausschreien zu können.

Höllenkindheit
Die ersten Songs waren voller Hass - Homophobie und Rassismus waren zwar nicht direkt erkennbar, aber ein aufgezwungener Bestandteil eines verkorksten Lebens. "Dort begann ich mich endgültig selbst zu hassen", erinnert sich Mina im Gespräch mit dem "Rolling Stone" zurück, "ich bin mit meinem italienischen, frauenschlagenden Psycho-Großvater aufgewachsen, der alles hasste, was nicht selbst Italienisch war. Er hasste Transsexuelle, Schwule und Juden. Ich wusste schon immer, dass das falsch war, aber wenn du so autoritär und gewaltbegleitend erzogen wirst, dann ist es schwierig, mit einem Gegenargument aufzuwarten. Damals war ich ein Wrack, aber glücklicherweise lernt man im Leben dazu und verändert sich."

Transformationen hatte Mina Caputo des Öfteren, wenn anfangs auch nur im künstlerischen Sinn. Der Erfolg des kultigen Debütalbums "River Runs Red" aus dem Jahr 1993 stellte sich erst spät ein. Mit ihrem Mix aus groovigem Heavy Metal, Hardcore Punk und Classic Rock-Zitaten waren Life Of Agony ihrer Zeit weit voraus. Obwohl Bassist Robert schon damals der Texter war, schien das Konzept eines selbstmordgefährdeten Teenagers, dessen familiäre Welt aus den Fugen gerät und schlussendlich im Suizid endet wie auf Caputo zugeschnitten. Nur dass der realen Person nach jahrelangen Querelen mit sich und seiner Umwelt ein Happy End vergönnt war. "Ugly" brachte zwei Jahre später den kommerziellen Durchbruch, das intensive "Soul Searching Sun" war 1997 der Grabgesang für die exzentrische Band, die sich am Gipfel befindend auflöste, weil Caputo, gefangen im falschen Geschlecht und vollgepumpt mit Drogen, keine Freude mehr an ihrer wichtigsten Ausdrucksform fand.

Seelenreinigung
Eine halbherzige Reunion und zahlreiche Solo- bzw. Projektausflüge später schaffte Mina erst 2011 das längst fällige Coming-Out. "Irgendwann gab es für mich nur noch die Wahl, meine 'freakige' Kreatur aus mir herauszuholen, oder mir eine Kugel in den Kopf zu jagen", erzählt sie im "Krone"-Interview, "es kam der Zeitpunkt, an dem ich Freunde und Familie keinen einzigen Tag länger anlügen konnte." Die anfängliche Angst wich der Selbstsicherheit, der Zuspruch in der Metal- und Rockszene ob ihrer Veränderung war bahnbrechend und die negativen Internetkommentare blendete Mina von Anfang an aus. "Für mich war es schon immer schwierig, mich im Körper eines Mannes wohlzufühlen. Mein Coming-Out hat auch bandintern die Schleusen zu unseren Seelen geöffnet. Die Rolle der erzwungenen Maskulinität war bei den Jungs schnell verschwunden."

Bei Caputo hat sich neben der Optik auch die Stimme verändert. Die einzigartige, charismatische Röhre der alten Alben ist einem fragileren Timbre gewichen, das auf seine Art und Weise aber noch immer aus dem internationalen Stimmenwulst hervorsticht. Biedere Geschlechtsfragen sind Mina ohnehin zu kurz gegriffen. Sie sieht sich eher als universelles Wesen und betrachtet das Leben aus einer philosophischen Perspektive. "Wie auch immer man mich etikettieren will - ich bin einfach ein Mensch. Eine schöne und kreative Kreatur, die der Welt gerne wundervolle Dinge bescheren möchte. Wir alle sind Einwohner einer Galaxie und Dinge wie das Bildungssystem, Religion, Politik oder die unterschiedlichen Sprachen gehen gegen den Grundgedanken der Menschlichkeit. Sie trennen uns in verschiedene Lager und das ist der Anfang vom Ende."

DNA-Parallelen
Mit Mina zu sprechen, bedeutet auch die Normen des Alltäglichen hinter sich zu lassen. Exzentrisch und nachdenklich war die 43-Jährige schon in früheren Lebensphasen, doch nach der Transformation hat sich nicht nur großer Frieden, sondern auch esoterische Reflektion im Geist der Sängerin breitgemacht. "Mein Sein und mein Selbstbewusstsein haben sich erweitert. Hinter dem Fleischberg, den man Körper nennt, hat sich für mich eine komplett neue Welt aufgetan. Wie in einem Kosmos, in dem Planeten kollidieren und sich wieder aufbauen. Forscher haben in einer Krabbenart, die bei gefühlten minus 500 Grad Celsius zwei Meilen tief im Ozean lebt, dieselbe DNA gefunden wie in uns Menschen. Das ist fasziniert und lehrt Demut, denn mit diesen Erkenntnissen wird einem immer wieder gewahr, dass wir alle gleich sind und uns nur in Nuancen unterscheiden."

Das brandneue Album "A Place Where There's No More Pain" ist hingegen fest in der Realität verwurzelt. "Es sind Lieder, die sich um das Verlassenwerden, um Courage und um Angst drehen", präzisiert Caputo, "auf dem Album gibt es unheimlich viele dunkle Seiten, aber am Ende jedes Songs kommt man stets dem Licht nahe." Auf die eigene Vergangenheit geht Mina nur metaphorisch ein. "Ich schreibe keine Songs für transsexuelle Menschen, sondern für alle. Jeder von uns durchlebt ein mysteriöses Verlangen, die Antworten auf das Leben zu finden. Wir adressieren die Botschaften aber nicht direkt, sondern haben viel mehr einen universellen Zugang zu den entscheidenden Fragen unseres Daseins." In Songs wie "Meet My Maker" oder der abschließenden Piano-Ballade "Little Spots Of You" behandeln Life Of Agony ihre Ängste, den drohenden Tod und die großen Emotionen des Lebens. Wenn man musikalisch auch nicht die Klasse und Spannung der Meisterwerke erreicht, ist das mittlerweile zweite Comeback der Amerikaner ein durchaus gelungenes.

Keine Angst vor nichts
"Wir haben die besten Elemente unseres Debüts mit der Moderne, unserem derzeitigen Stand als Musiker, verbunden. Noch kein Album in unserer Historie wurde gemeinschaftlich mit so viel Herz verfasst, wie dieses. Wir sprechen direkt aus unseren Seelen zu euch." Für Mina Caputo und ihre Truppe ist "A Place Where There's No More Pain" der Startschuss in eine hoffentlich fruchtvolle Zukunft, in der sich Life Of Agony endgültig ihrer Wichtigkeit im Musikgeschäft gewahr werden- und das ohne jegliche Angst, Unsicherheiten und Rückschläge: "Heute fürchte ich mich vor nichts und niemandem mehr. Ich habe bereits alles durchlebt. Selbst der Tod jagt mir keinen Schrecken ein."

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