Viel Zeit zum Genießen und Feiern hatte Hannes Reichelt nach seinem Triumph in Wengen nicht. Sonntag am späten Abend kam er heim, ein paar Stunden mit Freundin Larissa, dann packte er schon wieder. Anreise nach Kitzbühel, die Rückkehr auf den Hahnenkamm. Voller Emotionen. Voller Erinnerungen an eine Heldentat, die fast die Vorstellungskraft sprengt.
Man kommt aus dem Staunen kaum heraus, wenn der 34-Jährige erzählt. Wenn er seine Schmerzen beschreibt, die bereits nach dem ersten Training an der Grenze des Unerträglichen gewesen waren. "Mein Rücken war schon davor lädiert, aber da", erinnert er sich, "muss ich noch einen Schlag bekommen haben, der alles viel schlimmer machte."
"Soll ich nicht doch zurückschieben?"
Lange überlegte er, ob er überhaupt starten soll. Nahm Schmerztabletten, trank viel heißen Tee, um alles wenigstens etwas erträglicher zu machen. "Ich dachte mir: Fahrst halt einmal raus aus dem Starthaus, und wenn's nicht geht, schwingst wieder ab. Als dann der Countdown für meine Fahrt losging, schoss es mir wieder durch den Kopf: Soll ich nicht doch zurückschieben, es für heuer bleiben lassen?"
Er fuhr trotzdem los. Und schwang erst im Ziel ab. Mit Bestzeit. Unter dem ohrenbetäubenden Jubel von rund 40.000 Fans. "Oben bei der Mausefalle dachte ich noch: Bau jetzt keinen Scheiß, Hannes. Aber dann wurde es eigentlich immer besser. Während so einer Fahrt vergisst man halt wahrscheinlich auch die Schmerzen."
Unbeschreibliche Schmerzen im Ziel
Umso brutaler meldeten sie sich im Ziel zurück. "Ich wollte mich niedersetzen, aber der Verantwortliche der FIS erlaubte es nicht. Deshalb hockte ich mich hin, und jeder dachte, dass mich meine Emotionen übermannen. Aber es waren die Schmerzen. Bei den Interviews stütze ich mich auf die Stöcke, damit keiner etwas merkt. Wenn der Kitz-Sieger nicht stehen kann, das wäre kein schönes Bild gewesen. Auch irgendwo eine Verhöhnung meiner Gegner."
Danach startete er noch im auf Sonntag verlegten Super-G, landete irgendwo jenseits der Top 40. Am Montag fuhr er sofort ins Krankenhaus.
Freundin von MRI-Bildern geschockt
Mit Freundin Larissa, die ihr Medizin-Studium fast abgeschlossen hat. Sie schlug entsetzt die Hände zusammen, als sie die MRI-Bilder sah: "Du musst operiert werden!" Was Dr. Michael Gabel bestätigte: "Sofort, in den nächsten 48 Stunden!" Bandscheibenvorfall. Akut. "Als ich aufwachte, scherzte der Arzt: Klar, dass du gewonnen hast – du konntest ja nicht mehr aus der Hocke aufstehen!" Und auch Hannes selbst hörte seither immer wieder, was nahezu alle Mediziner meinen: "Viele sagten mir, ich hätte gelähmt sein können, wenn da noch was passiert wäre!"
Ein Jahr danach stürzt er sich ab Dienstag wieder die Streif hinunter. 48 Stunden nach dem Wengen-Triumph. Vollfit. Und vor allem schmerzfrei.
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