Theaterpremiere

Tempo machen mit dem aktionstheater ensemble

Vorarlberg
03.12.2025 15:55

Das österreichische aktionstheater ensemble feierte am Dornbirner Spielboden (Vorarlberg) Premiere des neuen Stücks „Speed kills content“: Das Anlegen eines Sicherheitsgurts wird empfohlen. 

Uff, ist das anstrengend! Zwei Schritte vor und gleich wieder drei zurück – und das einen ganzen Abend lang – das aktionstheater ensemble startet in seiner neuesten Produktion „Speed kills content“ mit manischen Schrittfolgen statt mit Wortsalven und zeigt, worauf’s ankommt: Tempo, Tempo, Tempo! Wer da nicht mitkommt, bleibt über: Jö-Karte verloren? Punkte weg! Akku leer? Legitimation weg! Beziehungs-Aus? Wohnung weg!

Die Ensemblemitglieder erkunden in dieser Produktion, was auf der Strecke bleibt, wenn sich Menschen scheinbar nicht mehr wirklich frei entscheiden können, wenn sie mitschwimmen müssen, wenn Leben sich plötzlich anfühlt wie Überleben.

Burning down the house
Regisseur Martin Gruber ist bekannt dafür, seine Figuren auf der Bühne jene Nöte und Ängste ausagieren zu lassen, die uns alle im Heute auf die eine oder andere Weise erfassen: Klimakrise, Kriege, Künstliche Intelligenz, autoritäre Politikwandlung, Teuerung – darf‘s ein bisschen mehr sein? Dabei spitzt Gruber die Verhältnisse auf der Bühne immer noch etwas zu, gießt ein wenig Öl ins Feuer und brennt die Bude dann nieder: So sucht Isabella samt kleiner Tochter verzweifelt eine neue Wohnung, muss aber bei ihrem Ex bleiben, weil sich finanziell keine neue Unterkunft ausgeht. Ihre Kollegin Kirstin kann es sich dagegen leisten, ihre Wohnung in Wien leer stehen zu lassen, weil sie nun bei ihrem Ehemann am Land lebt. Der Kampf um die Wohnung beginnt, und Isabella greift dabei zu Mitteln, die auf zwischenmenschlicher Ebene meist nicht die besten Ergebnisse liefern: Manipulation und emotionale Erpressung.

Die Musiker Jean Phillip Oliver Viol, Pete Simpson und Andreas Dauböck liefern den teils ...
Die Musiker Jean Phillip Oliver Viol, Pete Simpson und Andreas Dauböck liefern den teils disruptiven Sound.(Bild: STEFAN HAUER 6850 DORNBIRN AUSTR)

Später wird Isabella für einen Höhepunkt im Stück sorgen – wenn sie wiedergibt, wie sie eine Sachbearbeiterin niedermacht, die ihr mit Delogierung droht: Mit den gröbsten Schimpfwörtern sucht sich Isabella hinter der größten Not zu verstecken – und steht am Ende völlig nackt da. Diese Verletzlichkeit schmerzt bis in die letzte Reihe auf der Zuschauertribüne.

Weitere Aufführungen

Termine: 4., 5. und 6. Dezember, 20 Uhr Spielboden Dornbirn. Und ab 11. Jänner im Wiener Theater am Werk.

www.aktionstheater.at

Auf keinen Fall kostümieren will sich auch Tamara. Ein Dirndl? Also da geht sie lieber ganz ohne. Gesagt getan: Sie tritt im transparenten Regenmäntelchen auf, Brüste und Scham mit schwarzen Kreuzen abgeklebt. Nein, sie würde sich niemals umbringen, denn das würde Aufmerksamkeit generieren, und genau das kommt für sie nicht mehr in Frage, verkündet sie. Endlich nicht mehr ständig im Mittelpunkt stehen – gelingt ihr in dieser Aufmachung famos. Dass ausgerechnet die Jüdin im Ensemble das schwarze Kreuz trägt, also das Symbol jener Organisation, die sich um die Grabpflege gefallener Soldaten, ziviler Kriegsopfer und Flüchtlinge kümmert, knüpft noch ganz andere Assoziationsketten.

Benjamin Vanyek (Mitte) wird von Thomas Kolle (re.) mit Markern degradiert – harte Bandagen.
Benjamin Vanyek (Mitte) wird von Thomas Kolle (re.) mit Markern degradiert – harte Bandagen.(Bild: Stefan Grdic)

Ein wenig Trost
Das ist die Stärke Martin Grubers Arbeit: Er lässt die Dinge immer ein Stück weit offen, sodass jeder und jede im Publikum den Theaterabend selbst mitschreiben, die Leerstellen mit eigenen Erinnerungen, Emotionen, Gedanken auffüllen kann. Dadurch liefert das Ensemble unglaublich lebendiges, waches Theater – hier wird Realität nicht abgemalt, sondern ein Raum geschaffen, in dem sie reflektiert werden kann. In dem jeder in Resonanz gehen kann, in Auseinandersetzung – zum Beispiel mit sich selbst. Am Ende reißt Gruber dem poppigen Kitsch, der uns immer wieder über den mühseligen Alltag zu retten scheint, in einer poetischen Geste jegliche verschmuste Rührseligkeit weg. Übrig bleibt ein wenig Trost – und der Soundtrack unserer Zeit: Atem, Atem, außer Atem.

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