Krise in Frankreich

„Die Fünfte Republik ist nicht mehr zeitgemäß“

Außenpolitik
07.10.2025 17:39

Frankreich taumelt – und mit ihm Europa. Nach dem Blitz-Kollaps der neuen Regierung steht Präsident Emmanuel Macron vor einem Scherbenhaufen. Die Börsen zittern, Brüssel bangt –  und Experten sehen das Ende einer Ära gekommen.

Paris steht am Rand eines politischen Nervenzusammenbruchs – und mit ihm Europa. Nach dem spektakulären Scheitern der erst 14 Stunden alten Regierung von Sébastien Lecornu herrscht in Frankreich wieder einmal Chaos. Die Finanzmärkte reagierten panisch: Der Leitindex CAC 40 stürzte ab, der Euro fiel, und Analysten warnen vor einer drohenden Herabstufung durch Moody’s am 23. Oktober. „Die Märkte hassen Instabilität – und in Frankreich scheint sie nun Dauerzustand zu sein“, heißt es in Brüssel.

Für den französischen Politologen Landry Charrier ist die aktuelle Krise kein plötzlicher Schock, sondern „das Ergebnis einer Dynamik, die 2022 ihren Ursprung genommen hat und 2024 durch die Auflösung der Assemblée Nationale verschärft wurde“. 2022 war das Jahr, in dem Emmanuel Macron zwar erneut die Präsidentschaft gewann, aber bei den Parlamentswahlen seine absolute Mehrheit verlor. „Damit begann die schleichende Lähmung des politischen Systems“, sagt Charrier.

Frankreichs Präsident Macron (links) und Ex-Regierungschef Lecornu
Frankreichs Präsident Macron (links) und Ex-Regierungschef Lecornu(Bild: AP/Ludovic Marin)

Macron habe „in seiner ersten Halbzeit die ganze Macht auf seine Person konzentriert“, ohne die versprochene Modernisierung des politischen Systems umzusetzen. „Nun rächt es sich“, so Charrier. Frankreichs Politik sei an ihrer eigenen Unbeweglichkeit zerbrochen.

Lecornu, der als Kompromisskandidat galt, wollte Brücken bauen – doch auf der einen Seite die linke La France Insoumise (LFI) und auf der anderen der rechtsextreme Rassemblement National (RN) setzten auf Konfrontation. Die Sozialisten (PS) und die Konservativen (LR) wiederum witterten angesichts günstiger Umfragen ihre Chance zur Profilierung. „Frankreich ist an seiner fehlenden Kompromissfähigkeit gescheitert“, fasst Charrier zusammen. „Der Eklat war vorprogrammiert.“

Frankreich – zu groß, um zu scheitern
In den europäischen Hauptstädten wächst die Sorge, dass der Machtverfall Macrons auch die Stabilität der EU gefährdet. Diplomaten sprechen von einem „Kontrollverlust im Herzen Europas“. Frankreich, zweitgrößte Volkswirtschaft der Union, einzige Atommacht und ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats, gilt als zu groß, um zu scheitern. Doch genau das scheint nun möglich. Schon warnen Ökonomen, eine Herabstufung der französischen Kreditwürdigkeit könne die gesamte Eurozone ins Wanken bringen.

In ganz Frankreich gehen Menschen auf die Straßen und fordern Neuwahlen.
In ganz Frankreich gehen Menschen auf die Straßen und fordern Neuwahlen.(Bild: AP)

Während sich Marine Le Pens RN und Jean-Luc Mélenchons LFI gegenseitig im Populismus überbieten, verliert Macron rapide an Rückhalt. „Die von Links- und Rechtsextremisten orchestrierte Verteufelung des Präsidenten hat weite Teile der Bevölkerung erfasst“, sagt Charrier. „Macrons Name ist verbrannt. Selbst ehemalige Verbündete wenden sich von ihm ab, um keinen Schaden davonzutragen.“

Macron schweigt zu Rücktritts-Gerüchten
Gerüchte über einen möglichen Rücktritt mehren sich, offiziell schweigt der Präsident. Doch selbst ein solcher Schritt, warnt Charrier, wäre keine Lösung: „Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass Präsidentschaftswahlen das Allheilmittel sind. Die Fünfte Republik ist nicht mehr zeitgemäß; sie wurde 1958 von Charles de Gaulle auf seine Person zugeschnitten. Frankreich braucht eine neue Verfassung, die dem Parlament mehr Macht gibt und den Präsidenten stärker kontrolliert.“

Europa blickt gebannt auf Paris – und fragt sich, ob das Land, das einst den Motor der europäischen Integration bildete, nun zum Risiko für den ganzen Kontinent wird.

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