SPÖ-Ministerin Korinna Schumann im großen Interview – über weniger Geld für Senioren, die Sozialhilfe, 9000-Euro-Familien, Wartezeiten beim Arzt und Gastpatienten.
„Krone“: Frau Ministerin, wird die SPÖ demnächst den Parteinamen ändern und das Sozial aus Sozialdemokratische Partei Österreichs streichen lassen?
Korinna Schumann: Ganz bestimmt nicht. Das Soziale ist in unserer DNA tief verwurzelt und trotz aller Einsparungsmaßnahmen ist es wichtig zu schauen, dass wir den Sozialstaat in Österreich erhalten können.
Parteichef Andreas Babler ist mit der Vermögensteuer in den Wahlkampf gegangen, jetzt kürzen Sie Familien, Behinderten und Pensionisten das Geld. Wie sozial soll das sein?
Als wir übernommen haben, war das Budget schlecht, aber mit jeder Woche ist es ein bisschen schlechter geworden. Nach dem musste man sich richten. Jede Maßnahme, die wir setzen, versuchen wir auf anderer Seite abzufedern, damit die Belastungen niemanden im Übermaß treffen. Es ist schon Wesentliches passiert im Interesse der Menschen.
„Mit der SPÖ wird es keine Pensionskürzungen geben“, hat Babler in einem Brief an Österreicher im September 2024 vor der Wahl noch versprochen. Ist das für Sie Wählertäuschung?
Wir haben keine Pensionen gekürzt. Wir haben nicht im vollen Ausmaß für alle Pensionistinnen und Pensionisten die Inflationsanpassung durchgeführt. Aber immerhin haben 71 Prozent aller Senioren die volle Pensionsabgeltung bekommen.
Vielen Pensionisten bleibt am Ende weniger im Börsel. Was, außer einer Kürzung, soll das sonst sein?
Im Raum sind ganz andere Dinge gestanden. Ein Eingriff in das Pensionskonto, in die Pensionshöhen, in die Schwerarbeitspension. All das hat nicht stattgefunden. Wir haben uns nach der Decke strecken müssen mit den Pensionserhöhungen. Und ja, das tut mir wirklich weh.
Aber wie soll es weitergehen? Das Geld wird sich auch in den nächsten Jahren nicht auf wundersame Art und Weise vermehren. Mit welchen Einschnitten müssen die Pensionisten noch rechnen?
Von Einschnitten ist keine Rede, wir haben jetzt einmal den Pensionsabschluss für 2026 gemacht. Die Pensionshöhe hängt von der weiteren Entwicklung ab. Wir brauchen einen wirtschaftlichen Aufschwung, der die budgetäre Lage besser gestaltet.
Wir haben keine Pensionen gekürzt. Wir haben nicht im vollen Ausmaß für alle die Inflationsanpassung durchgeführt.
Über Geld an Senioren
Und wo soll dieser wirtschaftliche Aufschwung auf einmal herkommen?
Wir hoffen darauf. Das muss man ganz ehrlich sagen. Es werden von der Regierung eine Vielzahl von Maßnahmen gesetzt. Die Industriestrategie ist ein wesentlicher Punkt. Wir versuchen, die Lebensmittelpreise zu senken. Und wir haben mit dem Mietstopp dazu beigetragen, zu schauen, wie wir die Inflation senken können.
Bablers Mietpreisbremse ist ein Hohn. Professor Peter Filzmaier hat sich das für uns angesehen. Eine Familie zahlt monatlich 700 Euro Miete. Sollte die Inflation vier Prozent betragen, erspart sich die Familie drei Euro und 50 Cent.
Diese Rechenbeispiele sind jetzt nicht die Frage, sondern dass in die Mietpreise eingegriffen wurde. Es hat einen Mietpreisstopp gegeben, auch im geförderten Bereich. Damit hat man vielen Menschen, die armutsgefährdet sind, wirklich eine Entlastung gegeben. Auch die Befristung der Vermietung wird auf fünf Jahre hinaufgesetzt. Das wird sich sehr wohl dämpfend auf die Mietpreise auswirken.
Reden wir über die Mindestsicherung. Nach mehreren Präsentationen des Startschusses zu einer Reform der heimischen Sozialhilfe haben Sie den 1. Jänner 2027 als Datum für die Umsetzung genannt. Eilig haben Sie es nicht. Was dauert da so lange?
Das ist eine sehr große Reform mit sehr vielen Teilen, die ineinanderwirken müssen, bei der wir alle Länder an Bord bringen wollen. Nichts ist schlechter als eine Reform, die vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wird. Das braucht seine Zeit.
Das Herzstück der Reform ist eine Wartefrist für Flüchtlinge. Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte sollen eine „Integrationsphase“ mit Deutschkursen und anderen Integrationsmaßnahmen durchlaufen. Währenddessen gibt es nur eine reduzierte Geldleistung. Wie soll das rechtlich halten?
Das muss natürlich so ausgestaltet sein, dass es sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich hält. Das muss verbunden sein mit einem sehr raschen Einsatz der Integrationsmaßnahmen. Integration ab dem ersten Tag ist hier der wichtige Punkt. Auch mit einer starken Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt.
Wir müssen jetzt einen guten Weg finden, damit diese Summen in Zukunft nicht mehr ausgezahlt werden.
Über die Sozialhilfe
Das Sozialministerium hat beim Verfassungsschutz ein Gutachten in Auftrag gegeben und das kommt zum Entschluss, dass dieses Vorhaben nicht zulässig ist. Kurz zusammengefasst: Das Geplante widerspricht sowohl EU-Recht als auch unserer Verfassung, wie auch der Sozialrechtsexperte Walter Pfeil urteilt. Ein Rohrkrepierer.
Wir sind jetzt am Verhandeln. Ganz ehrlich, dieses Gutachten hat als Grundlage gedient und war aus meiner Sicht zur Vertraulichkeit gedacht. Was mich wirklich mit Sorgen befüllt hat, ist die Tatsache, dass dann gesagt wurde, auch Österreicher müssen in die Integrationskurse gehen. Also nein, das passiert wirklich nicht.
Wir haben über die syrische Großfamilie mit elf Kindern berichtet, die 9000 Euro an Sozialleistungen erhält. Wenn es nach Ihnen geht: Wie viel soll diese Familie in Zukunft bekommen?
Bei dieser Summe verstehe ich jeden, der arbeiten geht, dass das keine Freude macht und zu Unverständnis führt. Wir müssen jetzt einen guten Weg finden, damit diese Summen in Zukunft nicht mehr ausgezahlt werden, aber die Menschen gleichzeitig nicht ins Bodenlose fallen.
Bei solchen Summen gehen alle Arbeitsanreize verloren. Wundern Sie sich auch manchmal, dass überhaupt noch jemand an der Supermarktkasse sitzt?
In keiner Weise. Wenn ich mir die Lebensrealität der Menschen anschaue, dann brauchen die das Geld ihrer Arbeit an der Supermarktkasse zu 100 Prozent. Und wir haben ja in der Sozialhilfe auch sehr viele Menschen, die Aufstocker sind. Die Sozialhilfe ist vielschichtig, es bekommen ja auch nicht alle die volle Summe.
Was verdient eine Kassenkraft aktuell Vollzeit für 38,5 Stunden?
Ich kenne die Summen. Aber jetzt geht es nicht darum, mich abzuprüfen. Ich weiß, wo wir ein Problem haben.
In einer Stellenanzeige fand ich 2195 brutto. Das sind 1734 Euro, netto. Die Mindestsicherung in Wien beträgt 1209 Euro. Allerdings erhält die Kassiererin keinerlei Mietbeihilfe und hat die vollen Ausgaben für ORF-Gebühr, Rezeptgebühr, Öffis, Bäder, Hundeabgabe und so weiter zu leisten. Wieso in der Früh noch aufstehen?
Die Sozialhilfe kriegt man zwölfmal im Jahr, es gibt kein Weihnachtsgeld und kein Urlaubsgeld. Das Einkommen ist zudem wirksam für die Pension, das ist ein ganz wesentlicher Punkt.
Also fünf oder sechsmal in der Woche um fünf Uhr aufstehen, damit sich hoffentlich eine Woche Urlaub im Jahr ausgeht. Das steht doch in keiner Relation.
Ich weiß, dass es schwere Berufe gibt. Aber eine Beschäftigung zu haben, das ist auch ein hoher Wert.
Wir müssen noch über die Gesundheit reden. Im Wahlkampf hat die SPÖ Folgendes versprochen: Arzttermin binnen 14 Tagen. Wann kommt das?
Wir arbeiten intensiv daran, die Informationshotline 1450 auszubauen, um so zu einer besseren Lenkung der Patienten zu kommen. Wir haben stark am Ausbau der Primärversorgungseinheiten gearbeitet und werden das auch noch weiter tun.
Aktuell beträgt die Wartezeit in Wien auf einen Frauenarzt 32 Tage.
Woher haben Sie die Zahl?
Ich bin nicht verblüfft. Mich wundert es nur, dass die Ärztekammer Statistiken über die Wartezeiten führt.
Über Statistiken
Die Zahlen sind von der Ärztekammer. Zweifeln Sie die an?
Ich habe die Zahlen noch nie gehört. Da muss ich fragen, da muss ich den Ärztekammer-Präsidenten Steinhart anrufen.
Ja, rufen wir an.
Jetzt nicht, nein. Ich glaube Ihnen, wenn Sie sagen, diese Zahlen sind von der Kammer, weil es hat schon Zahlen gegeben, die waren von Privatversicherungen mit eigenen Interessen und da muss man aufpassen.
Wenn Sie so verblüfft sind: Wie lange warten Sie auf einen Arzttermin?
Ich bin nicht verblüfft. Mich wundert es nur, dass die Ärztekammer Statistiken über die Wartezeiten führt. Das erstaunt mich. Wir werden jedenfalls alles daransetzen, um Wahlärzte mit Anreizsystemen zu überzeugen, ins kassenärztliche System zu wechseln. Und wir werden einen Schwerpunkt in der Frauenmedizin und den Erstversorgungszentren setzen. Ich warte genauso lange wie jeder andere.
Wien leidet aktuell stark unter den Gastpatienten aus anderen Bundesländern. Das kostet die Hauptstadt 610 Millionen Euro pro Jahr, weswegen es einen Deckel und bald eigene OP-Wartelisten für diese Menschen gibt. Wie sieht Ihr Lösungsvorschlag aus?
Es gibt ja das Angebot des Bürgermeisters, dass man zum Gesundheitsgipfel in dem Bereich lädt. Das ist sehr wichtig, dass die Länder das untereinander bereden. Wir haben die Gastpatientenproblematik ja nicht nur in Wien, sondern auch in Tirol.
Wird es vom Bund mehr Geld geben, um das Problem zu lösen?
Aus dem Bereich der Finanzleistungen sicher nicht. Sie kennen wohl die Finanzstruktur, die wir haben. Uns sind in finanzieller Weise im größten Ausmaß die Hände gebunden.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage. Welche drei Dinge würden Sie aus Ihrer brennenden Wohnung retten?
Also meinen Mann (lacht). Eines meiner Bücher, meine Bücherliebe ist furchtbar. Und den letzten Brief, den ich von meiner Mutter vor ihrem Tod bekommen habe.
Wollen Sie verraten, was sie geschrieben hat?
Das möchte ich nicht sagen. Aber sie hat mich sehr gemocht.
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