steirischer herbst

Eröffnung mit weißer Fahne und roten Lippen

Steiermark
19.09.2025 15:11

Bunter Eröffnungsreigen um leere Floskeln und große Gesten: Der steirische herbst startete am Donnerstag mit Performances am Freiheitsplatz und in der List-Halle. Bis 12. Oktober ist in der ehemaligen Destillerie Bauer die große herbst-Ausstellung zu sehen.

Und jetzt machen wir alle einen Schritt nach links. Zart aber entschlossen flüstert das Performancekollektiv LIGNA den Premieren-Gästen des steirischen herbst Befehle und Denkanstöße ins Ohr: Es ist eine Art kollektives und interaktives Hörspiel, das sie mit „Freiheitsplatz“ inszenieren und in dem sie den Bogen von 1918 (als der Grazer Franzensplatz zum ersten Mal in Freiheitsplatz umgetauft wurde) über 1938 (als die Nazis den Platz ein zweites Mal „befreiten“), bis in die Gegenwart (in der sich die steirische Kulturprominenz im Schauspielhaus zur Eröffnungsrede von Ekaterina Degot im Schauspielhaus trifft) spannt.

Freiheit, was ist das, wer bestimmt seine Bedeutung und ist das Wort nicht längst eine leere Floskel? Diese Frage steht im Zentrum, der treffenden, im Kern aber recht harmlosen Eröffnungsperformance.

Kraftvolles Symbol oder leere Geste? Am Ende von „Tribute to Kurt Jooss’ Green Table“ schwenkt ...
Kraftvolles Symbol oder leere Geste? Am Ende von „Tribute to Kurt Jooss’ Green Table“ schwenkt Frederic Gies die weiße Fahne.(Bild: Johanna Lamprecht)

Die großen, aber letztlich leeren Gesten einer friedlichen Weltordnung wurden in der List-Halle von Manuel Pelmus und Frederic Gies umtanzt – von wild agitierender Körpersprache eines (politischen) Redners, bis zur Parade mit der weißen Friedensfahne, die aber bereits ihren Endfaden zu verlieren scheint.

Absoluter Höhepunkt des Eröffnungsreigens war die Konzertperformance von Ivo Dimchev, der seine rot geschminkten Lippen um die erigierten Seelen der Besucher legte und ihnen mit einem grandiosen Mix aus Humor, Funk und Provokation den Marsch blies: Lobeshymnen auf die Masturbation und die Klitoris wechselten sich da mit Liedern über sexualisierte Gewalt oder einen Song, in dem sich Donald Trump für seine Insensibilität entschuldigt, ab. Dazwischen stellte Dimchev dem Publikum provokative Fragen und verwickelte sie in wunderbar verfängliche Aktionen. Warum? Die Frage ist, warum nicht? Denn, wenn die Freiheit noch keine ganz leere Floskel ist, dann steht es ja jedem frei, sich zu verweigern, nicht wahr?

herbst-Ausstellung
Im Labyrinth konträrer Meinungen

Nicht nur das Motto des steirischen herbst lautet „Never Again Peace“, auch die von Ekaterina Degot zusammengestellte Ausstellung im Gebäude der ehemaligen Destillerie Bauer folgt diesem kuratorischen Prinzip. Zentrales Thema ist die ideologische Polarisierung, die sich auch in den 19 künstlerischen Positionen niederschlägt. Fast alle haben ihre Beiträge eigens für die Schau angefertigt.

Destillerie Bauer verwandelt sich in den BAU
Destillerie Bauer verwandelt sich in den BAU(Bild: Martin Pelzmann)

Das Gebäude selbst, kurzerhand in das vieldeutige BAU umbenannt, ist ein wesentlicher Bestandteil der Ausstellung, ein düsteres Labyrinth voller schmaler Gänge und unsicherer Treppen. Das nützt die Gruppe Gelitin für ihre Arbeit im Keller, für die man schon ein wenig Mut mitbringen muss. Das Wagnis lohnt sich aber – und mehr sei hier auch nicht verraten. Ein Plan hilft auch beim übrigen Erkunden, erstrecken sich die Räume, die einst nicht nur Destillerie, sondern auch Werkstätten, Büros und Polizeiwohnungen beherbergten, über mehrere Stockwerke. Das gibt Platz für beklemmende Installationen und Videoarbeiten.

Eröffnungsrede von Intendantin
Aufschrei gegen die Unfreiheit

„In welchen Zeiten leben wir?“, fragt Ekaterina Degot zu Beginn ihrer Eröffnungsrede im Grazer Schauspielhaus. Einerseits hingen wir noch in der „verstaubten Nachkriegszeit“ fest, sagt sie, andererseits blicken wir auf die Gegenwart und müssten uns fragen, ob es nicht längst schon die nächste „Vorkriegszeit“ sei.

Denn der gesellschaftliche Konsens für den Antifaschismus, der bei der Gründung des steirischen herbst einst auch im liberalen Lager noch herrschte, das wusste, „dass sie die Fenster aufmachen und die Welt hereinlassen mussten“, beginnt genauso zu bröckeln wie die Freiheit der Kunst. „Es scheint, die Kunst gilt nur als frei, wenn sie frei von Politik ist“, warnt Degot vor aktuellen Entwicklungen und erinnert daran, dass es die Kunst war, die – etwa im Fall des Wiener Aktionismus oder der Pussy Riots – am lautesten auf aufkeimende „Unfreiheiten“ reagiert hätte.

Und sie endet die Rede mit einer Kampfansage: „Beim steirischen herbst reden wir viel, unterhalten uns viel, manchmal singen wir, manchmal flüstern wir. Aber wenn der Moment gekommen ist, werden wir auch schreien können.“

Krieg und Verfolgung sind nicht nur bei Haim Sokol Thema
Krieg und Verfolgung sind nicht nur bei Haim Sokol Thema(Bild: Reichart Michaela)

Gleich beim Eingang findet man Ahmet Öğüts „Sports Club of the Forbidden Colours“. Er nützt in bestimmten Ländern verbotene Farben und macht Vereine für Randsportarten damit zu Protestgruppen. Schräg gegenüber wartet Candice Breitz’ Video über Esther Bejarano, die Auschwitz als Musikerin im Orchester überlebte und später zur scharfen Kritikerin Israels wurde. Mit Modellen der Surfklubs an den Stränden des Gazastreifens erzählt Stephan Mörsch von der Säkularisierung des Gebiets, und auch Haim Sokol, Illya Pavlov, Dana Kavalina und andere widmen sich den Themen Krieg und Flucht. Das in Richtung Pro-Palästina ausschlagende Pendel ist dabei unübersehbar.

Gewalt in der Familie (bei Carla Åhlander und Gernot Wieland) ist aber ebenso ein Thema wie der Bezirk Gries (bei Elias Holzknecht) oder die Erniedrigung von Frauen (bei Pauline Curnier Jardin). Eine besondere Intervention sind die „Six Characters of Hotel W.“, in der Madame Nielsen, Ilija Trojanow und andere die Wirren der Nachkriegszeit beschreiben.

Porträt von Steirerkrone
Steirerkrone
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