Mehr als eine halbe Million Menschen im Gazastreifen leiden unter Hunger. In der Region um die Stadt Gaza im Norden des Küstenstreifens bekämen rund 514.000 Menschen nicht genug zu essen, erklärte die führende Initiative für Ernährungssicherheit IPC am Freitag. Israels Premier Benjamin Netanjahu will dem UN-Bericht jedoch keinen Glauben schenken: Er bezeichnete ihn gar als „glatte Lüge“.
Die IPC (Integrated Food Security Phase Classification) ist eine Initiative von 21 Hilfsgruppen und Organisationen der Vereinten Nationen, die unter anderem von der EU finanziert wird. Für die Einstufung als Hungersnot müssen mindestens 20 Prozent der Menschen unter extremer Nahrungsmittelknappheit leiden, jedes dritte Kind akut unterernährt sein und täglich zwei von 10.000 Menschen an Hunger oder den Folgen sterben. Bis Ende September werde die Zahl der hungernden Menschen im Gazastreifen voraussichtlich auf 641.000 ansteigen, warnt die IPC.
Die Initiative hatte bereits zuvor erklärt, dass die für eine Hungersnot notwendigen Kriterien im Regierungsbezirk Gaza, in dem auch die Stadt Gaza liegt, erfüllt seien.
UN-Chef Guterres spricht von Vorsatz
UN-Generalsekretär António Guterres sieht die Verantwortung für die Hungersnot in Teilen des Gazastreifens bei Israel. „Als Besatzungsmacht hat Israel eindeutige Verpflichtungen nach internationalem Recht – einschließlich der Pflicht, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten sicherzustellen“, sagte Guterres. Was nun passiere, sei der „vorsätzliche Zusammenbruch der Systeme, die für das menschliche Überleben notwendig sind“.
Guterres: „Versagen der Menschheit selbst“
Es handle sich um eine von Menschen verursachte Katastrophe, moralischen Bankrott und ein „Versagen der Menschheit selbst“, so Guterres weiter. Man dürfte nicht zulassen, dass die Situation in Gaza ungestraft weitergehe. „Keine Ausreden mehr. Die Zeit zum Handeln ist nicht morgen – sie ist jetzt. Wir brauchen einen sofortigen Waffenstillstand, die sofortige Freilassung aller Geiseln und uneingeschränkten, ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe.“
Auch UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk machte die israelische Regierung für die Hungersnot im nördlichen Gazastreifen verantwortlich. Dies sei das „direkte Ergebnis der von der israelischen Regierung ergriffenen Maßnahmen“, erklärte Türk. Der Einsatz von Hunger als Waffe sei ein Kriegsverbrechen.
Militär: „Lügenkampagne der Hamas“
Schon die israelische Militärbehörde Cogat warf den Vereinten Nationen im Gegenzug vor, unbewiesene Behauptungen zu verbreiten. Cogat verwies auf die Hamas, der sie eine Lügenkampagne über Hungersnot vorwirft.
Netanjahu spricht von Hungerprävention
Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu selbst nannte den Bericht nun eine „glatte Lüge“. Israel verfolge keine Politik des Aushungerns, sondern der Hungerprävention, so Netanjahu. Israel habe seit Beginn des Krieges die Lieferung von zwei Millionen Tonnen Hilfsgütern in den Gazastreifen ermöglicht. Viele Lastwagen seien allerdings geplündert worden, ehe sie die Warenhäuser für Hilfsgüterverteilung erreicht hätten.
Zuvor hatte bereits das israelische Außenministerium mitgeteilt, es gebe keine Hungersnot in Gaza. Die Einschätzung der zuständigen IPC-Initiative basiere auf falschen Angaben der Hamas. In den vergangenen Wochen hätten Hilfslieferungen „den Gazastreifen mit Grundnahrungsmitteln überschwemmt“.
„Die Tore der Hölle werden sich öffnen“
Unterdessen wurden laut Israels Verteidigungsminister Israel Katz die Pläne zum Einsatz der Armee gegen die Hamas in Gaza Stadt genehmigt. Dies beinhalte die Umquartierung der Bewohner der größten Stadt des Gazastreifens. „Die Tore der Hölle werden sich bald über den Mördern und Vergewaltigern der Hamas in Gaza öffnen – bis sie Israels Bedingungen zur Beendigung des Krieges zustimmen“, drohte Katz.
Andernfalls werde die Stadt Gaza aussehen wie Rafah und Beit Hanun. Beide Orte wurden durch israelische Bombardierungen großflächig zerstört. In der Stadt Gaza halten sich Schätzungen zufolge derzeit noch rund eine Million Menschen auf. Die ohnehin katastrophale Lage der Zivilbevölkerung würde sich durch die Offensive noch weiter verschlimmern.
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