Schöne Momente, die Stückwerk bleiben: das barocke Opernfragment „Ambleto“ aus der Feder von Francesco Gasparini im Theater an der Wien.
Am Höhepunkt des Dramas gibt es ihn dann, diesen besonderen Musiktheater-Moment. „So zeig‘ ich dir meine Treue“, singt Erika Baikoff als tief erschütterte Ophelia ihrem geliebten Hamlet. Sie durchbohrt ihn dabei ruhig, aber bestimmt mit dem gigantischen Küchenmesser - und erlöst ihn von seinem irrwitzig blutigen Amoklauf.
Dieser innig wie dramatisch musizierte Moment lässt am Dienstag viele Schwachstellen dieser „Ambleto“-Premiere im Theater an der Wien vergessen. Dass ebendiese Erika Baikoff im ersten Teil mit ihrem lodernden Sopran das zart besetzte Orchester an die Wand singt. Dass Counter Raffaele Pe sich erst zu einem präsenten Hamlet steigern muss, der Schönklang seiner Stimme der Dramatik dieser Rolle aber bis zuletzt im Weg steht. Dass man Shakespeares Königsdrama auch anders erzählen kann – nicht zwingend als Blutrausch mit Riesen-Axt. Dass das Opern-Fragment von Francesco Gasparini trotz aller Bemühungen der klugen Regie von Ilaria Lanzino Stückwerk bleibt.
Von Gasparinis Musiktheater sind nur Arien erhalten, die Rezitative fehlen. Im Theater an der Wien werden sie durch – vom Tonband eingespielte – Zwischentexte ersetzt. Dass diese Texte nicht den nötigen dramaturgischen Kit zwischen den Arien schaffen, zeigt der Gegenbeweis: Im zweiten Teil erklingt ein „musikalisch informiert“ rekonstruiertes Rezitativ. Da blitzt der Bogen auf, der dem ganzen Abend fehlt. Daran ändert auch die kluge Drehbühne von Martin Hickmann mit geschickt verschachtelten Räumen einer schicken skandinavischen Bürgerwohnung nichts, in der Hamlet sich nach dem Tod des geliebten Vaters in den mörderischen Wahnsinn treibt. Auch die ausdrucksstark gestellten Bilder in Stop-Motion-Manier überbrücken die Lücken des optisch in die Gegenwart geholten Familiendramas nicht.
Für Brüche sorgt auch die Tatsache, dass die Produktion auf einen Dirigenten verzichtet. Elisa Citterio, die Konzertmeisterin des schmal besetzten, aber fein musizierenden Ensembles La Lira di Orfeo, leitet den Abend beherzt und stehend spielend aus dem Graben. Hauptdarsteller Raffaele Pe fungiert als musikalischer Leiter und setzt auf musikalisches „Sich-auf-einander-Einstimmen“. Eine schöne Idee, die nicht immer aufgeht – dafür ist selbst das intime Theater an der Wien zu groß. Seelenvolle stimmliche Eleganz bringt Ana Maria Labin als Hamlets Mutter Gertrude ein, für Schwung und Witz sorgt Counter Maayan Licht als Ophelias Bruder Laertes.
Es gibt durchaus feine Momente an diesem Abend, sowohl szenisch als auch musikalisch. Er zeigt aber auch, dass so ganz altmodische Elemente wie Rezitative oder eine Dirigentin durchaus Sinn machen in der Oper.
Judith Belfkih
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