Der „luftg‘selchte Pfarrer“ aus St. Thomas am Blasenstein ist eine Mumie, die so manche Spekulation und auch das Interesse von Forschenden auf sich zieht. Vor wenigen Jahren wurden die bereits 1830 erwähnten, in der örtlichen Kirche ausgestellten Überreste eingehend von Münchener Experten untersucht. Jetzt berichtet das Team darüber im Fachjournal „Frontiers in Medicine“. Ein Schlüssel zur Haltbarkeit ist eine rätselhaft-rustikale Art des Einbalsamierens.
Geschichten und Mythen bis hin zu vermeintlichen Wunderheilungen ranken sich um die Mumie im oberösterreichischen Bezirk Perg. Dem wollten 2017 der Pathologe und Mumienexperte Andreas Nerlich von der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Rechtsmediziner Oliver Peschel, der auch Konservierungsbeauftragter für die Eismumie „Ötzi“ ist, mit detaillierten Untersuchungen begegnen. Während die Aufbahrungsstätte des „luftg‘selchten Pfarrers“ renoviert wurde, konnte das Team, dem auch Kollegen aus Österreich angehörten, den Leichnam mittels Radiocarbon-Methode datieren, auf Basis von Isotopenanalysen Rückschlüsse auf den Lebensstil ziehen und mittels Computertomographie (CT) in die Mumie blicken.
Analyse der Lebensumstände mit vielen Einsichten
Demnach ist davon auszugehen, dass es sich, wie vermutet, um die sterblichen Überreste des 1746 im Alter von 37 Jahren verstorbenen Pfarrvikars Franz Xaver Sydler von Rosenegg handelt, so Nerlich. Der Ordensmann war laut den Analysen zu Lebzeiten gut ernährt und war Pfeifenraucher. Als Todesursache vermuten die Experten einen Blutsturz, davor litt der Mann unter einer chronischen Lungen-Tuberkulose.
„Überregional interessant“
Was allerdings nach dem Tod des in der Region damals vermutlich bekannten Mannes geschah, sei „wissenschaftlich überregional interessant“, sagte Nerlich zur Motivation für die nunmehrige Fachpublikation. Für den „hervorragenden Zustand“ des Leichnams aus dem 18. Jahrhundert mitverantwortlich ist nämlich eine gezielte Haltbarmachung, die so nirgends sonst dokumentiert sei. Der Ordensmann wurde nachweislich durch das Rektum mit allerlei Materialien ausgestopft, die dem Rumpf Flüssigkeit entzogen haben.
„Innere Balsamierung“ mit Pflanzen, Stoff und Zinksulfat
Die CT-Aufnahmen zeigten u.a. Holzspäne, Astwerk und andere Pflanzenreste sowie Stoffstückchen, die zu diesem Zweck eingeführt wurden. Bei dieser Praktik kam offenbar auch eine Glas-Bleiperle, wie sie für Handarbeiten und Rosenkränze verwendet wurde, in den Körper. Als diese im Jahr 2000 auf einer Röntgenaufnahme entdeckt wurde, führte das zu Spekulationen, dass der „Pfarrer“ möglicherweise vergiftet wurde – was nicht stimme, so die Experten. Zudem wurde bei dieser Form der „inneren Balsamierung“ – wie Nerlich es ausdrückte – auch Zinksulfat verwendet: eine Chemikalie, die dem Körper Flüssigkeit entzieht. Diese etwa in Färbereien eingesetzte Verbindung war damals im Mühlviertel auch verfügbar.
Keine schriftlichen Aufzeichnungen
Rätselhaft an der recht niederschwelligen Konservierungsmethode, die ohne ein Öffnen des Leichnams auskommt, sei, dass es darüber keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt, die den Studienautoren bekannt sind. Es könnte sein, dass das Wissen über diese Praktik nur mündlich unter Leichenbestattern weitergegeben wurde und womöglich einst sogar recht weit verbreitet war. Vielleicht wurde über die Herangehensweise aus Gründen der Pietät auch nicht viel gesprochen.
Eher Konservierung für kürzere Zeitspanne
Klar sei jedoch, dass man damit nicht versucht hat, einen Körper für die Ewigkeit zu konservieren, wie es etwa die alten Ägypter im Sinn hatten, sagte Nerlich. Es dürfte eher darum gegangen sein, Verstorbene für eine längere öffentliche Aufbahrung oder einen Transport ein Stück weit vor dem einsetzenden Verfall zu schützen. Im Fall von Sydler könnte man geplant haben, ihn in die Gruft des Stiftes Waldhausen im Strudengau zu bringen, wo er Augustiner-Ordensmann war. Zu drei dort befindlichen Teilmumien weist der Erhaltungszustand des „luftg‘selchten Pfarrers“ überdies Ähnlichkeiten auf.
Lag nie in Erdgrab
Gesichert ist, dass der Leichnam nie in ein Erdgrab gelegt wurde. Sonst wäre die 1,71 Meter lange und rund zehn Kilo schwere Mumie heute nicht so gut erhalten. Der vermeintlich „luftg‘selchte Pfarrer“ muss vielmehr lange Zeit unter wenig Luftzufuhr etwa in einem Sarg gelegen haben. Vielleicht wurde dieser in der Kirche für einige Zeit schlichtweg vergessen, mutmaßt Nerlich.
Gute Prognose für „luftg‘selchten Pfarrer“
Die rätselhafte Balsamierungsmethode wirke aber bis jetzt nach: So ist der Rumpf besser erhalten als der Kopf und die Beine. Sollte die Aufbahrungssituation so bleiben wie aktuell, gibt der Mumienexperte Nerlich dem „luftg‘selchten Pfarrer“ gute Chancen, als Mumie noch lange zu überdauern. Für Archäologen seien die Erkenntnisse zu der Einbalsamierung durchaus interessant: Findet man nämlich Hinweise auf Stoff- und Pflanzenreste in alten Gräbern, könnte man auch in die Richtung denken, dass diese bisher unbeschriebene Art des Ausstopfens angewendet wurde.
Kommentare
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Kommentarfunktion steht Ihnen ab 6 Uhr wieder wie gewohnt zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
das krone.at-Team
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.