"Ich will helfen"

Juristin will erste blinde Richterin Österreichs werden

Österreich
02.03.2013 17:00
"Ich möchte als erste Blinde in Österreich Richterin werden!" Dieser Wunsch, den die Tiroler Juristin Barbara Tschann (37) schon vor Jahren geäußert hat, könnte aufgrund einer gesetzlichen Änderung nun doch in Erfüllung gehen.

Obwohl von Geburt an blind, schaffte Barbara Tschann das Jus-Studium und den Magistertitel mit Auszeichnung. Begleitet von ihrem damaligen Blindenhund "Racker" - der leider an Krebs verstarb -, hospitierte sie 2007 als Rechtspraktikantin bei Strafprozessen am Landesgericht Innsbruck. Und wurde prompt von zwei betreuenden Richtern mit "Sehr gut" bzw. "Ausgezeichnet" beurteilt.

"Doch kaum hatte ich meinen Wunsch, Richterin zu werden, öffentlich geäußert, wurde mir, nicht nur am Landesgericht, eine Hürde nach der anderen in den Weg gestellt", sagt sie: etwa vor und während der Richteramts-Anwärterprüfung. "Dass mir der Tod meines Hundes zu Herzen ging und mich wochenlang aus der Bahn warf, rief nur verständnisloses Kopfschütteln hervor. Und man ließ meinen Spezialcomputer für Blinde nicht zur Prüfung zu", bedauert sie.

Und auch später, bei der Ablehnung ihrer Bewerbung für eine Stelle als Juristin beim Land Tirol, seien unfaire Mittel zur Anwendung gekommen. "Dass Blinde auch in der Justiz ihren 'Mann' stehen dürfen und dass Ämter die gesetzlich vorgeschriebene Anzahl von Behinderten auch anstellen, statt nur Pönale zu zahlen, dafür will ich mich einsetzen", sagt Tschann.

"Werde mich für eine Stelle als Richterin bewerben"
Ein Teil des Vorurteils, dass Blinde im Gericht "nichts verloren" haben, ist mittlerweile gefallen: Im Zuge eines Pilotprojektes an Bundesverwaltungs- und Bundesfinanzgericht werden auch stark Sehbehinderte zugelassen. "Mich freut dieses Umdenken, ich werde mich Anfang März für eine Stelle als Richterin bewerben", sagt sie.

Dem Einwand, dass man als Richter unbedingt sehen können muss, begegnet sie so: "Wenn ein Angeklagter oder Zeuge sich mit Anzug und Krawatte 'verkleidet', kann bloßes Sehen auch zum Nachteil werden. Ich als Blinde spüre dafür jemandes Unsicherheit, höre sein Atmen, etwa die erhöhte Frequenz, kann seine Unsicherheit und Körpersprache spüren." Zudem werde Behinderten vom Bund ein Arbeitsassistent zur Verfügung gestellt.

Von Barrieren nicht einschüchtern lassen
Zuletzt war Barbara Tschann erfolgreich für die Lebenshilfe Tirol tätig. Vor zwei Monaten bekam sie ihr Baby. Jetzt ist sie im Mutterschutz. Ihr Kleiner beschäftigt sie Tag und Nacht. "Dennoch versuche ich, während meiner Karenzzeit das Doktorat zu machen", berichtet Tschann.

Die blinde Juristin möchte nach dem Ablauf der Karenzzeit weiterhin dem sozialen Bereich verbunden bleiben. "Entweder im Jugendstrafrecht, im Asylrecht oder im Behindertenrecht", sagt sie. "Ich will jungen Menschen und Behinderten helfen. Ihnen vorleben, dass man sich durch Barrieren, die von der Gesellschaft immer noch gegen die angeblich Schwächeren errichtet werden, ja nicht einschüchtern lassen darf", meint Tschann.

Barbaras neuer Blindenhund "Pax" ("Frieden") wird seinem Namen nur gerecht, solange man seinem hübschen Frauerl nicht zu nahe tritt. "Sein Verteidigungstrieb ist gewaltig. Wenn mich jemand angreift, würde er sein Leben für mich opfern", berichtet Barbara. Im Normalfall ist Pax aber ein lustiger und verspielter Wegbegleiter und Blindenführhund, der sein Frauerl sicher durch die Straßen von Seefeld in Tirol, ihrem neuen Heimatort, führt.

Reit-Training für die Paralympics 2016
Auch in der sportlichen Freizeit überwindet Tschann schwierigsten Hürden: Sie ist Dressur-Reiterin. Und sie startet - wie im Berufsleben - auch sportlich in der "Allgemeinen Klasse". Zusätzlich auch im Behindertensport. "Dort wurde ich 2011 Dritte bei der Staatsmeisterschaft. Im August 2012, als in London die Paralympics durchgeführt wurden, war ich schon im 5. Monat schwanger. Sonst hätte ich für Österreich in der Dressur starten können", berichtet Tschann. Im Reitklub Seefeld wartet Barbaras 14-jähriger Wallach "Poetic Justice". In Oberösterreich steht ihr zweites Pferd, der vierjährige "Loui Rocco". "Sobald ich wieder reiten kann, trainiere ich für die Paralympics 2016 in Rio de Janeiro", sagt sie. "Mit Loui Rocco habe ich gute Chancen, weit vorne zu landen. Er ist sehr talentiert."

Als Blinde Dressurreiten - wie geht das überhaupt? Barbara Tschann: "Nicht nur in der Justiz, auch beim Reitsport sagen viele: 'Das ist nichts für Blinde!' Aber gerade punktgenaues Reiten im Geviert, die exakte Ausführung der Figuren, motiviert mich." An Schranken und Hürden, die man in den Weg stellt, sollten Behinderte nicht scheitern dürfen. Weder in der Berufswelt noch im Sport. Dafür will Barbara Tschann ihr ganzes Leben kämpfen.

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