Prozess in Türkei

Starpianist wegen Islam-Beleidigung angeklagt

Ausland
18.10.2012 14:53
Der türkische Pianist und Komponist Fazil Say hat am Donnerstag in Istanbul zum Auftakt seines Prozesses wegen Islam-Beleidigung den Vorwurf der religiösen Hetze zurückgewiesen. Der 42-Jährige sagte vor Gericht, er weise alle Anklagepunkte von sich. Die Staatsanwaltschaft wirft dem international gefeierten Künstler vor, über Twitter Islamfeindliche Kommentare verbreitet zu haben. Die Anklage fordert eineinhalb Jahre Haft für Say, der auch wiederholt in Salzburg aufgetreten war.

Im April machte sich Say per Twitter unter anderem über einen Muezzin lustig, der einen Gebetsruf in nur 22 Sekunden absolviert hatte. Say fragte daraufhin, ob der Muezzin vielleicht schnell zur Freundin oder zum Schnaps zurückkehren wollte.

Paradies im Islam ein Bordell oder Wirtshaus?
Außerdem hatte der Pianist Tweets gepostet, in denen er die Frage stellte, ob das Paradies in der islamischen Glaubensvorstellung einem Bordell oder einem Wirtshaus gleiche, berichtete die der islamisch orientierten Regierungspartei AKP nahe stehende Zeitung "Zaman". Say bezog sich dabei auf den Koran, der von Flüssen aus Wein und schönen Jungfrauen (Houris) berichtet, die den Rechtgläubigen im Himmel erwarteten.

Nach Bekanntwerden der Twitter-Kommentare hatten drei türkische Bürger Strafanzeige gegen Say erstattet. Sie erneuerten am Donnerstag vor Gericht den Vorwurf, der Künstler habe sie in ihren religiösen Gefühlen verletzt. Nach ihren Aussagen vertagte der Richter das Verfahren auf den 18. Februar 2013.

Bei einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude im Stadtteil Caglayan protestierten unterdessen Unterstützer von Say gegen den Prozess. "Fazil Say ist nicht allein", stand auf Transparenten der Demonstranten. Die Partei von Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan wurde aufgefordert, sie solle "die Künstler in Ruhe lassen".

Immer wieder kontroversen Äußerungen getätigt
Say, ein bekennender Atheist und Gegner der AKP, hatte in den vergangenen Jahren mehrmals mit kontroversen Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht. EU-Minister Egemen Bagis erklärte mit Blick auf den Prozess, für ihn persönlich lägen die Äußerungen von Say im Rahmen von dessen "Freiheit, Unsinn zu reden", doch die Entscheidung liege bei der Justiz. "Ich wünschte, Fazil Say würde uns nicht dazu zwingen, derartige Erklärungen auf internationaler Bühne abgeben zu müssen", sagte Bagis nach Angaben der Zeitung "Hürriyet.

Künstler, Intellektuelle und Politiker auf Says Seite
Zahlreiche Künstler und Intellektuelle solidarisieren sich mit Say. Seine Unterstützer sprechen von einem Beispiel für die immer stärker werdenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit im EU-Bewerberland Türkei. Auch aus Deutschland erhielt er Unterstützung: Mehr als 100 Bundestagsabgeordnete der Linken, der SPD und der Grünen zeigten sich in einem Brief an Erdogan besorgt über das Verfahren.

In dem Schreiben, das auf Initiative der deutschen Linken-Politikerin Sevim Dagdelen verfasst wurde, wird auf den Schutz der Meinungsfreiheit durch internationale Abkommen und die türkische Verfassung verwiesen: "In einem demokratischen und säkularen Rechtsstaat dürfen bloße Meinungsäußerungen nicht zu dem Vorwurf eines schweren Verbrechens und zu langen Freiheitsstrafen führen." Dagdelen, die zur Prozessbeobachtung nach Istanbul gereist war, nannte die Vorwürfe gegen Say "absurd". Es sei schlimm, dass das Verfahren überhaupt zustandegekommen sei.

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