Nachtwächter erzählen

„Lichtscheues Gesindel“ und der Gestank von Pest

Steiermark
18.04.2024 11:00

Sie wissen, wo Henker ihre blutigen Taten vollstreckten und wer als „lichtscheues Gesindel“ galt: In Graz treffen sich im September die Nachtwächter.

Wenn in Graz heuer erstmals das große Nachtwächtertreffen stattfindet (19. bis 22. September), dann ist das für Albin Sampel quasi ein Heimspiel. Denn der Fremdenführer kennt jeden Winkel seiner Stadt. Er weiß, wo einst die Henker ihre „peinlichen Befragungen“ in der Folterkammer durchführten (eine Stätte war bei der heutigen Polizei in der Schmiedgasse), wo Liebesdienerinnen ihre Dienste anboten und dass vor dem Schloßberg einst der Spargel spross. Und viel mehr.

Henker am Ende der Gesellschaft

Seine Geschichten erzählt er am liebsten in jener Rolle, die für ihn, der sich der Tradition und Historie verpflichtet fühlt, Passion ist: in der Robe des Nachtwächters. Einem Job, der einst alles andere als hohes Ansehen genoss, „obwohl er wichtig für die Gesellschaft war“. Aber er fiel in die Riege von Abdeckern (diese zogen Tieren das Fell ab, waren für die Entsorgung der Kadaver zuständig), Henkern, Totengräbern, allesamt keine ehrbaren Berufe. „Die Leute mussten auch unter sich bleiben, durften keine Zunft bilden und politisch nicht aktiv sein. Der Job wurde auch weiter vererbt – es gab fast keine Chance, da mittels Freibrief rauszukommen.“

Der Nachtwächter musste die nächtliche Ausgangssperre kontrollieren – unterwegs durfte nur sein, wer sich mittels Licht „ausweisen“ konnte. „Und das waren nur die Reichen. Denn Fackeln oder Kerzen herzustellen war schwierig und teuer.“ Getötete Marder zu verwenden, damit deren Fett brannte, wie es Ärmere versuchten, führte nur zu stinkigem Rauch statt Licht-Erfolg. Daher der Ausdruck: lichtscheues Gesindel.

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Eine Feuersbrunst war die große Angst dieser Zeit

Albin Sampel

Und der Nachtwächter musste die Stadt vor Feuer bewahren, die große Angst dieser Zeit. „Dazu trug er eine Hellebarde, eine Hieb- wie Stichwaffe: Der spitze Teil war gegen Feinde, die Seitenteile hatten eine Axtfunktion.“ Und der Haken daran diente dazu, brennendes Stroh vom Dach der (niedrigen) Holzhäuser zu zerren im Kampf gegen Feuer.

Was Nachtwächter betrifft ist auch Helga Papst firm, ist es doch auch die Paraderolle der Bruckerin. Die Historikerin weiß, wie es einst ausgesehen hat: „So um 1500 etwa war das eine florierende, reiche Stadt mit dicken Mauern rundherum“, beschreibt die Wissenschafterin. „Reiche Bürger hatten große Häuser, die sie auch an Arme untervermieteten, sodass oft sechs, sieben Familien in einem Gebäude wohnten, auf engem Raum allerdings.“

Grazer flohen vor Pest und Cholera

Bei Krankheitswellen wie Pest und Cholera flohen die Leute sogar aus Graz nach Bruck, weil dort immer ein frischer Wind aus der Richtung von Tragöss wehte und man Krankheit mit dicker, schlechter Luft und Ausdünstung in Verbindung brachte. Und über der Grazer Kessellage meist dichte Rauchschwaden hingen.

Freilich – sauber war auch Bruck mit rund 1000 Einwohnern so gar nicht! Helga Papst: „Die Abwässer wurden nachts in den Fluss geleert oder vor die Tore der Stadt. Kleinvieh wie Gänse und Schweine trieb man auf den Hauptplatz zum Weiden.“ Es war so viel Matsch in den Gassen, dass „man unter den hölzernen Sandalen bis zu fünf Zentimeter hohe Stollen trug, um dem Dreck auszuweichen“.

Insgesamt lebte die Stadt aber gut, vor allem natürlich die Reichen, die sich bereits Köche für abwechslungsreiches Essen leisteten, während die Ärmeren „Kraut und Rüben“ verzehrten, „höchstens Sonntag mal ein Stück Speck dazu“. Getrunken haben auch sie Most und quasi Spritzer, also gewässerten Wein; pures Wasser war zu verdreckt.

Frauen hatten nichts zu melden

Helga Papst weiß auch: „Die Frau hatte nichts zu sagen, brauchte einen Mann, der für sie zum Richter ging und für sie sprach, durfte nicht selbstständig sein und nur wenige Handwerke ausüben; Bierbrauen war eine häufige Tätigkeit der Gattinnen.“ Geachtet war frau eigentlich nur als Witwe – weswegen viele Frauen eine weitere Heirat tunlichst hinaus zögerten.

Wichtig war auch die Flößerei. Papst: „In vier Stunden fuhr man bis nach Graz. Salz etwa wurde bis nach Marburg gebracht. Nachdem abgeliefert war, wurde das Floß zerlegt, das Holz verkauft. Und der Flößer ging den ganzen Weg, über Pässe und durch Wälder, zu Fuß nach Hause. Die hatten eine Superkondition.“

Die große Furcht auch hier: Feuer. Jeder Einwohner war verpflichtet, die Stadt dagegen zu verteidigen (oder jemanden zu bezahlen, der das für sie tat). An einer Stange unter dem Dach hingen Ledereimer, mit denen eine Menschenkette vom Brandherd bis zum Fluss gebildet wurde. So wie man es heute noch bei manchen Ereignissen macht.

Hochinteressant, was Nachtwächter alles zu erzählen haben! Dutzende werden im September aus Österreich und Deutschland anreisen, dann auch die Schönheiten von Graz entdecken. Bei Tag und Nacht!

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