Im Atomkraftwerk Saporischschja in der Südukraine, das die russischen Truppen seit März 2022 besetzt halten, kam es schon mehrfach zu brenzligen Situationen. Jetzt spitzt sich die Lage weiter zu: Laut dem britischen Verteidigungsministerium haben die Besatzer Gefechtsstellungen direkt auf den Reaktorgebäuden errichtet. Offenbar wird ein ukrainischer Angriff befürchtet.
Rund um das Kernkraftwerk kam es im Laufe der vergangenen 14 Monate immer wieder zu Gefechten. Mehrmals musste die Anlage nach Beschuss über Notstrom betrieben werden.
Nun gibt es jedoch den ersten Hinweis, dass die eigentlichen Reaktorgebäude selbst in die taktische Verteidigungsplanung der russischen Besatzer einbezogen wird, heißt es vom Ministerium in London. Satellitenbilder des Unternehmens Maxar zeigen demnach vier aus Sandsäcken errichtete Stellungen auf drei von insgesamt sechs Reaktorgebäuden.
Risiko für Nuklearunfall nimmt zu
Damit werde es zunehmend wahrscheinlicher, dass die Sicherheitssysteme des Kernkraftwerks beschädigt werden. Da die Strukturen im AKW Saporischschja allerdings massiv verstärkt sind, seien direkte katastrophale Schäden unwahrscheinlich, wenn nur Infanteriewaffen eingesetzt werden, so die Einschätzung aus London. Trotzdem warnte die Internationale Atomenergiebehörde IAEA vor wenigen Tagen wegen zunehmender Kampfhandlungen erneut vor einem Nuklearunfall.
Ende März, nur wenige Tage nachdem die Satellitenaufnahmen mit den Sandsack-Stellungen gemacht wurden, besuchte eine Delegation der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) unter Generaldirektor Rafael Grossi das AKW. Er habe dort „klare Anzeichen von militärischen Vorbereitungen gesehen“, erklärte Grossi dazu, ohne Details zu nennen. Seither hätten IAEA-Experten mehrfach Explosionen von Granateneinschlägen gehört, so Grossi vor wenigen Tagen.
Der britischen Einschätzung zufolge haben die russischen Streitkräfte die Gefechtsstellungen errichtet, weil sie sich zunehmend Sorgen über die Aussichten einer großangelegten ukrainischen Gegenoffensive machen. Militäranalysten erwarten, dass ein solcher ukrainischer Gegenschlag kurz bevorsteht. Beginnen könnte er Anfang Mai, wenn sich das Wetter gebessert und Panzer, Truppentransporter und Artillerie nicht mehr im Schlamm der „Rasputiza“ stecken bleiben können.
Wagner-Chef: Offensive „unvermeidlich“
Eine neue ukrainische Offensive ist auch nach den Worten des Chefs der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, „unvermeidlich“, wie er in einer Videobotschaft sagte. „Heute marschieren bereits gut ausgebildete feindliche Einheiten in Bachmut ein“, erklärte er. Seine Streitkräfte würden um jeden Preis vorrücken, um die ukrainische Armee „zu zermalmen“.
Eines der Hauptziele der ukrainischen Streitkräfte könnte darin bestehen, den südlichen Landkorridor zwischen den russischen Truppen im Osten und der von Russland annektierten Krim-Region zu durchbrechen. Im Zuge einer solchen Operation könnte es auch wieder zu Kämpfen um das AKW Saporischschja kommen. Das ukrainische Militär hat sich bisher nicht zu einer erneuten Gegenoffensive geäußert.
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