Live im Porgy & Bess

Marc Ribot: Gitarren-Avantgardist mit Wut im Bauch

Wien
22.04.2023 09:00

Er kämpft für eine gerechte Bezahlung der Streamingdienste an Musiker, spielte mit Größen wie Elvis Costello und Elton John und hat Tom Waits auf „Rain Dogs“ mit seinem eindringlichen Gitarrenspiel zu einer künstlerischen Kurskorrektur geleitet - am 24. April kommt US-Avantgardist Marc Ribot mit seinen Jazz-Bins für ein Konzert ins Wiener Porgy & Bess.

Im kunterbunten Oeuvre von Tom Waits gibt es viele klangliche Preziosen für die Ewigkeit, doch auf seinem 1985er-Werk „Rain Dogs“ klang der grummelnde Grantler mit dem untrüglichen Blick für die Dramen des Alltags so zugänglich wie kaum zuvor. Er entwickelte sich vom Working-Class-Jazzer zum avantgardistischen Rockmusiker. Dass Rolling-Stones-Ledergesicht Keith Richards auf dem Werk einen markanten Gastauftritt hatte, überschattet bis heute die hintergründige Geheimwaffe des Albumerfolgs: Marc Ribot. Das Gitarrengenie aus New Jersey kam als Mitglied der legendären Lounge Lizards und über deren Mastermind John Lurie mit Waits in Berührung und veränderte mit seinem Gitarrenspiel die Gesamtausrichtung Waits‘ markant. Neben dem Zampano greifen auch Könner wie Elvis Costello, John Zorn, Marianne Faithfull, Bill Frisell, Elton John oder Faith No More-Gesicht Mike Patton nur allzu gerne auf die Fertigkeiten des Saitenzauberers zurück.

Verquerer Avantgardist
„Ich will diese Zusammenarbeiten gar nicht bewerten, weil ich von allen etwas mitgenommen habe“, erklärt Ribot im „Krone“-Interview, „es geht mir dabei nicht so sehr darum, wofür die Leute berühmt wurden. Ja, wir alle wissen, dass Waits und Costello großartige Songwriter und Bandleader sind. Aber nicht alle wissen, welch fantastische Produzenten sie abgeben. Die Produktion eines Albums ist für die Außenwelt eine nahezu unsichtbare Tätigkeit, selbst Musikern bleibt sie oft verborgen. Man sieht immer nur das fertige Produkt und die Liveshow, aber ohne eine wirklich gute Produktion in der Hinterhand, wird das eine nicht zum anderen führen.“ Ribot feiert im Mai 2024 seinen 70. Geburtstag, ist aber noch immer unermüdlich, was die Kreativität anbelangt. Er gilt als verquerer Avantgardist mit der Liebe für das Verschrobene und Dissonanzen. Zwischen No Wave, Free Jazz, Soul, kubanischen Klängen und etwas Blues fühlt er sich daheim. Das Simple und Offensichtliche sind seine Feindbilder.

„Manchmal fühlt sich die Musik wie ein reiner Job an und ich bin von ihr gelangweilt“, gibt er ohne Umschweife zu, „ich kann oft wochen- oder monatelang total in meinem Instrument und der Musik versinken, habe aber auch Phasen, wo ich mich verloren und ausgelaugt fühle. Von Free-Jazz-Musikern habe ich gelernt, dass man für Inspirationen und Freude am Spiel manchmal hart kämpfen muss.“ Seit geraumer Zeit tingelt Ribot, wenn ihm nicht eine Pandemie in die Quere kommt, mit unterschiedlichsten Programmen durch die Weltgeschichte. Das Trio Ceramic Dog ist mit seinem angriffigen Noise Rock die wildeste Ausformung seiner Kreativität, mit dem Programm „Songs Of Resistance“ kämpft er gegen politische Fehlströmungen an, als Solokünstler (zuletzt 2022 im Porgy & Bess) gönnt er sich musikalische Narrenfreiheit und mit den Jazz-Bins huldigt er den Hammond-Orgel-Klängen der 60er- und 70er-Jahre.

Klasse für sich
Als Linkshänder, der seit jeher eine Rechtshänder-Gitarre spielt, ist Ribot der biederen Eingängigkeit so fern wie möglich. Mitmusiker und Experten attestieren ihm zuweilen, er habe alle Sounds und Techniken drauf, die jemals auf einer E-Gitarre gespielt wurden. Eingangs erwähnter Lurie bezeichnete Ribot als musikalisches Genie, dessen endlos kreativer Ideenreichtum seine Mitmusiker vor Probleme stellen würde, weil es sich nicht leicht mit ihm Schritt halten lässt. Neben politischen Protesten gegen Donald Trump und Co. (von denen beispielsweise die beiden aktuellsten Ceramic Dog-Platten inspiriert waren) ist Ribot seit einem knappen Jahrzehnt Präsident der „Content Creators Coalition“ und setzt sich für die faire Behandlung von Musikschaffenden im Zeitalter digitaler Medien ein. Vor allem Streamingplattformen wie Spotify sind mit ihren unausgegorenen Geschäftsmodellen ein Feindbild für Ribot.

„Einige Musiker konnten lange darüber hinwegschauen, weil das Live-Geschäft immer sehr einträglich war. Als dann aber die Pandemie über uns kam und man nicht mehr auf Tour gehen konnte, ging es für viele um die pure Existenzgrundlage. Die großen Online-Firmen im Silicon Valley und sonst wo haben ihre Machenschaften immer damit verteidigt, dass Künstlern mit Livekonzerten genug Geld übrigbleiben würde. Corona hat diese haltlose Theorie ins Absurde geführt. Viele Musiker sind während der Pandemie erst richtig aufgewacht und haben bemerkt, wie fragil ihre Position in der Industrie eigentlich ist.“ Spotify sieht Ribot wiederum nur als einen weiteren Ast, der vom Stamm eines degenerierten Marktes hinausreicht. „Dazu kommt das Problem, dass sich Künstler überhaupt nicht gegen diese Umtriebe wehren können. Man kann nur eine Gewerkschaft gründen, wenn man wo angestellt ist, aber kein Musiker ist bei Spotify angestellt. Den Plattenfirmen geht es mit ihren Verträgen gut. Es ist verrückt, wie es um die Machtverhältnisse auf dieser Welt bestellt ist.“

Der Mythos des Viralgehens
Ribot ist ein großer Fan der Musikszenen aus Detroit, Liverpool oder den Vororten von Chicago und New York. Dort, wo es an Reichtum fehlt und die Künstler ab den 1950er-Jahren hungrig und innovativ waren. „Es gab kein Geld, aber man wusste, man könne mit der Musik Geld verdienen. Allein dadurch war der Antrieb ein ganz anderer und die Szene florierte.“ Von viral gehenden „Online-Wundern“ der Gegenwart hält der 68-Jährige wenig. „Das ist doch ein Mythos. Die Leute bezahlen meist sehr viel Geld für Online-Werbemaßnahmen oder um bei Influencern vorzukommen und plötzlich geht etwas viral - eine riesige Illusion. Das größte Problem an der digitalen Welt ist, dass zwar jeder seine Songs veröffentlichen, aber niemand mehr etwas selbst steuern kann.“ Auf ein neues Album Ribots muss man noch warten, doch erst einmal kann man sich auf seinen Liveauftritt freuen.

Live im Porgy & Bess
Mit den famosen Jazz-Bins spielt Marc Ribot am 24. April im Wiener Porgy & Bess. Stehplatzrestkarten sind noch an der Abendkassa oder unter www.porgy.at. erhältlich.

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