Jungtalent mit Album

Noayama: Ambivalenz zwischen Vintage und Moderne

Musik
17.04.2023 09:00

Unter dem Pseudonym Noayama kreiert der 21-jährige Rosenheimer Noah Berger für das feine Indie-Label Affine Records auf seinem Debütalbum „Consume Land Flea Market“ abgedrehte Elektronik-Sounds mit amerikanischem Old-School-Hip-Hop und hat dafür Gäste aus unterschiedlichen Sparten eingeladen. Seine experimentelle, aber immer zugängliche Auffassung von zeitgemäßer Musik vereint die digitale Realität mit der Sehnsucht nach einem Retro-Leben: ein klangliches Kleinod.

(Bild: kmm)

„Krone“: Noah, wie lang hast du an deiner ersten Platte „Consume Land Flea Market“ gearbeitet?
Noayama: Das ist schwer zu sagen. Irgendwie seit ich Musik mache. (lacht) Das meiste passierte aber im letzten halben Jahr. Wir haben die Platte im Oktober gemastert. Ich habe überall daran geschrieben und gearbeitet. Das Feintuning machte ich im Studio von meinem Papa, aber ich habe oft im Zug, zu Hause oder in Cafés geschrieben. Manchmal suche ich die Ablenkung aktiv.

Was kann und soll man denn unter dem Albumtitel verstehen?
Es geht ein bisschen um den Retrowahn in meiner Generation. Dem sind auch ich und alle meine Freunde verfallen. Ich glaube nicht, dass es vorher eine Generation gab, die 20 Jahre zurück lebt. Wir haben Walkmans, hören Platten und sammeln Kassetten. Wir tragen auch Vintage-Klamotten, aber trotzdem sind wir in der Moderne gefangen. Dieses Gefühl wollte ich in der Musik festhalten.

Rührt diese Sehnsucht nach Nostalgie vielleicht daher, dass deine Generation komplett digitalisiert ist?
Ich bin noch ohne Smartphone aufgewachsen und habe in der zweiten Klasse die Folie des ersten iPhones meines Papas abgezogen. Ich kenne jedenfalls niemanden, der ohne Google Maps irgendwo unterwegs ist. Es ist irgendwie cool, aber auch nicht so gesund. Die Reizüberflutung setzt doch sehr schnell ein.

Ein Retroboom ist aber so, als würdest du eine Realität leben, die du selbst nicht kennst. Eine Schein-Nostalgie sozusagen.
Das klingt so nach „früher war alles besser“. Ich lebe lieber jetzt als in den 90er-Jahren, aber bei vielen Leuten ist das ganz anders. Das hängt sicher damit zusammen, dass wir durch politischen Rechtsruck und Klimawandel Angst vor der Zukunft haben. Da flieht man dann gerne in eine Zeit zurück, die man vielleicht nur von Bildern kennt. Als meine Eltern Anfang 20 waren, war es das einzige Mal, dass die Weltuntergangsuhr zurück statt eilig nach vorne ging. Meine Eltern sagen selbst, dass sie die sorgenfreieste Zeit hatten. Der Kalte Krieg war vorbei, in Deutschland fiel die Mauer und die Rave-Kultur kam auf.

Ängstigt dich die Zukunft und findet diese Angst bei dir auch musikalisch Einzug?
Das ist schwer zu sagen. Die Angst vor Unbekanntem ist menschlich. Wir haben ein zu negatives Weltbild. Wenn man in der Gegenwart Angst vor der Zukunft hat, wird es dann nur noch schlimmer. Vielleicht sollten wir ein bisschen naiver an die Sache rangehen - aber mit gesundem Menschenverstand.

Ist das nicht schon Zweckoptimismus?
Ich hoffe, dass ich optimistisch bin, aber Zweckoptimismus ist wohl wahrscheinlicher. (lacht)

Musikalisch vermischst du moderne Elektronik mit Old-School-Hip-Hop-Vibes - woraus hast du dafür Inspirationen bezogen?
Ich kann gar nicht planen, was ich mache. Es gibt Referenzsongs, aber mein Ergebnis wird dann immer ganz anders. Ich bin mit Old-School-Hip-Hop aufgewachsen. Mein Papa hat Platten von Public Enemy und LL Cool J daheim. Das wurde kombiniert mit der Musik, die ich jetzt höre. Die ist von Woche zur Woche unterschiedlich. Derzeit höre ich viel Techno und prolligen Autotune-Rap, aber immer laufen bei mir Künstler wie JPEGMafia oder Jockstrap. Hip-Hop und Cloud-Rap sind eigentlich immer dabei. Ich höre gerne mal Trash. (lacht)

Gab es bei dir einen entscheidenden Moment, in dem du selbst in diesen Retroboom gerutscht bist?
Ich komme aus der kleinen bayrischen Stadt Rosenheim und da sind viele moderne Strömungen noch nicht angekommen. Mit 15 waren alte Klamotten total peinlich, aber zwei Jahre später hat sich die ganze Schule darum gerissen. Das ging ganz plötzlich. Flohmärkte waren auch sofort in und die Faszination für altes Zeug war bei mir schon immer gegeben. Meine Eltern haben mir schon als Kind Matchbox-Autos gekauft.

Deinen Vater Michael Fakesch kennt man von der 90er-Jahre-Glitch-Popband Funkstörung. So eine familiäre Verknüpfung kann förderlich und hinderlich zugleich sein …
Ich kenne es nur so und kann das nicht bewerten. Mein Papa hat mir nie Druck gemacht oder verlangt, dass ich in die Musik gehen soll. Andere sind davon sicher genervt, aber für mich war das immer okay. Alleine schon, dass ich einen Zugang zu einem wirklich tollen Studio habe, ist extrem geil. Das ist nicht allen vergönnt. Außerdem hat er Dinge erlebt, die ich auch erlebe. Das sind oft nur Kleinigkeiten, wo seine Tipps aber sehr wichtig sind. Mir war aber auch wichtig, jetzt zu Affine Records zu gehen, denn die erste EP habe ich noch bei meinem Vater rausgebracht. Mit den eigenen Eltern eine Geschäftsbeziehung zu haben, ist für mich auch kein Dauerzustand.

Ist er mehr Fan von deiner Musik oder vice versa?
Wir hören uns auf jeden Fall gegenseitig und der Respekt ist vorhanden, allerdings weiß ich nicht, ob wir uns hören würden, wären wir nicht miteinander verwandt.

Der Song „Rosenheim Cops Arriving“ hat zwar mit deiner Heimat, aber nichts mit der TV-Serie zu tun, oder?
Ich habe noch nie auch nur eine Folge gesehen, die Serie ist doch furchtbar. (lacht) Ich glaube, es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass sie sich kein Rosenheimer ansieht. Der Song bezieht sich auf die echten Cops, die nicht so cool agieren. In Rosenheim wird für ganz Bayern Polizei ausgebildet und da werden viel zu oft Flüchtlinge zusammengeschlagen. Ich habe selbst schon schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht. Deshalb ist der Song auch so Gangster-mäßig geraten.

Sind die Songs auf dem Album von deinen eigenen Sorgen und Unsicherheiten der aktuellen Zeit geprägt?
Durchaus, aber es gibt auch viele persönliche Themen auf dem Album, die für andere nicht wichtig oder nachvollziehbar sind. Wir singen über Spots, an denen wir früher gechillt haben oder über meine Katze, die ich als Kind hatte. Es gibt genug Schmarrn auf dem Album.

Songtitel wie „War“ oder „Stop Wars“ klingen jedenfalls nicht so, als würden sie groß Spaß machen.
Natürlich sind auch ernste Themen darauf zu finden. Es kommt niemand daran vorbei, was auf der Welt so abgeht, aber es liegt mir auch fern, einen auf Weltverbesserer zu machen. Die Vocals von „War“ sind schon 15 Jahre alt und wurden nie benutzt. Darüber wurde ein Funkstörung-Remix gelegt, den ich mit meinem Papa bearbeitet habe. Es hat dann zufällig gepasst, dass der Rap in dieser Zeit anders verstanden wird.

Du hast mit vielen unterschiedlichen Musikern und Sängern zusammengearbeitet. Wie ergaben sich all diese Kollaborationen?
Ganz unterschiedlich. Man hört Nachbarn und Freunde und auch Leute, die ich gar nicht kenne. Das war der Kontrast, den ich haben wollte. Gute Freunde oder Leute, mit denen ich überhaupt nichts zu tun habe. Die wissen nicht, wie ich bin und was ich höre und so haben sich auch die Songs total verändert, als ich ihre Vocals bekam. Wenn man alleine arbeitet, ist so ein Input sehr wichtig. Nur die „War“-Songs und „Neon Soul“ wurden gemeinsam erschaffen, der Rest ist ganz von mir.

Hast du in deiner näheren Umgebung auch ein Korrektiv, dass deine Ideen mit einem Blick von außen bewertet?
Ich mache oft genug Sachen, die Scheiße klingen, aber das müssen wir dann Leute sagen. (lacht) Dafür sind dann Jamal von Affine Records, Mitbewohner oder gute Freunde wichtig. Es ist immer gut, sich die Songs ein paar Tage nicht anzuhören und wenn sie dann noch immer gut klingen, dann sind sie cool. Ansonsten sollte man die Aufnahme lieber löschen. Es bringt wahrscheinlich wenig, wenn ich eine meiner Nummern einem Ö3-Redakteur zeige. (lacht) Es sollten schon Leute sein, die mit dem Genre etwas anfangen können.

Du sagst, dass du dich bei deinen Songs gerne treiben lassen. Wo steckst du dabei deine Grenzen ab? Welche Art von Sound muss vorkommen?
Das passiert eigentlich von selbst. Es gibt schon ein paar musikalische Regeln, an die ich mich halte. Ich will Musik machen und sehe mich momentan nicht so in der Klangkunst. Wenn man etwas gerne macht, dann merkt man aber automatisch eine gewisse persönliche Handschrift. Bei „Consume Land Flea Market“ ist es zudem wichtig, dass die Songs in einer ähnlichen Lebensphase entstanden sind. Das würde man sonst eindeutig heraushören. Mac DeMarco macht Alben in vier Wochen, was auch cool ist. Viele Grundstrukturen habe ich überarbeitet, weil ich anfangs noch viel zu jung war. Mir ist schon wichtig, dass das Album jung und nach ausprobieren klingt.

Profane Frage - wie wurde aus Noah Berger Noayama?
Das ist relativ unspektakulär. Yama heißt Berg auf Japanisch und ich trage den Nachnamen meiner Mutter, Berger. Ich wollte nichts mit Yung oder Lil heißen und war, als ich kleiner war, in Japan auf Urlaub und hatte immer eine Affinität zu dem Land. Es ist dort alles ganz anders als bei uns und meine Sachen haben teilweise schön japanisch angehauchte Samples. Alles hat gut zusammengepasst.

Noayama ist prinzipiell aber ein Soloprojekt und soll es auch bleiben?
Ja, das schon. Ich arbeite wahnsinnig gerne mit anderen Leuten zusammen und sehe mich mehr als Kurator von dem Album. Ich habe so viele Gastmusiker dabei, aber aus Noayama wird sicher keine Band.

Ich finde einen Großteil der Songs sehr eingängig und groovy. War dir das ein Anliegen?
Ich wollte nicht, dass das Album komplett anstrengend ist. Sowas nervt mich bei anderen selbst. Es gibt sicher Leute, die das Album anstrengend finden. Am liebsten wäre mir, wenn es als eine Mischung aus groovy, abgefahren und schön im Hintergrund plätschernd verstanden wird. Das liegt daran, dass ich alles einfließen ließ, was mir gefiel.

Wirst du mit dem Projekt live auftreten?
Ich habe nicht viel Erfahrung damit, aber kann mir das ganz gut vorstellen. Termine sind noch in Arbeit, aber es ist momentan gar nicht so einfach, im Livemarkt noch wo unterzukommen.

Derzeit bist du auf der Kunstuni in Linz - was genau studierst du?
Ich studiere zeitbasierte und interaktive Medienkunst. Wir machen viele Videokunstfilme, aber auch elektronische Kunst. Ich sage immer, wir löten irgendeinen Quatsch zusammen und stellen das aus. (lacht) Nur Musik zu machen, wäre mir zu wenig. Der Input von der Uni ist auch wichtig. Ich arbeite an vielen Musikvideos und das ganze Projekt Noayama soll mehr sein als bloß nur Musik. Vielleicht wird es zur Diplomarbeit. (lacht) Ich werde sicher immer Musik machen, aber ich sehe mich nicht nur dort. Ich habe mit Fotografie angefangen und die Musik kam erst später. Eine Zeit lang hatte ich keinen Laptop und da stockte dann auch die Musik - jetzt ist wieder einer da und die Kreativität sprießt. Ich kann viele Dinge selbst in die Hand nehmen und das ist gut. Mir fällt es ziemlich schwer, Dinge abzugeben, aber ich lerne mit der Zeit dazu.

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