Talk zum Album

Kaleo: Seismograf für die aktuelle US-Stimmung

Musik
08.05.2025 12:20

Vom beschaulichen Island aus haben Kaleo die Rock-Welt erobert – und sich längst im amerikanischen Nashville festgekrallt. Das Viertwerk „Mixed Emotions“ ist gleichermaßen aktuelle US-Bestandsaufnahme, wie auch bewusster Eskapismus von der Realität. Frontmann JJ lässt uns im „Krone“-Talk tiefer in seine aktuelle Seelenwelt blicken.

Wenn es einen passenden Albumtitel zur aktuellen Zeit gibt, dann hat die isländische Combo Kaleo mit ihrem Viertwerk den Nagel auf den Kopf getroffen. „Mixed Emotions“ nennt sich das brandaktuelle Werk, das Frontmann Jökull „JJ“ Júlíusson mit seinen alten Schulfreunden aber nicht mehr neben den Geysiren in der nordischen Heimat, sondern in der amerikanischen Heartland-Musikmetropole Nashville eingespielt hat. Mittlerweile ist auch das Hin- und Herpendeln zwischen den beiden so konträren Standpunkten kein großes Problem mehr. „Seit geraumer Zeit gibt es einen Direktflug zwischen Reykjavik und Nashville“, lacht JJ im Gespräch mit der „Krone“, „das erleichtert uns das Leben natürlich ungemein.“ Die Geschichte von Kaleo ist eine, die in der modernen Musikwelt eigentlich gar keinen Platz hat. Eine Bande Schulfreunde gründet in der tiefsten isländischen Diaspora eine Band und startet von dort einen Erfolgslauf, der ihnen über Nacht Fans quer über den Globus einbringt.

Eigenständigkeit erarbeitet
Mit der Single „Way Down We Go“ gelingt vor ziemlich exakt zehn Jahren der große Durchbruch. Der Song hat mittlerweile Streamingzahlen im Milliardenbereich zu verbuchen, aber auch einen Schatten über die Band gelegt, der es JJ und seinen Kollegen nicht leicht machte, sich von dort freizustrampeln. Mittlerweile haben Kaleo ihre Homebase längst nach Nashville verlegt, arbeiten dort mit den angesagtesten Produzenten und Brancheninsidern aus dem Folk-Rock- und Country-Bereich und haben sich als ernstzunehmende Albumband einen respektierten Ruf der Eigenständigkeit erarbeitet. Gerade die dichte Bande untereinander darf dabei nicht unterschätzt werden. „Wir hatten unsere Höhen und Tiefen“, gibt JJ Einblicke in den Band-Kosmos, „aber wichtig war, dass wir immer den gegenseitigen Respekt hochhielten. So weit wir auch in inhaltlichen Fragen manchmal auseinandergedriftet sein mögen.“ JJ gilt gemeinhin als Perfektionist und Exzentriker. Einer, mit dem nicht immer leicht zusammenzuarbeiten ist, dessen Genius aber diverse Schwierigkeiten im sozialen Bereich überstrahlt.

Kaleo mag am Papier eine Band sein. Die Songs, die Ausrichtung, das optische Zurschaustellen und das Projekt an sich werden aber klar von JJ angeführt. „Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich all das Erreichte mit meinen Freunden erleben darf und nicht mit unbekannten Leuten“, zeigt er sich im Talk aber ganz als Teamplayer, „ich sehe mich selbst in der Musik als furchtlosen Typen. Ich mache, was ich will und wann ich es will und habe mich noch nie aus dem Tritt bringen lassen. Mit dem Klavier und klassischer Musik hat es bei mir begonnen, von dort habe ich mich vorgearbeitet. Schon als wir den allerersten Plattenvertrag unterschrieben haben, habe ich allen klar gesagt, dass die kreative Kontrolle immer bei mir bleiben wird. Das war stets eine Grundvoraussetzung und daran wird auch nicht gerüttelt.“ Was in der Theorie als egoistisch und hochtrabend gesehen werden könnte, führte in der Praxis aber zu Kaleos ganz eigener Sound-DNA. Im Falle von „Mixed Emotions“ bedeutet das, dass man sich noch mehr gen Country und Delta Blues orientiert, ohne aber die nordischen Grundstrukturen zu verleugnen.

Ambivalent in der Wahlheimat
„Gemischte Gefühle“, wie man „Mixed Emotions“ direkt übersetzen kann, hat JJ als Wahl-Amerikaner vor allem zur aktuellen Lage seiner Wahlheimat. Obschon einige Songs auf dem neuen Werk vor einigen Jahren verfasst wurden, haben sie an Aktualität nichts verloren. Die „Bloodline“ beruft sich auf die direkten Verhältnisse von Menschen, die ihre Ideen und Visionen an die nächste Generation weitergeben. „USA Today“ ist eine kritische Abrechnung mit der so geliebten Waffenkultur in Amerika und „Lonely Cowboy“ beruft sich zu einem gewissen Grad auf JJs eigenem Empfinden, sich in der geliebten Wahlheimat doch nicht ganz daheim zu fühlen, weil Erziehung, Sichtweisen und Empfinden eben doch deutlich europäisch und nicht amerikanisch geprägt sind. Demgegenüber stehen aber auch zwanglosere und flotte Songs wie „Rock N Roller“ oder „Back Door“, die der dargebotenen Schwere doch eine andere, versöhnlichere Farbe entgegensetzen – „Mixed Emotions“ eben.

„Als Isländer in den USA zu leben, ist manchmal wirklich surreal. Es vergeht keine Woche, ohne dass irgendwo aus dem Nichts eine Schießerei ausbricht oder jemand Amok läuft. Ich bin auch keiner, der Antworten auf all die Probleme in der Gesellschaft hat, aber als Songwriter ist es mir ein Anliegen, meine Gedanken und Gefühle zu adressieren. ,Lonely Cowboy‘ zum Beispiel dreht sich um mich in der Rolle eines Spaghetti-Westerns. Da geht der Inhalt in eine andere Richtung, die gar nichts mit den polit- oder gesellschaftskritischen Anklängen anderer Songs zu tun hat. Genauso wichtig wie ein Seismograf für die gegenwärtigen Strukturen zu sein ist es, sich manchmal einfach Tagträumen hinzugeben und das innere Kind an die Oberfläche zu lassen. Amerika natürlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Als jemand, der aus einem sehr kleinen Land kommt, kommt es mir aber auch nicht wie eine Nation vor. Bei rund 400 Millionen Einwohnern ist das auch überhaupt nicht möglich, dafür sind die Unterschiede zu groß. Es liegt trotzdem an uns Menschen, uns so gut wie möglich zu verhalten.“

Eintauchen in die Welt der Musik
Im Songwriter JJ steckt ein altes Herz. Das erfährt man nicht nur durch seine ehrlichen und intensiven Songs, sondern ist auch in der Tatsache begründet, dass er die Musik der 20er- bis 40er-Jahre liebt, wo jede Single mit Liebe und Perfektion für die Ewigkeit auf das rare Gut Schellack und später Vinyl gepresst wurde. „Ich bin sehr früh von der Klassik in den Classic Rock und den 60er-Pop gerutscht, insofern war es immer mein Traum, in Nashville zu leben und dort Musik zu kreieren. Ich bin mit amerikanischer Popkultur aufgewachsen und hatte ein sehr genaues Bild davon. Die Realität ist natürlich anders, aber in gewisser Weise doch wieder gleich, wenn du verstehst, was ich meine.“ Dieses komplette Eintauchen in die Welt der Musik ist das, was Kaleo von anderen Bands unterscheidet. Für JJ ging es nie um Trends, sondern schlichtweg darum, dem Herzen und der intrinsischen Motivation zu folgen. Den großen Göttern des Rock und Pop zu huldigen und dabei die eigene, zeitlose Farbe aufs Zeitparkett der Rockhistorie zu klatschen. „Mixed Emotions“ gelingt das einmal mehr sehr gut.

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