Sie sind einfach weg: 82,5 Prozent der nach Österreich geflüchteten Kinder verschwinden. Menschenhandel und Zwangsprostitution inklusive. „Erschütternd ist, dass dem nicht nachgegangen wird“, sagt Stephan Handl, Jurist bei Amnesty International. Im Regierungsprogramm zwar verpflichtend niedergeschrieben, bleibt die Frage der Obsorge noch immer auf der Strecke. Im Live-Talk mit Moderatorin Conny Winiwarter macht Handl seinem Ärger Luft: „Der Bund schiebt die Verantwortung hin und her und nimmt verschwundene Kinder achselzuckend hin.“
Würden mehr als 7000 österreichische Kinder verschwinden, würde es einen hellen Aufschrei geben, sagt Handl. Bei Flüchtlingskindern „nimmt man das aber achselzuckend zur Kenntnis“. Man könne nichts machen, heißt es. Aber stimmt das? „Natürlich nicht“, so der Jurist. Die Verantwortung liegt beim Bund. Dieser muss laut geltendem Recht sowohl ein Dach, ein Bett als auch medizinische Versorgung für alle Kinder gewährleisten.
82,5 Prozent der Flüchtlingskinder verschwinden einfach
Dass das nicht sonderlich gut gelingt, zeigen die folgenden Zahlen: 9347 Kinder stellten von Jänner bis September 2022 einen Asylantrag. Davon wurden 7713 Verfahren eingestellt, weil die Kinder verschwunden waren.
Keine klare Obsorge-Regelung
Eigentlich sollten Kinder nach spätestens drei Wochen in Landeseinrichtungen überstellt werden. Ab diesem Zeitpunkt kann die Kinder- und Jugendhilfe die Obsorge übernehmen. Zwischen Theorie und Praxis liegen allerdings Welten: Die Kinder bleiben viel länger in den großen Lagern, wie beispielsweise in Traiskirchen. Solange sie in Bundeseinrichtungen sind, „kann die Kinder- und Jugendhilfe laut geltendem Recht die Obsorge nicht übernehmen“. Ein großes Problem, resümiert Handl.
„In Österreich fühlt sich niemand verantwortlich“
Dadurch sei niemand da, der sich um die Erziehung, Pflege und Bildung der Kinder kümmere. Problematisch ist das auch im Gesundheitsbereich: „Wer entscheidet über medizinische Eingriffe des Kindes?“, wirft Handl in den Raum. Eine Rechtsvertretung gibt es nämlich nur im Asylverfahren. Österreich hat sich im Regierungsprogramm verpflichtet, die Obsorge „so schnell wie möglich zu gewähren“. Der Gesetzesvorschlag von Justizministerin Alma Zadic (Grüne) ist da. Umgesetzt wird es aber nicht. „Personalmangel, Überlastung und fehlende finanzielle Ressourcen“ erschwerten die Umsetzung.
Gespräche auf Bundesebene: „Ernüchternd“
Die finanziellen Ressourcen müsse der Bund aufstellen, so Handl. Geht es nach dem Juristen, so sollen auch die Betreuungssätze für Kinder erhöht werden: „Diese wurden seit 2016 nicht erhöht.“ Gespräche auf Bundesebene hat es bereits gegeben. Mit einem ernüchternden Ergebnis: „Es ist ein Hin- und Herschieben von Verantwortung“, ärgert sich Handl. Und er verweist auf die geltende Kinderrechtskonvention: „Österreich muss sich daran halten.“ Denn auch geflüchtete Kinder haben das Recht, einen Weihnachtsbaum bewundern zu können, anstatt zwangsprostituiert zu werden.
Das ganze Interview mit Stephan Handl sehen Sie im Video oben. KroneLIVE sehen Sie montags bis freitags ab 9 Uhr.
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