Immer mehr Familien

Hohe Kosten treiben Wiener in die Obdachlosigkeit

Wien
11.09.2022 19:00

Steigende Lebenserhaltungskosten und stagnierende Löhne sind die Zutaten für eine Welle der Obdachlosigkeit in Wien - wir haben uns umgehört.

Mehr und mehr Menschen landen in der Armutsfalle, letzte Konsequenz ist oft die Obdachlosigkeit. Alexander Maier, Leiter der Obdachlosenhilfe beim Verein MUT, berichtet: „In der Lebensmittelausgabe haben wir in den vergangenen Monaten ein Plus von 50 bis 60 Prozent verzeichnet. Im Bereich unserer Wohnhilfe, wo wir Notquartiere betreiben, haben wir 2022 bereits (nur bis August) 20 Prozent mehr Anfragen gegenüber 2021.“

Beim „Krone“-Lokalaugenschein im Haus Gunoldstraße der Johanniter blickt Leiter Martin Einfalt voll Sorge Richtung Winter: „Wir merken, dass durch die Teuerung die Delogierungsrate steigt. Bedrückend ist, dass immer mehr Familien mit Kindern von Wohnungslosigkeit betroffen sind.“

Ein ganzes Haus voller berührender Schicksale
In dem früheren Bürogebäude finden 212 Personen einen Schlafplatz und warme Mahlzeiten. Auf Ebene eins sind elf Familienzimmer, die voll belegt sind. Etwa von der 35-jährigen Angela. Im Gitterbettchen des kleinen Raums liegt die vier Monate alte Tochter: „Ich habe früher schwarz als Reinigungskraft gearbeitet, das war ein Fehler.“ Wann sie ihrem Kind ein eigenes Dach über dem Kopf bieten kann, weiß sie nicht.

Ein paar Zimmer weiter lebt die 45-jährige Maryan mit ihrer Familie. Sie ist Mutter von sechs Kindern: „Zwei davon leben in Russland, die anderen hier mit uns im Zimmer. Die Mitschüler wissen nichts davon“, sagt die Frau mit Tränen in den Augen, „Mein Mann hatte einen Autounfall und verlor dabei zwei Freunde. Er leidet an Epilepsie“, berichtet Maryan, was sie in diese missliche Lage gebracht hat.

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Wir merken, dass durch die Teuerung die Delogierungsrate steigt. Bedrückend ist, dass immer mehr Familien mit Kindern von Wohnungslosigkeit betroffen sind.

Martin Einfalt, Leiter des Haus Gunoldstraße

Ähnlich die Geschichte eines Bewohners auf Ebene 3: „Bei meiner Arbeit auf der Baustelle verletzte ich mir die Hände, daraufhin wurde ich gekündigt. Die Sommermonate schlief ich im Wald. Ich habe alles verloren“, erzählt Ibra, der sich nun gemeinsam mit drei Fremden ein Zimmer teilt. Kästen gibt es keine, weshalb es immer wieder zu Diebstählen kommt. Nicht selten steht ein Polizeiwagen am kleinen Vorplatz des Hauses, auf dem die Kinder Fahrrad fahren.

„Die Geschichten unserer Bewohner gehen mir nahe“, sagt Co-Hausleiterin Katharina Hörmann, die vor Corona ein Reisebüro leitete. „Mir geht das Herz auf, wenn jemand aus unserem Haus den Sprung zurück ins Leben schafft.“

„Hab vor fünf Jahren mein letztes Bier getrunken“
Einer, der es geschafft hat, ist Sandor Balog. 15 Jahre hat er auf der Straße gelebt: „Zuerst hatte ich meine Arbeit verloren, dann konnte ich die Miete nicht mehr zahlen, und dann ist auch noch der Alkohol dazugekommen.“ Und wie konnte er dem Teufelskreis entkommen? „Vor fünf Jahren hab ich beschlossen, mein letztes Bier zu trinken. Das war der Startschuss. Dann konnte ich mir auch wieder eine Arbeit suchen.“ Heute arbeitet Herr Balog beim Verein MUT und hilft anderen, den Weg zurück ins Leben zu finden.

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