Neun Euro die Stunde

Psychotherapie im Wiener Gemeindebau

Politik & Wirtschaft
11.04.2022 19:00

Um neun Euro zum Seelendoktor. Ein neues Stadtprojekt in der Per-Albin-Hansson-Siedlung im zehnten Bezirk in Wien macht es für die Bewohner nun möglich.

Wer psychologische Beratung braucht oder ein persönliches Coaching in Anspruch nehmen möchte, hat Glück, wenn er in der Per-Albin-Hansson-Siedlung in Favoriten wohnt. Dort kann man sich nämlich ab sofort auf der Stiege 58, in einer zum Beratungszentrum umfunktionierten 30-Quadratmeter-Wohnung, für neun Euro die Stunde professionell beraten und begleiten lassen. Die erste Stunde ist kostenlos. Ganz egal „ob es um berufliche oder familiäre Angelegenheiten und Sorgen oder Fragen der persönlichen Entwicklung geht“, wie es in der Projektbeschreibung heißt.

Aber warum gerade hier? Die Hansson-Siedlung zählt mit insgesamt 14.000 Bewohnern und 6000 Wohnungen zu den größten Wohnhausanlagen Wiens. Dass es soziale Konflikte gibt und das Zusammenleben nicht immer so einfach ist, ist klar. Der Massen-Gemeindebau steht heuer im Rahmen der Internationalen Bauausstellung besonders im Fokus. Neben lebensrettenden Defibrillatoren, neuen Kinderspielplätzen oder einer neuen LED-Beleuchtung in den Stiegenhäusern und Kellerabteilen gibt es jetzt eben auch vergünstigte Psychotherapie.

FPÖ: „Verhöhnung der Gemeindebaubewohner“
Das neue Projekt kommt aber nicht bei allen gut an. „Die Ankündigung eines Coaching-Centers, für das auch noch bezahlt werden muss, ist ein Schlag ins Gesicht jener Gemeindebaubewohner, die sich schon jetzt die Mieten und die Heizkosten nicht mehr leisten können“, kritisiert Stefan Berger, Bezirksobmann der FPÖ-Favoriten. Die genauen Kosten lassen sich laut dem Büro von Vizebürgermeisterin Gaál (SPÖ) aktuell noch nicht beziffern. Je nachdem wie gut das Angebot genützt werden wird.

Welche Themen den Bewohnern wirklich unter den Fingernägeln brennen und was sie von dem neuen Angebot halten, hat die „Krone“ vor Ort nachgefragt.

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Ich wohne schon seit 70 Jahren hier. Ich habe eine warme Wohnung, es könnte schlimmer sein. Vom neuen Angebot halte ich nichts, wenn ich ein Problem mit meiner Nachbarin habe, rede ich mit ihr.

Frederike Boff (77),Pensionistin

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Ich wohne jetzt schon eine Weile hier. Ich fühle mich wohl, aber die vielen Einkaufswagen, die in der ganzen Anlage verteilt sind, stören mich. Mein Geld gebe ich lieber für etwas anderes als Psychotherapie aus.

Eyup Isnal (42), Maler

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Ich bin in dieser Anlage aufgewachsen. Ich bin im Großen und Ganzen zufrieden und habe nichts an der Per-Albin-Hansson-Siedlung auszusetzen. Für Coaching habe ich aber nichts übrig.

Andreas Kiss (53), Schlosser

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Ich wohne erst seit einem Monat im Gemeindebau. Noch bin ich zufrieden, die Wohnung ist schön, die Anlage ist sauber, und es gibt Spielplätze für die Kinder. Coaching brauche ich aber nicht.

Jasmina Dinulovic (39), in Karenz

Noch bis Ende des Jahres läuft das Pilotprojekt und wird von Wiener Wohnen evaluiert. Die Ergebnisse sollen in die Gestaltung künftiger sozialer Angebote für Gemeindemieter miteinfließen. Wird das Beratungsangebot gut angenommen, soll es jedenfalls auf weitere Gemeindebauten ausgeweitet werden.

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