Zugewanderte Manager

„In Wien gilt eher: Geh‘ mir nicht auf die Nerven“

Wien
13.07.2025 19:00

Wie sieht Wien aus, wenn man es mit ganz anderen Augen sieht? Wir haben mit zwei ausländischen Top-Unternehmern gesprochen, für die es zur neuen Heimat wurde und die über Dinge staunen, die für Wiener selbstverständlich sind. Dafür wundern sie sich umgekehrt oft, was hier als Aufreger durchgeht.

Ohne jede vorherige Verbindung zu Wien sind die Geschäftsleute Nate Wyne und Gaurav Gandhi aus Los Angeles und Mumbai hierher übersiedelt – und teilen mit der „Krone“ ihren Blick auf die Stadt.

„Krone“: Wie haben Sie Wien erlebt, als sie vor rund zwei Jahren hierher kamen?
Nate Wyne: Nach Wien zu kommen war wie Luft holen. Es war offen, es war grün, und meine Fünfjährige konnte allein die Straßenbahn nehmen. Meine älteren Kinder waren am Anfang gegen Wien, sie hatten ja in L. A. ihren Freundeskreis, aber meine Jüngeren konnten schon nach drei Tagen „Kann ich mit Dir spielen?“ sagen.
Gaurav Gandhi: Das war bei mir ähnlich. Nach einer Woche hier, als ich meinen Jüngeren in die Schule bringen wollte, hat er gesagt: „Du musst nicht mitkommen. Ich kann das.“

Nate Wyne und Gaurav Gandhi teilen ihren Blick von außen auf Wien mit der „Krone“.
Nate Wyne und Gaurav Gandhi teilen ihren Blick von außen auf Wien mit der „Krone“.(Bild: Jöchl Martin)

Sie haben sich Ihre Entscheidung ja gut überlegt. Was war hier dann trotzdem überraschend?
Gandhi: Um in Mumbai ins Büro zu kommen, habe ich eineinhalb Stunden gebraucht, und am Abend eineinhalb Stunden zurück. Jetzt sind wir alle in 15 Minuten in unseren Büros oder in der Schule. Das war für mich unglaublich.
Wyne: Stimmt, ich habe noch nie so gute Infrastruktur erlebt. Ich habe mir sogar Sorgen gemacht, dass die gemeinsame Zeit im Auto in der Früh uns als Familie fehlen wird – aber jetzt gehen wir jeden Morgen gemeinsam zum Bus. Das ist so viel mehr Lebensqualität. Ja, die Steuern sind höher hier, aber wenn man zusammenrechnet, was man sich alles erspart, dann kommt das ziemlich auf dasselbe raus.
Gandhi: Dazu kommen die Grünflächen. In Mumbai sind sie nicht gepflegt, überfüllt oder es gibt keine.

5180 Beratungstermine

5180 Beratungstermine mit Expat-Unternehmern und ausländischen Spitzenkräften haben die Wirtschaftsagentur und das Business-Immigration-Office der MA 35 letztes Jahr absolviert.

Gab es überhaupt keine negativen Überraschungen?
Wyne: Also, die aufenthaltsrechtlichen Verfahren waren schon ... Da mussten wir gefühlt 600-seitige Formulare per Post hin- und herschicken. Die wollten sogar Schulnoten von vor 20 Jahren wissen. Dann ist mein erstes Visum ausgelaufen und ich musste wieder ausreisen. Ich meine, ich respektiere das irgendwie, ich bin hier ja nur Gast. Aber wenn man Dir sagt: „Komm, gründe hier ein Unternehmen!“ und zugleich „Verschwinde aus diesem Land!“, dann ist das schon hart. Das ist so eine Halbe-Halbe-Sache: Manches hier ist sehr modern, und andere haben offenbar eine tief empfundene Liebe zu möglichst viel Papier.
Gandhi: Ja, der Papierkram ... Was ich alles geschrieben habe, ohne je Antwort zu bekommen! Und manches lässt sich in einem Formular einfach nicht erklären. Es ist ein bisschen wie in Indien, das sind auch zwei Welten in einem Land.

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Dass man hier mit Eltern ausmachen muss, von wann bis wann Kinder spielen kommen, war mir als Konzept fremd.

Unternehmensberater Gaurav Gandhi

Was vermissen Sie hier am meisten?
Wyne: In Los Angeles hatten wir unsere Familie und Freunde um uns, da konnten wir auch schnell einmal die Kinder abgeben. Und dann: Wenn man hier essen geht, ist das Service schon manchmal schlecht – obwohl man hier einen Lohn bekommt, der zum Leben reicht, und nicht wie in den USA vom Trinkgeld leben muss.
Gandhi: Meine Kinder haben sich in Mumbai in unserer unmittelbaren Nachbarschaft frei bewegt. Dass man hier mit Eltern ausmachen muss, von wann bis wann die Kinder zum Spielen vorbeikommen, war mir als Konzept davor fremd.

Sind Wiener kompliziert?
Wyne: Nein, Wiener sind stolz auf ihre Stadt und wachen über ihr Erbe, aber das ja zu Recht. In Japan hat man es wirklich schwer, akzeptiert und ernst genommen zu werden – hier ist es eher: „Respektiere uns, respektiere, wo du bist, und geh’ mir nicht auf die Nerven“ (lacht) Und Wiener sind sehr ambitioniert.

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Hinter dieser Verweigerungshaltung in Wien steckt in Wahrheit oft viel Ambition.

US-Unternehmer Nate Wyne

Ambitioniert?
Wyne: Man muss sich nur ansehen, wenn Zürich einmal „lebenswerteste Stadt“ wird und alle zornig werden (lacht). Aber im Ernst: Ihr könntet jeden Park zu Baugrund und Geld machen. Aber Ihr sagt: Nein, ich will lieber einen schönen Ort haben. Hinter dieser Verweigerung steckt in Wahrheit viel Ambition. Es ist schwieriger, eine Stadt lebenswert zu machen als profitabel.
Gandhi: Die Schwimmbäder, die vielen Veranstaltungen: Anderswo gibt es das gar nicht oder nur für Privilegierte. Je öfter Wiener woanders waren, desto stolzer sind sie auch darauf. Wenn ich an einer Haltestelle stehe und sich jemand beschwert, dass der Zug drei Minuten zu spät ist, muss ich in mich hineinlächeln und denken: Du warst noch nie in Mumbai.

Bei Ihrem Blick über den Tellerrand hinein: Was halten Sie für größte Missverständnis von Wienern über Wien?
Wyne: Dass man hier keine Karriere machen kann, dass man mindestens nach München oder nach London gehen muss. Ich glaube, Wien verkauft sich unter Wert und entschuldigt sich manchmal beinahe für sich selbst.
Gandhi: Ich kann nur zustimmen. Was diese Stadt zu bieten hat, ist Weltklasse-Niveau. Wenn man von außen kommt und das sieht, sagt man: Oh mein Gott, das ist ja fantastisch! Letztes Jahr war ich Trauben ernten. In der Stadt! Ich konnte es nicht fassen: Ich kann in einem Weingarten Trauben ernten und bin gleich darauf wieder daheim.

„Lebenswerteste Stadt“ ist relativ

Weil Wien derzeit gleich in mehreren „Lebenswerteste Stadt“-Listen (Forbes, Mercer, ...) auf Platz zwei steht, Platz eins aber an unterschiedliche Städte geht, befindet das World Tourism Forum nach Zusammenrechnen aller Listen: Wien bleibt die lebenswerteste Stadt der Welt.

Expat-Center als As in Wiens Ärmel
Seit der Gründung des Expat-Centers der Wiener Wirtschaftsagentur vor 15 Jahren hilft Friedrich Bruckner Spitzenkräften aus dem Ausland, in Wien Fuß zu fassen. Er verhehlt nicht: „Wir kümmern uns natürlich um eine Zielgruppe, die ein gutes Einkommen hat, die hohe Sozialversicherungsbeiträge zahlt, die gute Kunden der Wiener Wirtschaft sind. Wir machen das nicht nur, weil wir gute Menschen sind.“ Zu ungefähr einem Viertel geht es um Unternehmer, zu drei Vierteln um Angestellte: Forscher, Diplomaten und gesuchte Experten.

Die schicke Optik im Expat-Center der Wirtschaftsagentur soll Expat-Spitzenkräften Lust auf Wien ...
Die schicke Optik im Expat-Center der Wirtschaftsagentur soll Expat-Spitzenkräften Lust auf Wien machen.(Bild: Jöchl Martin)

Von Rechtsberatung bis zum Kinder-Fußballteam
Es ist eine Zielgruppe, die weltweit umworben wird. Das Expat-Center ist aus Bruckners Sicht dabei ein zentraler Hebel: „Wenn jede Stadt auf der Welt ihre Karten auf den Tisch legt, dann wird dir heute jede sagen: Ich habe Förderungen, ich habe Betriebsgrundstücke, ich habe eine Start-up-Umgebung. In Wien legen wir noch eine Karte auf den Tisch und sagen: ,Und für uns zählst Du auch als Mensch.’ Das spricht sich herum.“

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In Wien sagen wir: „Für uns zählst du auch als Mensch.“ Das spricht sich herum.

Friedrich Bruckner, Expat-Center der Wirtschaftsagentur

Entsprechend vermischt sind die Beratungsleistungen: Meist geht es einerseits um Aufenthaltsrecht und andererseits um lokale Kontakte – vom Anwalt über den spanischsprachigen Arzt bis zum Fußballteam für die Kinder. Und in rund einem Achtel aller Fälle sind es Österreicher, die sich an das Expat-Center wenden: weil sie es sind, die Mitarbeiter von der Rückkehr in ihre Heimat abhalten wollen.

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