Taxi-Geschichten

Taxi und Bluthandel: Fahrer als moderner Mephisto

Wien
02.04.2022 11:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Mephisto verkauft seine Seele an den Teufel und besiegelt den Pakt mit einem Blutstropfen. „Blut ist ein ganz besonderer Saft“, spricht er zu Faust. Die allumfassende Bedeutung des roten Lebenssaftes hat der große Dichter Johann Wolfgang von Goethe schon im 18. Jahrhundert erkannt. In der Gegenwart hat Mehmet damit zu tun. Er fährt mich gerade für eine Dienstfahrt von der Muthgasse in die Theresianumgasse und offenbart mir im amikalen Gespräch Überraschendes. Im Taxi sitze der sympathische Mittdreißiger nur, weil die Pharmafirma, in der er gerade arbeitet, wegen eines Shutdowns temporär geschlossen hat. Der Betrieb wird vergrößert und muss die Arbeit deshalb aussetzen. „Ein paar Wochen haben wir noch zu, dann geht es wieder weiter.“ Der Spagat zwischen Taxi und Pharmaindustrie ist in der Tat ein seltener und großer.

„Als ich vor vielen Jahren nach Österreich kam, bin ich Taxi gefahren, um mir Geld zu verdienen“, blickt Mehmet auf die Anfänge seiner Karriere zurück, „aber ich wollte schon immer in die Pharmaindustrie. Ein Freund von mir war dort schon damals tätig und man wird sehr gut bezahlt. Ich habe nur darauf gewartet, bis sich eine Möglichkeit auftut und habe dann sofort zugeschlagen.“ Zu Beginn gab es einen Sechs-Monats-Vertrag, der dann auf Dauer in einen unbefristeten umgewandelt wurde. Mehmet hatte früh eine verantwortungsvolle Aufgabe, die so manch Kranken mit Sicherheit dienlich war. „Anfangs habe ich falsche Etiketten von medizinischen Flaschen befreit. Das waren so viele, dass es dafür Personal von einer Leihfirma brauchte.“ Die bereits mit medizinischen Produkten befüllten Flaschen seien dann im Nachhinein richtig etikettiert worden.

Über die Jahre steigerte sich die Verantwortung in den unterschiedlichen Aufgabenbereichen. Mittlerweile ist Mehmet in der Blutreinigung tätig. Dort werden, mittlerweile hauptsächlich maschinell, Blut und Plasma gefiltert. Aus dem Blutplasma werden dann Medikamente hergestellt. Die bekanntesten sind diverse Blutgerinnungspräparate wie der Eiweißstoff Albumin, der bei Unfällen gegen lebensbedrohende Schockzustände eingesetzt wird. Eine anstrengende und verantwortungsvolle Tätigkeit, die im Schichtbetrieb erfolgt. „Wir arbeiten zumeist drei Tage mit sehr vielen Stunden durch, haben dann aber oft nach Schichtplan vier oder gar sechs Tage frei. Das ist sehr familienfreundlich, weil man viel Zeit für seine Kinder hat.“

Am Tag würde seine Firma rund 20 Tonnen Blut bearbeiten, erzählt mir der freundliche Fahrer, während sich kurz vor Ende unserer Fahrt der Berufsverkehr zu einer motorisierten Schlange auffädelt. „Wir übernehmen das meiste Blut aus dem Ausland, vorwiegend aus Südamerika. Wir erzeugen aus dem Blut Medikamente für Bluterkrankte, für die das lebenswichtig ist.“ Einen Widerspruch zu seiner alten und temporär auch neuen Tätigkeit hinter dem Taxilenkrad sieht er nicht. „Bevor ich daheim herumsitze, mache ich etwas Sinnvolles und verdiene in der Zeit des Shutdowns lieber Geld dazu. Heutzutage ist es allgemein schwierig, einen guten Job zu finden. Deshalb ist es mir auch so wichtig, dass ich weiterhin in der Pharmabranche beschäftigt bleibe.“

Mehmet weiß, dass die Bezahlung heute ein entscheidender Faktor für ein stabiles Leben ist. „Wie kann man jemanden, der fünf Tage lang acht bis neun Stunden am Tag arbeitet, brutto 1300 Euro zahlen? Die Mieten für kleine Wohnungen alleine kosten schon 700 bis 800 Euro. Wie will man da noch vernünftig leben?“ Mehmet biegt auf den letzten Metern am Zielort ein und bekräftigt mir gegenüber noch einmal, wie sehr er sich auf seine Rückkehr in sein Unternehmen freue. „Ich liebe es, mit den Menschen zu reden und zu fahren, aber meinen Job liebe ich noch viel mehr.“ Dem gepeinigten Begriff „Bluthandel“ mengt Mehmet in seiner Funktion sehr viel Positives bei. Da hätte bestimmt auch Goethe seine Freude daran.

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