Interview

„Wir müssen unsere Art zu leben ändern“

Vorarlberg
15.03.2022 11:55

Architektin und Städteplanerin Geli Salzmann sprach mit der „Krone“ über die Attraktivität des urbanen Rheintals, wie stark sich die Wohnsituation verändert hat und warum es höchste Zeit ist, umzudenken.

Krone: In Vorarlberg beziehungsweise im Rheintal und in der Bodenseeregion wird es zunehmend eng. Können wir da noch von einem attraktiven Lebensraum sprechen?
Geli Salzmann: Ich denke schon, dass Vorarlberg immer noch ein sehr attraktiver Lebensraum ist. Dafür gibt es verschiedenste Faktoren: Sei es das Klima, seien es der See, die Berge und natürlich die vielen Frei- und Grünflächen. All das gibt es auch im „urbanen Rheintal“ nach wie vor, denn die Siedlungsgrenzen haben sich in den letzten zwei, drei Jahrzehnten nicht wesentlich verändert. Im Prinzip ist man also an jedem Ort in ganz Vorarlberg innerhalb von wenigen Kilometern und somit in Gehweite im Grünen. Das ist in keiner Großstadt möglich.

Fakten

Zur Person:
Geli Salzmann lebt und arbeitet Dornbirn, Mühlebach, als Architektin und Städteplanerin. Neben der Umsetzung konkreter Bauvorhaben berät sie Land und Gemeinden hinsichtlich raumplanerischer Aufgabenstellungen, Quartiersentwicklung und Wohnbau und lehrt als Lektorin an verschiedenen Universitäten.

Krone: Ich würde allerdings beim Rheintal nicht unbedingt von einer Großstadt reden…
Salzmann: Nein. Ob es jemals so weit kommt, wird sich zeigen. Das Rheintal ist viel eher eine Agglomeration, die 29 Gemeinden miteinander verbindet. In dem Zusammenhang muss auch ein weiterer wichtiger Faktor erwähnt werden, der einerseits eine städtische Region auszeichnet, andererseits die Qualität des Lebensraums unterstreicht: Wir haben nämlich mittlerweile ein hervorragendes ÖPNV-Angebot. Im Rheintal fahren die Öffis im Viertelstundentakt, aber selbst in den Bregenzerwald, ins Montafon oder in andere, wenn man so möchte entlegenere Gegenden gibt es durchaus gute Verbindungen. Nicht zu vergessen die Nähe zu Zürich, wo uns mit dem Flughafen ein internationaler Mobilitätshub zur Verfügung steht - noch dazu bestens erreichbar mit dem Railjet, also einmal mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Krone: Enger wurde es trotzdem…
Salzmann: Stimmt. Wobei immer die Frage ist, für wen und wo. Klar haben wir aufgrund der guten Wirtschaftssituation Zuzug. Die Geburtenrate kann es nämlich nicht sein. Folglich hat sich in den letzten Jahrzehnten auch die Wohnsituation stark verändert. Mehr und mehr Menschen leben beispielsweise in Wohnungen. Das hat zum einen damit zu tun, dass es schlichtweg weniger bebaubare Flächen gibt. Zum anderen aber vor allem auch damit, dass man sich das „Hüsle baua“ eigentlich nicht mehr leisten kann. Abgesehen davon, dass die Mittelschicht schwindet, tun sich selbst jene Personen schwer, die an sich gut verdienen. Wer trotz allem bauen möchte, setzt daher immer öfter auf Fertigteilhäuser oder Tiny Houses. Letztere sind aus architektonischer Sicht eine regelrechte „Perversion“ des Einfamilienhauses und aus raumplanerischer Sicht ebenfalls ein Horror, schließlich wird hier im Verhältnis eine enorme Fläche verbraucht. Natürlich ist es verständlich, wenn man sich für so eine Lösung entscheidet, schließlich sind die Baupreise in den letzten zwei Jahren und somit während der Corona-Pandemie um 23 Prozent gestiegen. Ein Quadratmeter kostet hierzulande um die 7000 Euro. Das ist Wahnsinn.

Krone: Dabei scheint das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Glauben Sie, dass es in den kommenden Jahren zu einer Abwanderung kommen wird?
Salzmann: Ich habe schon von einigen Menschen gehört, die aufgrund der hohen Preise wegziehen. Das ist also kein Zukunftsthema, sondern passiert schon. Nicht in einem Ausmaß, dass es tatsächlich auffallen würde, aber es zeigt, dass die Menschen nicht mehr bereit sind, ihr ganzes Geld in das Eigenheim zu investieren. Spannend wird das auch mit Blick auf jenen Teil der Gesellschaft, der als „working poor“ bezeichnet wird. Also Menschen, die trotz regelmäßigem Einkommen unter der Armutsgrenze leben müssen, weil sie es mit horrenden Lebenserhaltungskosten hierzulande zu tun haben.

Krone: Was mich einmal mehr zu meiner Eingangsfrage bringt: Können wir noch von einem attraktiven Lebensraum sprechen?
Salzmann: Er ist attraktiv. Doch die Frage ist, ob die Work-Life-Balance noch passt. Wenn das nämlich nicht mehr der Fall ist, wird das Leben in Vorarlberg auch nicht mehr attraktiv sein - zumindest nicht so attraktiv, dass die Menschen tatsächlich hier leben wollen. Hier muss vonseiten der Politik, aber auch von Wirtschaft und Industrie gegengesteuert werden, ansonsten wird es wirklich zur Abwanderung kommen.

Krone: Und wie könnte gegengesteuert werden?
Salzmann: Es gibt unterschiedliche Ansatzpunkte. Eine Idee wäre, dass Grund und Boden noch mehr beziehungsweise wieder vermehrt verpachtet wird. Früher hatten wir ja auch Allmenden, also Flächen, die im Besitz der Gemeinden waren und die auf eine gewissen Zeit verpachtet wurden. Das war sinnvoll und wurde von der Bevölkerung ebenso empfunden. Und es passiert sowieso schon - oder wieder, wie man möchte. Allerdings eher im Betriebsgebiet, wo auf mindestens 30 Jahre verpachtet wird.

Krone: Das klingt spannend. Die Frage ist nur, was der Bauherr davon hält.
Salzmann: Hierfür bräuchte es selbstverständlich ein Umdenken - und zwar sowohl vonseiten der Bürger beziehungsweise dem Häuslbauer als auch vonseiten der Gemeinden, die derzeit Grundstücke aufparzellieren und an potenzielle Bauherren verkaufen. Damit die Menschen umdenken, ist es allerdings wichtig, dass sie verstehen, warum sie das tun müssen und natürlich auch, ob und welche Vorteile es für sie hat. Letztere sind etwa bei den Kosten zu finden: Da beim Kauf der Preis für Grund und Boden wegfallen würde, käme es schlussendlich wesentlich günstiger. Wenn alles nur gepachtet ist, gehört allen alles. Auf den ersten Blick mag das verunsichern, schließlich hat man kein Recht auf den Boden, sondern nur auf das Haus oder den Wohnraum. Wenn man es sich aber genauer anschaut, wäre man wesentlich flexibler. Fakt ist: Vorarlberg hat eine Fläche von 2601 Quadratkilometer und nur rund sieben Prozent davon sind Siedlungsraum. Daran wird sich nicht mehr viel ändern. Also müssen wir unsere Art zu leben und unsere Einstellung ändern.

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