Essay von A. Kurkow

„Zar Putin, der uns eine Welle an Gewalt brachte“

Tirol
03.03.2022 17:00

Im deutschen Sprachraum wurde Andrej Kurkow vor mehr als 20 Jahren mit seinem Roman „Picknick auf dem Eis“ bekannt. In der Gegenwart stellt er seither das „berühmteste Exportgut in Sachen Literatur dar“, das aus der Ukraine stammt. Die „Tiroler Krone“ nahm mit dem Erfolgsautor am ersten Tag der russischen Invasion telefonisch in Kiew Kontakt auf. Im Zuge dieses ernüchternden Telefonates entstand die Idee, dass Andrej Kurkow Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, an seinen Gedanken die Ukraine betreffend teilhaben lässt.

Wenn ein König beschließt, ein Nachbarland anzugreifen, fragt er sein Volk nicht nach seiner Meinung. In Russland ist es noch weniger üblich, zu fragen. Bei der Sitzung des russischen Sicherheitsrates, die im Fernsehen übertragen wurde, wurde deutlich, dass selbst die einflussreichsten Personen in Russland Angst vor Präsident Putin haben. Er hat bereits die ganze Welt erschreckt und macht der Ukraine weiterhin Angst mit einem totalen Krieg. Putin erklärte, dass er die Ukraine nicht als Staat anerkenne, aber die „separatistischen Republiken“ Donezk und Luhansk anerkenne. Sind das Normalzustände für ihn? Natürlich ja. Alle Staaten, die bereit sind, der Russischen Föderation zu gehorchen, sind für Putin normal.

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Die Ukrainer sind innerlich und psychologisch darauf vorbereitet, ihr Land zu verteidigen.

Andrej Kurkow

Die Ukraine ist nicht bereit, wieder eine russisch-ukrainische Republik oder ein Teil der Russischen Föderation zu werden. Die Ukrainer sind innerlich und psychologisch darauf vorbereitet, ihr Land zu verteidigen. Das bedeutet nicht, dass sie sich keine Sorgen über den Krieg machen. Es tut mir selbst weh, daran zu denken, dass Fliegerbomben und Raketen auf Kiew fallen könnten, aber ich verstehe, dass dies die heutige Realität ist, in der wir leben.

„Die Ukraine ist frei und will auch frei bleiben“
In ganz Russland waren es nur sechs Menschen, die mit Plakaten gegen den Krieg in der Ukraine zum Kreml gingen. Und sie wurden sofort festgenommen. Wenn die Menschen in der Ukraine mit etwas unzufrieden sind, dann beteiligen sich Tausende und Zehntausende Bürger an Protestkundgebungen. Die Ukraine ist ein freies Land und will frei bleiben, ohne totale Polizeikontrolle, ohne Angst und ohne Zensur. Neulich beschloss sogar einer der reichsten Oligarchen der Ukraine, Renat Achmetow, eine Milliarde Griwna (rund 30 Millionen Euro) Steuern im Voraus zu zahlen, um den Haushalt des Landes während möglicher Kriegsvorbereitungen zu füllen. Dies ist das erste Mal, dass man sagen kann, dass sogar die ukrainischen Oligarchen heute mit dem ukrainischen Volk und mit der Regierung zusammen sind.

Wenn ein Krieg beginnt, wird er nicht sofort sein und er wird auch nicht in ein oder zwei Wochen vorbei sein. Und dieser Krieg wird in der Ukraine nicht enden. Es wird andere Länder haken, Europa haken. Je mehr Europa heute tun kann, um eine russische Aggression zu verhindern, desto weniger wird Europa selbst leiden. Die Zeit der lokalen Kriege ist längst vorbei. Jeder Krieg in Europa ist eine Wirtschaftskrise, Hunderttausende von Flüchtlingen und eine unberechenbare Zukunft für jene Länder, die sich für stabil halten und nicht genau beobachten wollen, was in ihrer Nachbarschaft passiert.

„Ukraine schützt sich, um ihren Traum zu erhalten“
Heutzutage landen regelmäßig Flugzeuge mit militärischer Unterstützung aus Großbritannien, den USA und Kanada auf ukrainischen Flughäfen. Die Niederlande schickten erstmals Militärhilfe. Deutschland und einige andere europäische Länder weigern sich „höflich“, mit Waffen zu helfen, mit dem Argument, dass Waffen noch mehr Verluste und Zerstörung provozieren werden. Die Ukraine hat noch nie jemanden angegriffen. Die Ukraine muss sich schützen, um ihren europäischen Traum nicht für immer zu verlieren.

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Heute sieht die Ukraine, welche ihrer europäischen Nachbarn wirklich Freunde und Partner sind.

Andrej Kurkow

Heute sieht die Ukraine, welche ihrer europäischen Nachbarn wirklich Freunde und Partner sind. Diese Liste der Freunde, die sich in schwierigen Zeiten nicht von ihr abgewandt haben, wird für immer in goldenen Lettern in die Geschichte des ukrainischen Staates eingeschrieben sein. Litauen, Polen, die Niederlande, Estland, Großbritannien und Rumänien stehen seit Langem auf dieser Liste und haben sich bereit erklärt, bis zu 500.000 ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen. Ich möchte Österreich, Frankreich, Deutschland, Spanien, die gesamte Europäische Union auch auf dieser Liste sehen.

Andrej Kurkow

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