IWF-Chef am Pranger

Franzosen von Strauss-Kahn-Bildern schockiert

Ausland
18.05.2011 21:05
Eigentümlich vertraut waren vielen Franzosen die Fernsehbilder, die Dominique Strauss-Kahn von Polizisten umringt und später unrasiert vor dem Richter zeigten. Amerikanische Krimi- und Justizserien anzuschauen, ist in Frankreich Volkssport. Aber dass da ausgerechnet der IWF-Chef und aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat Frankreichs öffentlich so behandelt wurde, hat in seinem Heimatland Verstörung ausgelöst.

Angewidert und zugleich fasziniert schauen viele Franzosen auf die Bilder, die es so nie gegeben hätte, wäre DSK, wie er in Frankreich genannt wird, in Paris unter den Verdacht der Vergewaltigung geraten. "In Frankreich würde man einen Angeklagten nie so an den Pranger stellen!", schreit ein aufgebrachter Mann auf einer Karikatur in der Tageszeitung "Liberation". Daneben ist DSK als Häftling auf einem offenen Leiterwagen zu sehen, über ihm eine Gedankenblase: "In Frankreich hätte ein Zimmermädchen niemals die Polizei gerufen."

Es ist eine seltsame Verkehrung der Vorurteile. In Frankreich gelten die USA weitgehend als prüde. Schon die Affäre um den ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton, der sich von einer Praktikantin mit deren Einverständnis oral befriedigend ließ, hatte bei vielen Franzosen Kopfschütteln ausgelöst. Warum sollte es den Wähler etwas angehen, mit wem und in welcher Stellung der Präsident seinen sexuellen Bedürfnissen nachgeht?

Unschuldsvermutung ist in Frankreich sakrosankt
Andererseits ist Frankreich extrem zurückhaltend, wenn es um die Persönlichkeitsrechte von Angeklagten geht. Wie auch in Deutschland darf in Frankreich nicht im Gerichtssaal gefilmt werden. Lediglich Gerichtszeichner sind zugelassen, die mit ihren Blöcken und Stiften wie historische Relikte wirken. Es ist auch ausdrücklich verboten, Angeklagte in Handschellen zu zeigen. Ein Verstoß kann mit einer Strafe von 15.000 Euro geahndet werden. Die Unschuldsvermutung ist sakrosankt in Frankreich - und zwar bis das Urteil gesprochen ist.

In den vergangenen Tagen wurde in den Pariser Redaktionen heftig diskutiert, wie man mit den Bildern und den krude formulierten Details aus den Polizeiprotokollen umgehen sollte, die sich rasant verbreiteten. Ein Anwalt Strauss-Kahns drohte bereits, gerichtlich gegen Sender vorzugehen, die die Bilder seines unrasierten und übernächtigten Mandanten in Polizeigewalt zeigten - wobei die Handschellen nicht einmal im Bild waren. Auch die französische Fernsehaufsicht CSA mahnte die Sender zur Zurückhaltung. Guillaume Dubois, Nachrichtenchef des kommerziellen Senders BFMTV, hingegen meinte: "Wir können kaum auf diese Bilder verzichten, wenn sie auf allen Sendern weltweit ausgestrahlt werden." Auch Thierry Thuillier vom Sender TF1 erklärte: "Es wäre ein Fehler gewesen, die Bilder nicht zu zeigen."

Die Frage nach der Notwendigkeit des Anprangerns stellt sich in Frankreich aber auch noch auf andere Weise. In Politiker- und Journalistenkreisen war seit Langem bekannt, dass DSK gerne den Don Juan gab - und es dabei in der Vergangenheit bereits mehrfach an Respekt mangeln ließ. "Wo ist die Grenze zwischen Privatleben und öffentlichem Leben?", fragte "Liberation" am Mittwoch, um schließlich in resignierendem Tonfall festzustellen: "Wir haben zu lange weggesehen bei seinen Geschichten."

Zimmermädchen sagte bereits vor der Grand Jury aus
Indes hat das mutmaßliche Opfer des IWF-Chefs überraschend bereits vor der Grand Jury ausgesagt. Der Fernsehsender CNN berichtete am Mittwochabend, dass die 32-Jährige, die eine verwitwete Einwanderin aus dem westafrikanischen Guinea ist und eine Tochter hat, am selben Tag abgeschirmt von Schaulustigen in New York vernommen wurde. Die Grand Jury hat letztlich zu entscheiden, ob es zu einem Prozess gegen den Franzosen kommt. Über die Aussage der Frau vor der Kammer war zunächst nichts bekannt.

Mutmaßliches Opfer bestreitet einvernehmlichen Sex
Doch schon zuvor hatte der Anwalt der 32-Jährigen erklärt, dass sie bestreitet, einvernehmlichen Sex mit Strauss-Kahn gehabt zu haben. Die "New York Post" hatte am Dienstag unter Berufung auf eine Quelle im Umfeld des IWF-Chefs berichtet, dass er bei seiner Verteidigung "einvernehmlichen" Sex mit dem mutmaßlichen Opfer einräumen könnte. Strauss-Kahns Anwalt Ben Brafman hatte bei einer Anhörung gesagt, dass die Beweise "im Widerspruch zu einem erzwungenen Treffen" stehen würden, ohne allerdings den Punkt weiter auszuführen.

Der Anwalt des Zimmermädchens wiederum erklärte am Mittwoch dem TV-Sender NBC: "Nichts war einvernehmlich bei dem, was in diesem Hotelzimmer passiert ist." Wenn die Jury die Aussage des Opfers höre, werde sie sehen, dass die Behauptungen über einvernehmlichen Sex "nicht wahr" sind.

Spekulationen über mögliche Aids-Erkrankung der Frau
Mittlerweile spekuliert die "New York Post" - ein Boulevardblatt, aber eines mit guten Quellen -, dass die Frau Aids haben könnte. Zumindest lebt die 32-Jährige in einem Haus, dessen Wohnungen nur an HIV-Positive vermietet werden, schreibt das Blatt. Seit Jänner habe sie das kleine Appartement. Und auch davor lebte sie in einem Gebäude für Aids-Opfer in der Bronx. Ob die Frau wirklich Aids hat, ist jedoch ungewiss. Auch in den USA sind Krankenakten vertraulich. Aber: "Dominique Strauss-Kahn hat möglicherweise mehr zu befürchten als nur eine Gefängnisstrafe", heißt es in der "Post".

Strauss-Kahn soll das Zimmermädchen am Samstag in einem New Yorker Luxushotel sexuell angegriffen und zum Oralsex gezwungen haben. Eine Haftrichterin lehnte am Montag eine Freilassung auf Kaution ab. Der Chef des Internationalen Währungsfonds befindet sich auf der Gefängnisinsel Rikers Island in Haft. Die New Yorker Ermittler legten sechs Anklagepunkte vor, darunter versuchte Vergewaltigung, Freiheitsberaubung sowie einen "kriminellen sexuellen Akt", worunter im US-Strafrecht erzwungener Oral- oder Analverkehr fällt. Die Grand Jury muss nun bis zum nächsten Anhörungstermin am Freitag über eine formelle Anklage des 62-Jährigen entscheiden.

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