Gül-Staatsbesuch

Möglicher Türkei-Beitritt zur EU: “Es geht wenig weiter”

Österreich
03.05.2011 14:44
Österreichs Regierung hat anlässlich des Besuchs des türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül am Dienstag bekräftigt, bei den EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei eine privilegierte Partnerschaft im Fokus zu haben. Außenminister Michael Spindelegger meinte, man sei für eine besondere maßgeschneiderte Partnerschaft. Man verhandle zwar auch über einen Beitritt, "wir sehen aber, dass hier relativ wenig weitergeht". Ähnlich äußerte sich auch Bundeskanzler Werner Faymann nach einem Treffen mit Gül (Bild).

Faymann hat dabei den österreichischen Standpunkt zu den laufenden EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei dargelegt: "Für Österreich ist es ein ergebnisoffenes Verfahren. Selbst im Fall eines positiven Abschlusses der Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei werden wir in Österreich verpflichtend eine Volksabstimmung darüber abhalten."

In dem Gespräch im Rahmen der dreitägigen Visite Güls seien "in einer sehr offenen Atmosphäre eine Reihe von politisch und wirtschaftlich bedeutenden Themen angesprochen" worden. "Wichtig war mir auch", so Faymann, "die politische Position Österreichs und der Europäischen Union deutlich zu machen, nämlich dass Grundwerte wie Meinungsfreiheit, Menschenrechte, demokratische Mitbestimmung und Pressefreiheit uneingeschränkt gelten müssen." In der Türkei sind derzeit 70 Journalisten inhaftiert.

FPÖ boykottiert Besuch des Staatsgastes
Die FPÖ boykottiert den Österreich-Besuch Güls. Als Begründung gab der Zweite Wiener Landtagspräsident Johann Herzog am Dienstag an, Gül sei zusammen mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan einer der Hauptmotoren einer Islamisierungspolitik in der Türkei. Die kemalistische Trennung von Religion und Staat stehe vor seiner endgültigen Beseitigung. "Die Türken in Europa, auch in Österreich, werden von der türkischen Staatsführung als fünfte Kolonne für die Interessen ihrer Politik betrachtet", so Herzog. Gül und Erdogan verfolgten eine "klare Linie gegen die Integration der türkischen Minderheit in Europa - allen sanften Worten Güls bei Staatsbesuchen zum Trotz".

Nach Angaben der Freiheitlichen hat der türkische Botschafter Kadri Ecvet Tezcan eine an Gül gerichtete FPÖ-Protestnote nicht angenommen. FPÖ und BZÖ verlangen die Abberufung des Botschafters wegen dessen negativer Äußerungen über die österreichische Integrationspolitik. "Tezcan hat sich sichtlich davor gedrückt, das an Gül gerichtete Protestschreiben der FPÖ entgegenzunehmen, und erst im Anschluss des Gesprächs einen Mitarbeiter angewiesen, dies zu tun", berichtete FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky nach einer Aussprache mit dem türkischen Staatspräsidenten am Montag im Parlament.

"Ich hoffe sehr, dass sich Präsident Gül nun konstruktiv mit unseren Forderungen und Vorschlägen auseinandersetzt", betonte Vilimsky. Dabei gehe es nicht nur um die Abberufung des "Skandal-Botschafters", sondern auch um Fragen der Pressefreiheit und der Menschenrechte in der Türkei, etwa um den Umgang mit der kurdischen Bevölkerungsgruppe und mit der christlichen Minderheit sowie um die historische Aufarbeitung des Völkermordes an den Armeniern. Gül müsse aber auch einsehen, dass die von ihm betriebene Option eines türkischen EU-Beitritts ein Irrweg sei: "Die Türkei ist kein europäisches Land und kann daher nicht EU-Mitglied werden."

Gül wirbt mit türkischer Wirtschaftskraft
Indes hat Gül mit dem großen wirtschaftlichen Potenzial seines Landes für die Aufnahme der Türkei in die EU geworben. Österreich, das schon jetzt intensive wirtschaftliche Beziehungen mit der Türkei habe, würde davon stark profitieren, sagte Gül am Dienstag bei der Eröffnung des österreichisch-türkischen Wirtschaftsforums in Wien. Er wisse, dass in der österreichischen Bevölkerung die Unterstützung für einen EU-Beitritt nicht stark sei, räumte Gül ein. Man müsse die Öffentlichkeit aber besser informieren über die Möglichkeiten und den Zugewinn, den ein solcher Schritt bedeuten würde. Vor allem Geschäftsleute, die ja gute Rechner seien, sollten in diese Hinsicht Verantwortung übernehmen

Bei dem Wirtschaftsforum, an dem auch Bundespräsident Heinz Fischer, Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl und der türkische Kammerpräsident Rifat Hisarciklioglu das Wort ergriffen, wurde die nunmehr enge wirtschaftliche Verflechtung beider Länder betont. So überschritten die österreichischen Exporte in die Türkei im Vorjahr erstmals die Ein-Milliarden-Euro-Schwelle und konnten mit einem Zuwachs von 40 Prozent die größte prozentuelle Exportsteigerung innerhalb der Top-30-Exportpartner Österreichs erzielen. Die Importe aus der Türkei beliefen sich auf knapp 900 Mio. Euro (plus 11 Prozent). Im Ranking der wichtigsten österreichischen Handelspartner liegt die Türkei mittlerweile bereits auf Platz 20. Der Außenhandel Österreichs mit der Türkei hat sich seit 2001 verdreifacht, wie Leitl ausführte.

Gül warb um weiteres Vertrauen österreichischer Unternehmer. Gerade die wirtschaftspolitischen und bürokratischen Reformen der letzten Jahre würden österreichischen Unternehmen jetzt den Einstieg in der Türkei erleichtern. Vor allem im Energiebereich bestünden gute Chancen für weitere Kooperationen. Gül erwartet, dass sein Land in den kommenden zehn Jahren zu den Top Zehn der weltweiten Wirtschaftsnationen aufsteigen werde.

Weiterreise nach Salzburg zu Burgstaller
Gül und seine Frau Hayrünnisa Gül, die am Dienstag Schönbrunn besuchte, werden am Abend nach Salzburg fliegen, wo sie zusammen mit dem Ehepaar Fischer von Landeshauptfrau Gabi Burgstaller empfangen werden.

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