DS-Vergangenheit

Bulgarien: Kampf um Ex-Spitzel in der Diplomatie

Ausland
28.04.2011 15:04
In Bulgariens Diplomatie zeichnet sich ein personeller Erdrutsch ab: Alle Botschafter im Ausland mit Geheimdienst-Vergangenheit, ganze 37 an der Zahl, sollen abgelöst werden. Hochrangige Diplomaten, die während des Kommunismus auch für die Staatssicherheit (DS) tätig waren, fürchten nun um ihre Posten. Außenminister Nikolaj Mladenow (Bild) sagt ihnen den Kampf an - und verspricht: Bis Weihnachten seien die schwarzen Schafe aus den diplomatischen Missionen entfernt. Doch Präsident Georgi Parwanow, selbst einstiger DS-Mitarbeiter, blockt.

Die aufsehenerregende Affäre wurde durch die Überprüfung der Diplomaten auf eine Mitarbeit mit der früheren DS hervorgerufen. Dabei war herausgekommen, dass fast die Hälfte der amtierenden Botschafter vor der Wende 1989 für die damaligen Geheimdienste gearbeitet hatte.

Auch Botschafter in Wien war Spitzel
13 von ihnen vertreten Bulgarien in EU-Staaten. Die Botschafter in Deutschland - Iwo Petrow, der zuvor zweimal Botschafter in Wien (1993 - 1998 und 2003 - 2005) war -, Großbritannien, Spanien, Portugal, Schweden, den Niederlanden, Griechenland, Rumänien, Italien, Litauen, Estland, Belgien und Zypern waren Spitzel der kommunistischen Stasi. Ein Ex-Agent ist auch der Ständige Vertreter Bulgariens bei der EU, Ex-Vizeinnenminister Bojko Kozew - sein Vater Wassil Kozew war sogar Chef der Spionageabteilung beim Geheimdienst. Dazu kommen unter anderen die bulgarischen Botschafter in Norwegen, der Schweiz, China, Japan, im Vatikan sowie bei den Vereinten Nationen in New York.

Doch kein Gesetz zwingt die enttarnten DS-Agenten zum Rücktritt. Im Gegensatz zu anderen früheren Ostblockstaaten sieht in Bulgarien auch keine Regelung deren Entlassung vor. Die bürgerliche Regierung in Sofia möchte die insgesamt 37 Spitzel-Botschafter dennoch abberufen lassen und damit den Skandal aus der Welt schaffen. "Wir können es uns nicht leisten, dass auch 20 Jahre nach der Wende 40 Prozent unserer Botschafter von der einstigen DS abhängig waren", klagt Außenminister Mladenow. Einige hätten sogar die Akademie des KGB in der damaligen Sowjetunion absolviert. "Bulgarien ist der einzige Staat in Südosteuropa, der diesen Vorgang nicht bereits vor 20 Jahren abgeschlossen hat."

Standhafter Präsident selbst vorbelastet
Der sozialistische Präsident Parwanow - dem der vom Parlament eingesetzte Stasi-Ausschuss ebenso die Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten nachwies - weigert sich jedoch standhaft, die Botschafter abzuziehen. "Nicht wenige der Diplomaten haben enorm viel zum Beitritt Bulgariens zur EU und zur Nato beigetragen", begründete er am Donnerstag seinen Widerstand.

Damit spitzt sich sein Konflikt mit der Regierung weiter zu. Bereits zuvor hatte er die generelle Abberufung der umstrittenen Botschafter abgelehnt und sich für individuelle Lösungen eingesetzt. Obwohl vom Parlament im Jänner durch eine "dringliche Empfehlung" zu einer Entlassung der Diplomaten aufgefordert, ist dies für Parwanow weder zwingend noch bindend.

Mladenow: "Ich beginne, Rot zu sehen"
Der seit einem Jahr amtierende Außenminister Mladenow reagierte ungewohnt scharf auf die nunmehrigen Worte des Präsidenten: "Wenn ich so etwas höre, steigen mein Blutdruck sowie mein Puls, und ich beginne, Rot zu sehen", sagte er am Donnerstag im privaten TV-Sender bTV. "Diplomaten mit einer Zugehörigkeit zu den Strukturen der einstigen DS haben keinen Platz in den Auslandsvertretungen."

Mladenow erklärte aber auch, inzwischen einen Ausweg gefunden zu haben: In einer offenen Konfrontation mit dem Staatschef sollen die belasteten Botschafter dienstlich nach Sofia beordert und damit endgültig von ihren Einsatzorten abgezogen werden. Die erste Gruppe werde schon am 1. Mai eintreffen, sagte Außenamt-Sprecherin Wessela Tschernewa. Eine zweite folge zum 1. Juli, eine dritte im Herbst. Bis spätestens Weihnachten werde es in den diplomatischen Missionen keine Mitarbeiter der einstigen Staatssicherheit mehr geben, schwört Mladenow.

Doch nicht nur Dutzende Botschafter Bulgariens, sondern auch viele Führungskräfte selbst im Ministerium Mladenows sind Ex-Spitzel. Der Stasi-Ausschuss verbreitete erst im März im Internet 192 Namen früherer Geheimagenten, die nach der Wende leitende Funktionen im Außenministerium in Sofia hatten - oder diese noch immer ausüben.

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