Taxi-Geschichten

Ein Leben voll unfreiwilliger Abzweigungen

Wien ist leiwand
25.12.2021 06:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Das Service passt, so viel ist sicher. „Sitzt du gemütlich? Soll ich die Heizung aufdrehen? Soll ich das Radio ausmachen?“ - Mein Fahrer Goran weiß, dass Kundenzufriedenheit über alles geht. Von seinem Rückspiegel baumelt ein Austria-Wien-Wimpel und ich erkundige mich nach seinem Fan-Dasein. Seine Antwort überrascht mich. „Ich bin Fan, aber nicht nur. Ich habe jahrelang selbst bei der Austria gespielt. Von der Jugend weg bis hinauf zur Amateurmannschaft.“

Wohl oder Wehe
Es wird schnell klar, dass Goran zu einer Working-Class-Hero-Geschichte ansetzt, die nicht mit einem Happy End als vermögender Profifußballer endet. Diverse bekannte Namen aus der ballesterischen Gegenwart zählte er in der Jugend zu seinen Teamkollegen. Manchen sei er in puncto Kondition und technischer Beschlagenheit auch überlegen gewesen, zwinkert er mir unbescheiden zu. Im Spitzensport entscheiden oft nur Sekunden über Wohl und Wehe. Goran sammelte bei den Amateuren der Wiener Austria im späten Teenageralter erste Regionalligaerfahrung, scheiterte aber an einer bis heute nicht restlos aufgeklärten Verletzung.

„Der Arzt diagnostizierte damals eine Zyste im Innenknöchel. Beim Trampolinspringen mit meinem Neffen bin ich fast umgekommen.“ Goran hält Rücksprache mit mehreren Ärzten und entscheidet sich gegen eine Operation. Die Folge daraus: Er scheitert mental. „Ich hatte plötzlich Angst vor jedem Zweikampf. Traute mich nicht mehr, Bällen entgegenzurutschen. Ein Teufelskreis.“ Alternative Behandlungsmethoden bewahren ihn zwar vor Schmerzen, aber mit der Angst im Kopf hilft auch das fitte Bein nicht weiter. Goran versichert mir, dass er zu diesem Zeitpunkt vor einem Profivertrag stand. „Das Leistungsniveau bei der Austria ist gewaltig. Wenn du dich dort nicht schnell genug erholst, bist du weg vom Fenster.“

Leben umgekrempelt
In der Schule war er faul, seinen Eltern wollte er nicht auf der Tasche liegen, also machte Goran den Taxischein und krempelte sein Leben um. Mit dem Schicksal hadert er längst nicht mehr. „Das Kicken hat meinen Charakter geprägt. Ich habe viele Freunde gewonnen und den Kontakt mit ihnen aufrechterhalten. Ich kann die Situation nicht ändern.“ Hinter seiner „Ist halt so“-Fassade verbergen sich Melancholie und Nostalgie. Während er mit hoher Geschwindigkeit den Wiener Gürtel entlangbrettert, erinnert sich an seine sportlichen Jugendtage zurück.

Wie in der Ottakringer Kendlerstraße bei den SC Young Stars/Centimeter alles begann. Wie er sich dort als Stürmer in die Aufmerksamkeit der Austria-Wien-Jugendscouts bombte. Wie sein alles andere als vermögender Vater 500 Euro vom hart ersparten Geld zusammenkratzte, um Goran eine Reise nach Padua zu ermöglichen, wo er sich in der Austria-Jugend mit Gleichaltrigen von Juventus Turin, Inter Mailand oder Sampdoria Genua messen durfte. War es nicht doch ein bisschen zu viel, den Fokus so stark auf den Sport zu legen und das Drumherum schleifen zu lassen?

Was wäre, wenn?
„Ich war damals in der Koppstraße in einer speziellen Sportschule. Ich will nicht sagen, dass die schlechter gewesen wären, aber wenn alle Lehrer selbst Sportler sind, dann kommt man vielleicht etwas leichter zu besseren Noten, weil nicht so viel Wert auf herkömmliche Schulfächer gelegt wird.“ Allzu sehr will sich Goran aber nicht in seiner Was-wäre-wenn-Vergangenheit suhlen. Die Erinnerungen und der regionale Kult um seine Torjägerqualitäten aus der Jugend bleiben trotzdem immer bestehen.

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