Altes Handwerk

Der Steinmetz mit den filigranen Händen

Vorarlberg
12.12.2021 13:18

In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. Jüngst hat er Andreas Blenke besucht, der Krippenfiguren aus Wachs herstellt.

Auf Anhieb ist es ein Widerspruch. Ich treffe einen Mann, der von Beruf Steinmetz ist, aber seit mehr als zwanzig Jahren Krippenfiguren aus Wachs herstellt, die hauchzart, durchscheinend und zerbrechlich wirken wie die Hände eines Neugeborenen. Dort ein Mann, der schwere Steinplatten bewegt, schneidet und bearbeitet, hier ein Geist, der in hunderten von Variationen und allerfeinsten Materialien der schönsten Geschichte nachspürt, die sich Menschen je erzählt haben: Dass dereinst ein Kind auf die Welt komme und uns verheißt, dass das Leben nicht sinnlos ist, der Schmerz, die Sehnsucht, die Freude, das, wofür man gekämpft hat. Ein Kind, das sagt: „Alles ist getan, ehe du da warst.“ In einer Glasvitrine hütet Andreas Blenke einen Engel aus Wachs, den er von seiner Großmutter bekommen hat. „Damit hat alles angefangen“, sagt er. Die Figur stammt aus der Werkstatt der Abtei Mariastern-Gwiggen und ist mehr als hundert Jahre alt. In die filigranen Gesichtszüge hat sich Andreas schon als kleiner Bub immer wieder versenkt, den Engel lange betrachtet. „So etwas möchte ich auch einmal machen.“

Ein langer Weg
Durch Zufall stieß er in einem Zeitungsinserat auf eine Frau in Rosenheim, die die Kunst der Wachsfigurenherstellung noch beherrschte. „Ich rief sie einfach an, aber die Dame war schon sehr alt. Da bin ich einfach zu ihr hingefahren und habe bei ihr gelernt. Meine ersten Versuche waren mehr Verlust als Gewinn. Es dauerte eineinhalb Jahre, bis ich das richtige Mischungsverhältnis aus Hartwachs und Bienenwachs gefunden hatte und die Farbpigmente, die einem menschlichen Gesicht am nächsten kommen.“ Früher wurden die Wachsfiguren in Gipsformen gegossen. Waren diese Formen aber nicht sorgsam eingefettet, passierte es oft, dass beim Loslösen des fertigen Gusses die Gliedmaßen brachen. „Eine lange Tüftelei, bis es endlich passte.“ Blenke verwendet heute einen Zwei-Komponenten-Silikon. Den Aufbau modelliert er aus Ton. Dann entstehen durch das Silikon die Negativformen. Das braucht sehr viel Geschick und Übung. „Ich mache das ja nur für Freunde und Bekannte, und weil es mir einfach Spaß macht. Oft kommt jemand zu mir, der an einer alten Krippenfigur hängt, die kaputtgegangen ist. Die versuche ich dann entweder zu restaurieren oder sie ganz neu nach der alten Vorlage zu gießen.“

Eine uralte Kunst
Die Ceroplastik oder Wachsbildnerei ist eine uralte Kunst. Sie war schon im Altertum bekannt. Am häufigsten diente sie zur Darstellung von Früchten, künstlichen Perlen und Puppengesichtern. Bei den Wachsfiguren sind gewöhnlich nur Gesicht, Kopf, Hals und Hände aus Wachs, die mit Kleidern bedeckten Teile des Körpers dagegen ausgestopft. Ist der Rohling fertig, beginnt erst der ganze Zauber, den eine Krippenfigur ausmacht. Das demonstriert Blenkes Gattin. Sie ist eine sehr stille und aufmerksame Person, die während des ganzen Gesprächs mit dabei ist, obwohl sie im Rollstuhl sitzen muss. Mit einem winzigen Messerchen „putzt“ sie die Figur, schält Überstände von Wachs weg, die mit freiem Auge fast nicht zu erkennen sind. Das alles erledigt sie mit großem Geschick. Mit dem Gießen der Köpfe und Hände ist aber nur der kleinste Teil der Arbeit erledigt. Jetzt kommt die Gestaltung. „Ich habe immer genau im Kopf, wie der Hirte, das Jesuskind, ein Melchior oder Balthasar am Ende aussehen muss“, erzählt Andreas Blenke. Die gegossenen Extremitäten werden dann durch ein Drahtgestell verbunden. Schließlich wird die Figur mit Watte ausgepolstert und schließlich „angekleidet“.

Lauter Einzelstücke
In ungezählten Variationen hat der Künstler das Geschehen an der Krippe schon ausformuliert und dargestellt. Ironische Assistenzfiguren, die in der Weihnachtserzählung gar nicht vorkommen, hat er dazugedacht. Wie zum Beispiel eine strickende Oma auf einer Bank, die dann diskret in der Krippe verschwindet. Auf die Ausgestaltung der Figuren legt er besonderes Augenmerk. „Der Faltenwurf im blauen Mantel des Kaspar muss stimmen.“ Die winzige Krone schneidet er aus Goldfolie aus. Ein silbernes Weihrauchfass, das lediglich daumengroß ist, baumelt am Arm. Er hat es von einem Pfarrer geschenkt bekommen. „Ich gehe immer mit offenen Augen durch die Gegend, deute Materialien um. Das und das könnte ich zum Beispiel als Verzierung für einen Kamelsattel verwenden.“ Keine Figur in Blenkes Werkstatt gleicht der anderen. „Ich kann gar nicht zwei identische Stücke machen. Das ist kein Bausatz ,Made in China’ - und gerade das ist das Schöne an dieser Arbeit.“

Mein Blick fällt wieder in die Glasvitrine, in der die Blenkes die wertvollsten Stücke aufbewahren. Das Stroh in der Krippe ist aus millimetergenau gefächerten Weizenähren gestaltet. Das Kind scheint überall in der Wohnung des Ehepaars gegenwärtig. Das Kind, das einmal verhieß: „Alles ist getan, ehe du warst.“

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