Vor genau 90 Jahren:

Weltrekord! Leichtathletik-Sensation in Hütteldorf

Sport-Mix
10.10.2021 12:26

Heute vor genau 90 Jahren gab es in Hütteldorf eine Leichtathletik-Sensation, die vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Das runde Jubiläum bietet beste Gelegenheit, den Staub, der sich in den vergangenen Jahrzehnten über einen denkwürdigen Weltrekord gelegt hat, wegzuwischen: Juan Carlos Zabala, als Marathon-Olympiasieger von Los Angeles 1932 hinlänglich bekannt, lief am 10. Oktober 1931 auf dem WAF-Platz in 1:42:30,4 Stunden einen Weltrekord über 30.000 m. Noch dazu, was selbst eingefleischte Leichtathletik-Freunde kaum wissen, wurde der Argentinier in Buenos Aires von einem Österreicher, Alexander Stierling, entdeckt, trainiert und schließlich zu Weltrekord und Olympiagold geführt.

Dank Alexander Stierling, der als Hoch- und Stabhochspringer erst für Wiener Neustadt und dann für Rapid gestartet ist, ehe er in den 20er-Jahren nach Argentinien auswanderte, kam es also, dass Juan Carlos Zabala im Herbst 1931 Wien als Standquartier für sein Training und seine Europastarts wählte. Mitte September wurde der Wien-Start von Zabala, damals schon auf allen langen Langstrecken Südamerika-Rekordler, erstmals in Aussicht gestellt, schließlich für den 10. Oktober als „Weltrekordversuch auf dem W.A.F.-Platz“ fixiert, auf der Anlage des Wiener Associations Football-Clubs.

„Der argentinische Nurmi“
In der Berichterstattung wurden Parallelen zu den Starts des neunmaligen Olympiasiegers Paavo Nurmi 1926 und 1928 auf der Hohen Warte gezogen. So hieß es im „Sport-Tagblatt“: „Der argentinische Nurmi läuft heute in Wien. Zabalas Weltrekordversuch über 30 Kilometer.“ Dennoch verirrten sich nur 300 Zuschauer ins Stadion, das „Sport-Tagblatt“ begründete: „Der Name Zabala war noch niemandem ein Begriff. Viele wussten nicht, wer er ist und was er kann!“ Der argentinische Gesandte in Wien, Exzellenz von Bortogaran, aber erschien in Begleitung seiner Gemahlin sowie dem argentinischen Generalkonsul Goni, da er ahnte, einen Weltrekord seines Landsmannes live erleben zu können.

Wie gewaltig das Unternehmen Zabalas sei, den drei Jahre alten Weltrekord des Finnen Väino Sipilä (1:43:07,8) verbessern zu wollen, strich das „Sport-Tagblatt“ heraus: „Man muss sich nur vorstellen, was das heißt, 30 Kilometer auf der Schlackenbahn zu laufen: das sind auf dem W.A.F.-Platze 80 Runden und noch 200 Meter dazu!“ Das Blatt wusste jedoch, dass „der Exote alle Aussichten hat, eine derartige Leistung zu vollbringen“.

„Gleichmäßig wie eine Maschine“
Da kein Österreicher auch nur annähernd mit Zabala hätte mithalten können, sollte ihm eine Staffel über 3 x 10.000 m mit den drei besten Wiener Langstreckenläufern entgegengestellt werden. Zur Sicherheit plante man sogar gleich mehrere Staffeln ein, die Zabala „ziehen“ sollten. Aber schließlich konnte niemand mit dem Argentinier auch nur für kurze Zeit Schritt halten, wie das „Neue Wiener Journal“ schilderte: „Man hatte ursprünglich die Absicht, ihn gegen eine Staffel laufen zu lassen, musste das bald aber aufgeben, da Zabala schon dem ersten Mann davonlief. Es führten ihn dann rundenweise recht und schlecht ein paar Langstreckler.“

Zabala, der einen Tag nach dem Rennen 20 Jahre alt wurde, lief von Beginn „in einem mehr als guten Tempo“, berichtete das „Sport-Tagblatt“, „gleichmäßig wie eine Maschine lief er weiter, Runde um Runde dem Weltrekord entgegen.“ Ähnlich wie bei den Rennen von Paavo Nurmi auf der Hohen Warte, schwärmten die Reporter jetzt von Zabala, das „Neue Wiener Journal“ schrieb: „Der Argentinier ist klein, aber sehnig und seine Beinmuskulatur kann sich sehen lassen. Sein gleichmäßiger Schritt, seine gewaltige Energie verhalfen ihm zu der kolossalen Leistung.“ Oder die „Neue Freie Presse“: „Es gab wirklich eine Sensation in Hütteldorf. In einem bis in die letzte Minute mit ungeheurer Aufopferung durchgeführten Lauf gelang es dem Argentinier, den bestehenden Weltrekord zu verbessern.“

„Weltrekord des Pampa-Sohnes“
Die „Illustrierte Kronen Zeitung“ bewunderte „einen gedrungenen, kleinen Athleten, in dem ungeheuerliche Energien stecken“. Das „Sport-Tagblatt“ staunte, dass Zabala zum Schluss „noch etwas verschärfen konnte“ und orakelte, dass der Argentinier „möglicherweise in ein, zwei Jahren das Erbe Nurmis antreten“ könne: „Es war eine Leichtathletiksensation, wie sie in Wien seit dem Antreten Nurmis nicht da war.“ Alle Blätter überschlugen sich in Superlativen, da wollte das „Neue Wiener Journal“ nicht nachstehen, titelte: „Weltrekord des Pampa-Sohnes“ und schrieb von einer „Sensation für die Wiener Leichtathletik-Gemeinde“.

Abschied auf der hohen Warte
Quasi als Abschiedsgeschenk für Wien startete Juan Carlos Zabala noch einmal auf der Hohen Warte - und zwar vor dem zweiten Finalspiel um den Mitropa-Cup zwischen der Vienna und dem WAC. In einem Vorgaberennen über 5000 m rettete Fischler (Reichsbund) seinen Vorsprung mit einer Sekunde vor Zabala ins Ziel. „Der spannende Endkampf wurde vom Publikum mit stürmischem Beifall aufgenommen, auch während der Ehrenrunde war das Publikum beifallsfreudig, solange bis die beiden Fußballmannschaften aufs Spielfeld stürmten, dann war das Laufen und der Argentinier vergessen“, bekannte das „Sport-Tagblatt“, „das Interesse konzentrierte sich ganz auf das große Entscheidungs-Cup-Spiel.“ Das die Vienna gegen den WAC mit 2:1 gewann.

Olympia-Gold mit 20 Jahren
Juan Carlos Zabala kehrte nach Argentinien zurück, der Herbst 1931 in Europa hatte schon signalisiert, wozu er im Laufsport fähig sein konnte. Bei den Spielen in Los Angeles 1932 gewann er den Marathonlauf in 2:31:36, damals war er 20 Jahre und 301 Tage alt und ist damit bis heute der jüngste Marathon-Olympiasieger aller Zeiten. Zabala, der vier Jahre später in Berlin über 10.000 m Sechster wurde und im Marathonlauf, noch im Spitzenfeld liegend, nach circa 30 km aufgab, ist eine Legende in seinem Heimatland. Wenige Wochen nach seinem Tod wurde er am 24. Januar 1983 zu „Argentiniens Leichtathlet des 20. Jahrhunderts“ erkoren. All dies wurde nur möglich mit Hilfe des Wieners Alexander Stierling, eines eingefleischten Rapidlers, der Zabala 1927 als Lehrer in einem Waisenhaus in Rosario entdeckt hatte...

Olaf Brockmann
Olaf Brockmann
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(Bild: KMM)



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