Libyen-Intervention

Raketen auf Tripolis, Gadafi gibt Waffen an Zivilisten aus

Ausland
20.03.2011 11:56
Die internationale "Allianz gegen Gadafi" hat ihre erste Angriffswelle gegen den libyschen Bürgerkrieg absolviert. Bei der größten internationalen Militär-Intervention seit dem Einmarsch im Irak 2003 nehmen französische, britische und US-Luftwaffen seit Samstagabend Ziele unter Beschuss. Auch nahe Tripolis schlugen Raketen ein, es waren Explosionen und heftiges Abwehrfeuer zu hören. Die USA feuerten Marschflugkörper von Schiffen aus auf militärische Ziele, die Luftabwehr Libyens sei schwer beschädigt, hieß es. Machthaber Muammar al-Gadafi schwört indes Rache und öffnete die Waffendepots für Zivilisten. "Alle Libyer sind jetzt bewaffnet", sagte er am Sonntag. Die Angreifer bezeichnet er als "neue Nazis".

Die Koalitionstruppen hatten am Samstagabend mit der Intervention begonnen und wollen die Aktionen noch ausweiten. Die erste Angriffswelle dauerte bis zum frühen Sonntagmorgen. Basis ist eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats vom Donnerstag, die primär ein Flugverbot zum Schutz der Rebellen zum Ziel hat. Der "Allianz gegen Gadafi" ist militärisch fast alles erlaubt, bis auf den Einsatz von Bodentruppen. Ziel sei der Schutz libyscher Zivilisten vor den Truppen Gadafis, sagte US-Präsident Barack Obama am Samstag.

Erleichterung bei Rebellen in Bengasi
In Bengasi, der Hochburg der Regime-Gegner, ist das Eingreifen in den seit Wochen tobenden Bürgerkrieg am Sonntag mit Erleichterung aufgenommen worden, berichtete ein Korrespondent des arabischen Nachrichtensenders Al-Jazeera aus der Stadt. Nach den Luftangriffen der Koalitionstruppen säumten Dutzende frisch ausgebrannter Militärfahrzeuge die strategisch wichtige Straße zwischen Bengasi und Ajdabija im Osten Libyens. Gadafi-Truppen hatten die Straße bisher genutzt, um nach Bengasi vorzurücken.

Am Samstag hatten die Aufständischen einen überraschenden Angriff der Gadafi-Truppen auf Bengasi gerade noch abgewehrt. Dabei waren nach Angaben des Senders 30 Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt worden. Unter den Opfern seien auch Frauen und Kinder. Für Aufregung sorgten Bilder eines offenbar abgeschossenen Gadafi-Kampfjets. Im Nachhinein stellte sich dann jedoch heraus, dass das Mirage-Flugzeug von Rebellen geflogen worden war. Ob es abgeschossen wurde oder möglicherweise auch durch einen Defekt vom Himmel fiel, ist noch unklar. Nach dem Ausbruch der Proteste waren viele Militärs zu den Rebellen übergelaufen, die damit Kampfjets, Panzer und Waffen erhielten.

Staats-TV: "Zivile Ziele"
Das libysche Regime versucht indes, die Intervention als einen Kolonialisierungsversuch der Angreifer darzustellen. Das von Gadafi kontrollierte libysche Staatsfernsehen berichtet seit Samstagabend von einem Angriff der "feindlichen Kreuzritter" auf zivile Ziele. Es seien 48 Menschen getötet und 150 verletzt worden. Ob es sich dabei um Zivilisten oder Militärs handelte, wurde nicht gesagt. Unbestätigten Berichten zufolge soll das Gadafi-Regime Bilder von getöteten Oppositionskämpfern verwendet haben, um zivile Opfer darzustellen.

Die Koalitionstruppen haben ihrerseits bis Sonntagmittag noch gar keine Bilanz über die erste Angriffswelle vorgelegt. Das US-Verteidigungsministerium wollte sich nach den massiven Luftschlägen zunächst einen Überblick über das Ausmaß der Zerstörungen verschaffen. Vizeadmiral William Gortney sagte dem Sender CNN, dies könne erst nach Tagesanbruch geschehen.

Die libyschen Berichte über angegriffene Ziele stimmen jedenfalls großteils nicht mit den Vorgaben der europäischen und US-amerikanischen Militärs überein: Neben der Hauptstadt Tripolis habe es auch in den Städten Misrata, Zuwarah und Bengasi Angriffe auf "zivile Ziele" gegeben. Auch ein rund 15 Kilometer östlich von Tripolis gelegenes Krankenhaus sei getroffen worden, vermeldete der Staatssender. Zudem habe es Angriffe auf Gadafis Geburtsstadt Sirte gegeben. Berichte, wonach ein französisches Kampfflugzeug abgeschossen worden sei, hat Paris zurückgewiesen.

Demonstrativ zeigt das Staatsfernsehen seit Samstag immer wieder Bilder von Gadafi-Anhängern. Seit Samstagabend strömen Anhänger zu dem Anwesen des Diktators, um dort ein menschliches Schutzschild für ihn zu bilden. Die Tore waren entgegen der üblichen Gepflogenheiten weit offen. "Wir sind hier. Wir sind bereit, für unseren Anführer zu sterben", sagte eine Lehrerin dem Staats-TV. Auch ihre sechs Söhne wollten für Gadafi kämpfen. Viele hielten Porträts des Machthabers in die Höhe.

Gadafi: "Alle Libyer sind nun bewaffnet"
Gadafi selbst schwört Rache und kündigt einen Abwehrkampf seines Volkes gegen die internationale Militärintervention an. Er habe die Waffendepots der Armee für Zivilisten geöffnet. "Alle Libyer sind nun bewaffnet", erklärte er am Sonntagvormittag in einer Audio-Botschaft, die vom staatlichen Fernsehen gesendet wurde. "Wir werden gegen euch kämpfen, wenn ihr eure Angriffe fortsetzt."

"Dies ist nun eine Konfrontation des libyschen Volkes mit Frankreich, Großbritannien und den USA, mit den neuen Nazis", erklärte Gadafi. Die Kriegsgegner bezeichnete er als "Monster" und "Kriminelle". "Ihr werdet stürzen, wie Hitler gestürzt ist. Alle Tyrannen stürzen. Wir werden unser Land nicht verlassen und wir werden es befreien", sagte Gadafi. Die Luftangriffe der westlichen Koalitionstruppen würden in jedem Fall abgewehrt. Seine Bodentruppen würden erfolgreich sein, sagte Gadafi weiter. Libyen bereite sich auf einen langen Krieg vor. "Wir sind zu einem langen, ruhmreichen Krieg bereit. Wir werden euch besiegen", drohte Gadafi.

Es war Gadafis zweite Botschaft seit Beginn des militärischen Eingreifens der Allianz. In einer am Samstagabend ausgestrahlten Audiobotschaft sagte er, die Luftangriffe seien eine "ungerechtfertigte Aggression der Kreuzritter", gegen die das libysche Volk kämpfen werde. Der libysche Machthaber drohte mit Angriffen auf "zivile und militärische Ziele" im Mittelmeerraum.

Panzer und Militärflughafen bombardiert
Die französische Luftwaffe begann die Offensive am Samstagnachmittag mit ersten Aufklärungsflügen, noch während der Beginn der Operation erst verkündet wurde. Insgesamt seien dann bis zum Abend vier Angriffe von Kampfjets vom Typ Rafale und Mirage 2000 geflogen worden, hieß es aus Militärkreisen in Paris. Dabei seien "mehrere Panzer" zerstört worden.

Weitere Luftoperationen führten in der Nacht britische Streikräfte und die US-Luftwaffe durch, wobei Letztere drei B-2-Stealth-Bomber schickte, die einen libyschen Militärflughafen bei Tripolis zerstörten. Der US-Fernsehsender CNN zeigte Aufnahmen von Leuchtspurgeschoßen. Es habe Explosionen gegeben. Daraufhin habe die Flugabwehr zu schießen begonnen. Der Schusslärm habe etwa zehn Minuten gedauert, hieß es beim britischen Sender BBC.

112 Marschflugkörper abgeschossen
Britische und US-Streitkräfte hatten zuvor nach Einbruch der Dunkelheit von Schiffen und U-Booten aus mit Marschflugkörpern vom Typ Tomahawk mehr als 20 Ziele entlang der libyschen Küste beschossen. Laut den Vorgaben sollten Luftabwehrsysteme und strategisch wichtige Kommunikationspunkte der libyschen Truppen anvisiert werden. Es seien 112 Marschflugkörper abgefeuert worden, sagte ein Militärvertreter in Washington. Der erste sei Samstag um 20 Uhr MEZ auf libyschem Boden eingeschlagen.

Die USA versuchen ihre Rolle nach außen hin als untergeordnet darzustellen. Die Angriffe werden zunächst allerdings von einem Admiral des Afrika-Kommandos der US-Streitkräfte (AFRICOM) koordiniert, das sein Hauptquartier bei Stuttgart in Deutschland hat. Die Basis stehe mit den Kommandozentralen von Frankreich und Großbritannien in Verbindung, hieß es. Nach den ersten Angriffswellen soll geklärt werden, wer künftig das Kommando übernimmt. Offiziell heißt die Operation übrigens "Odyssey Dawn" (Odyssee Morgendämmerung).

Sorge um Gadafis Giftgas-Vorräte
Sorge bereiten der Allianz indes offenbar Giftgas-Vorräte von Machthaber Gadafi. Mit Überwachungssatelliten werde ein Gebäude in einem abgelegenen Ort in der libyschen Wüste beobachtet, in dem rund zehn Tonnen Senfgas in mehreren Fässern aufbewahrt würden, berichtete die "Washington Post" am Samstagabend.

Die Fässer seien südlich der Stadt Sirte gelagert, wo Gadafi geboren worden sein soll. Westliche Regierungsbeamte befürchten dem Bericht zufolge, der Diktator könne das Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzen. Nach Angaben der staatlichen libyschen Nachrichtenagentur Jana war auch Sirte Ziel von Luftangriffen.

Beginn der Intervention bei Treffen in Paris beschlossen
Basis für die Intervention ist eine Resolution des UNO-Sicherheitsratssche nach wochenlangen Kämpfen in die Defensive gedrängt worden waren. Obwohl die Regierung eine Waffenruhe verkündete, waren die Kämpfe zwischen den Gadafi-Truppen und den Rebellen in der Nacht von Freitag auf Samstag weitergegangen. 

Bei einem Treffen in Paris am Samstagnachmittag beschloss die aus rund zwei Dutzend Staaten bestehende Gemeinschaft dann den Beginn der Militärintervention (siehe Infobox). Libyen forderte in der Nacht auf Sonntag eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrates. Nach den westlichen Angriffen sei die Resolution 1973 nicht länger gültig, erklärte das Außenministerium in Tripolis.

Nach UN-Resolution begann Truppenverlegung
Nach wochenlangem Zögern in der Libyen-Krise hatte der Westen vor Beginn des Wochenendes Ernst gemacht und mit den Vorbereitungen eines Militärschlags gegen Gadafi begonnen. Wenige Stunden nach Verabschiedung der Resolution am Donnerstag begann Großbritannien mit der Verlegung von Kampfflugzeugen in die Region, die USA verlegten weitere Landungsboote ins Mittelmeer. Mit dem Militäreinsatz "Odyssey Dawn" gegen Gadafis Truppen will die internationale Koalition unter der Führung Frankreichs, Großbritanniens und der USA die anhaltende Gewalt gegen Aufständische und Zivilbevölkerung stoppen.

Dänemark hat am Samstag sechs Kampfflugzeuge des Typs F-16 für einen möglichen Libyen-Einsatz nach Sizilien geschickt. Zuvor hatte das Parlament in Kopenhagen in einer Nachtsitzung einstimmig der Beteiligung an einem internationalen Einsatz zur Durchsetzung der Flugverbotszone über Libyen zugestimmt. Verteidigungsministerin Gitte Lillelund Bech erklärte, vier weitere F-16 seien ab Sonntag einsatzbereit. Die anderen stünden als Reserve bereit.

Auch Italien (stellt seine Militärbasen zur Verfügung) und Kanada  (setzt Kampfjets ein) beteiligen sich an der Militäroperation. Am Sonntag kündigte auch Katar seine Teilnahme an. Details nannte Ministerpräsident Scheich Hamad bin Jassim al-Thani jedoch nicht. Die Situation in Libyen sei nicht akzeptabel, sagte er. Deshalb müssten auch arabische Staaten handeln.

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