"Grenzen erreicht"

Guttenberg tritt von allen politischen Ämtern zurück

Ausland
01.03.2011 17:44
Der wegen Dutzender abgeschriebener Passagen in seiner Doktorarbeit massiv unter Druck geratene deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist am Dienstag zurückgetreten. Laut "Bild"-Zeitung reichte der CSU-Politiker zunächst bei Kanzlerin Angela Merkel telefonisch das Rücktrittgesuch ein. Bei einer Pressekonferenz kurz vor Mittag erklärte der 39-jährige Politiker, er wolle "politischen Schaden abwenden" und lege hiermit alle seine Ämter nieder.

Laut "Bild" hat Guttenberg die deutsche Bundeskanzlerin am späten Vormittag angerufen, als diese sich gerade auf einem Rundgang auf der Computermesse CeBIT in Hannover befand. Gleichzeitig sei auch das Bundespräsidialamt über Guttenbergs geplanten Schritt informiert worden. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete wenig später, sie hätte aus Regierungskreisen eine Bestätigung des geplanten Rücktritts erhalten. 

Guttenberg trat schließlich um 11.16 Uhr mit einem "Grüß Gott" vor die Kameras und Diktiergeräte und verkündete den "schmerzlichsten Schritt meines Lebens". Grund für seine Rücktrittsentscheidung seien nicht in erster Linie die Fehler in seiner Doktorarbeit, sondern die Frage, ob er den eigenen "höchsten Ansprüchen" in seinen Ämtern noch nachkommen könne. Die Aufmerksamkeit um seine Person lenke von den eigentlich wichtigen Fragen ab, nämlich der von ihm angestoßenen größten Bundeswehrreform in der Geschichte der Bundesrepublik, so der scheidende Minister.

Das lange Zögern erklärte er so: Für "eine Entscheidung von dieser Tragweite" habe er sich eine gewisse Zeit nehmen müssen. Das Amt, andem sein "Herzblut" hänge, habe er nicht leichtfertig aufgeben wollen. Er habe so auch die Trauerfeier für drei in Afghanistan getötete deutsche Soldaten abgewartet. "Es gehört sich, ein weitgehend bestelltes Haus zu verlassen", sagte er. Die Bundeswehr-Reform könne nun sein Nachfolger umsetzen. "Das Konzept für die Reform steht."

"Grenzen meiner Kräfte erreicht"
Er ziehe letztlich die Konsequenz, die er auch von anderen verlangt habe, sagte der 39-Jährige. Er stehe zu seinen Schwächen und Fehlern - er gibt aber auch den Medien eine erhebliche Mitschuld, sie hätten die Plagiats-Affäre unnötig aufgebauscht. Guttenberg sprach von einer "medialen Verzerrung" und einer "dramatischen Verschiebung" der medialen Wahrnehmung. Er könne es nicht mittragen, dass die Affäre auf dem Rücken der Soldaten ausgetragen werde, die in Afghanistan getötet und verletzt würden.

Seine letzten Worte als Minister: "Abschließend ein Satz, der für einen Politiker ungewöhnlich klingen mag. Ich war immer bereit zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht."

Opposition: "Riesenblamage" für Merkel
Die deutsche Opposition hat den Rücktritt Guttenbergs als "Riesenblamage" für Bundeskanzlerin Merkel bezeichnet. Die Kanzlerin habe bis zuletzt geglaubt, "sich durch diese peinliche Affäre lavieren zu können", erklärten die Fraktionschefs der Grünen, Renate Künast und Jürgen Trittin. Mit ihrem Zögern und "machtpolitischen Taktieren" habe Merkel nicht nur dem Ansehen der demokratischen Institutionen schwer geschadet, sondern "aktiv den Werteverfall befördert". Konservative hätten in der CDU "seitdem keine Heimat mehr". Künast und Trittin bezeichneten den Rücktritt Guttenbergs als mit zweiwöchiger Verspätung gezogene, "nötige Konsequenz aus seinen Täuschungsmanövern". Der Rücktritt sei "ein großer Sieg für die Wissenschaft, die den schamlosen Versuch der Kanzlerin nicht hingenommen hat, den Wissenschaftsstandort Deutschland beschädigen zu lassen".

Die Parteichefin der Linken, Gesine Lötzsch, bezeichnete den Rücktritt als folgerichtig. "Der Rücktritt war die einzige richtige Entscheidung. Alles andere hätte den Wissenschaftsstandort Deutschland weiter beschädigt", sagte Lötzsch der "taz". Nach den Worten der Linken-Chefin hätte es viele Bürgerinnen und Bürger irritiert, "wenn für unterschiedliche Politiker unterschiedliche Maßstäbe gegolten hätten". Nachdem es in den vergangenen Tage auch aus den eigenen Reihen immer mehr kritische Stimmen zu Guttenbergs Verhalten gegeben habe, sei der Druck auf den Minister "einfach zu groß geworden", sagte Lötzsch.

Für die SPD erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, für Merkel komme dieser Rücktritt zu spät. "Sie hat sich kräftig blamiert, ihre Glaubwürdigkeit ist beschädigt, sie hat dem Ruf der Politik Schaden zugefügt", betonte Oppermann. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach von einer "Demütigung der gesamten Wissenschaftslandschaft in Deutschland".

Doktorvater distanzierte sich
Der Rückhalt für den Verteidigungsminister hatte zuletzt massiv zu bröckeln begonnen, ein Rücktritt war aber im Prinzip nicht erwartet worden, weil Merkel weiterhin demonstrativ zu ihrem Minister hielt.

Im Kabinett ging am Montag allerdings Forschungsministerin Annette Schavan auf Distanz. Sie schäme sich für Guttenberg, sagte Schavan. Eine Kehrtwendung vollzog auch Guttenbergs Doktorvater Peter Häberle. Er distanzierte sich erstmals öffentlich wegen schwerer Mängel von der Arbeit seines Doktoranden.

30.000 unterzeichneten Rücktrittsforderung
Dazu kam am Montag noch akademischer Aktionismus: Mehr als 30.000 Akademier und Personen aus Wissenschaft und Forschung protestierten in einem offenen Brief an Merkel gegen das Verhalten der Regierung in der Causa. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach angesichts der Kritik von einem sehr ernsten Vorgang.

In dem Brief hieß es, die Unterzeichner verfolgten "mit großer Erschütterung und noch größerem Unverständnis" die Debatte um Guttenberg. "Wir haben den Eindruck, dass Sie mit aller Macht versuchen, einen Minister zu halten, der trotz massiver Gegenbeweise immer noch die Behauptung aufrecht erhält, er habe in seiner Doktorarbeit nicht bewusst getäuscht."

Dass Merkel zur Entlastung Guttenbergs gesagt hat, sie habe ihn als Verteidigungsminister und nicht als wissenschaftlichen Assistenten eingestellt, sei "eine Verhöhnung aller wissenschaftlichen Hilfskräfte sowie aller Doktorandinnen und Doktoranden, die auf ehrliche Art und Weise versuchen, ihren Teil zum wissenschaftlichen Fortschritt beizutragen", hieß es in dem Brief weiter.

Doktorarbeit voller Plagiate
Guttenberg wird vorgeworfen, wesentliche Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben zu haben, ohne diese Passagen als Texte anderer Autoren gekennzeichnet zu haben. Guttenberg hatte die Vorwürfe zunächst abgestritten, später aber gravierende handwerkliche Fehler eingeräumt und auf die Führung seines Doktortitels verzichtet.

Angeblich ist die Hälfte der Dissertation abgekupfert. Das behaupten Plagiatsjäger. Laut einer automatischen Auswertung seien 8.000 der 16.300 Textzeilen Plagiate, erklärten die Betreiber eines Internet-Projekts am Dienstag in einem Zwischenbericht - ein Anteil von 49 Prozent. Auf 82 Prozent aller Seiten sind die Plagiatsjäger nach eigenen Angaben fündig geworden. Man habe 891 Fragmente aus mehr als 120 Quellen entdeckt. In dieser Statistik fehlten noch die Textstellen, die Guttenberg aus Berichten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages übernommen habe. Diese sollen bald nachgetragen werden.

Die Universität Bayreuth hatte Guttenberg vergangene Woche - nach seiner eigenen Bitte - den Titel abgenommen. Zugleich wird aber weiter geprüft, ob sich der 2006 zum Doktor ernannte CSU-Politiker der absichtlichen Täuschung schuldig gemacht haben könnte. Guttenberg sprach sich am Dienstag klar dafür aus, die Vorwürfe rund um seine Doktorarbeit auch strafrechtlich zu überprüfen. Dies sei im öffentlichen aber auch seinem eigenen Interesse. Die entsprechenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen urheberrechtlicher Fragen sollten "zeitnah" geführt werden.

Nachfolge noch völlig unklar
Wer die Nachfolge Guttenbergs antritt, war am Dienstag völlig unklar. Beobachter schlossen nicht aus, dass es zu einem größeren Revirement in der deutschen Regierung kommt. Dabei könnte die CSU, der Guttenberg angehört, das Verteidigungsministerium gegen ein anderes Ministerium abgeben. Dann könnte das Verteidigungsressort auch ein CDU-Politiker übernommen.

Merkels Koalitionspartner, FDP-Chef Guido Westerwelle, stufte die Rücktrittsentscheidung Guttenbergs am Dienstag als folgerichtig ein. "Das ist eine Entscheidung der Konsequenz", sagte der Vizekanzler und Außenminister. Für Westerwelle ist die Regelung der Nachfolge jetzt Sache der Union. Er st

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