Klimakrise in der Bundesregierung: Vor ihrem Sommerurlaub spricht die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler (43) mit Conny Bischofberger über Mythen und Fakten, Verzicht und Veränderung und ihre Waffen im Kampf gegen Neinsager und Steinzeit-Argumente.
In der Glaskabine des Lifts hinauf auf den Grazer Schlossberg fällt Leonore Gewesslers Blick auf „die höchste Underground-Rutsche der Welt“ im Inneren des Berges. „Vielleicht rutsche ich den Weg hinunter“, lacht die Ministerin übermütig, sie ist schon in Urlaubslaune. Auf der Terrasse des „Aiola Upstairs“ beim Uhrturm lässt sie ihren Blick über die Stadt schweifen und zeigt Richtung Südosten. „Ich bin da drüben, in St. Marein, aufgewachsen“, erzählt sie, „und hier heroben habe ich meinen Maturaball gehabt. Das ist auch schon 26 Jahre her.“
Zum „Krone“-Termin ist sie mit dem Postbus gekommen. Gewessler spricht Steirisch, „man passt sich offenbar automatisch der Umgebung an“, ist sie selber erstaunt und füllt ihr Glas mit kaltem Leitungswasser. Die Sonne brennt vom Himmel und wir sind schon mitten im Thema.
„Krone“: Die Unwetter und Überflutungen der letzten Wochen, die extreme Hitze dazwischen: Ist das alles dem Klimawandel geschuldet?
Leonore Gewessler: Ganz eindeutig. So wie sich alle Wissenschaftler einig sind, dass Rauchen unserer Gesundheit schadet, so sind sich auch alle einig, dass sich die Klimaveränderungen immer mehr beschleunigen. Angeheizt wird das alles durch den Menschen. Deshalb haben es auch wir in der Hand, diese Entwicklung zu stoppen und sicherzustellen, dass wir auch in Zukunft auf diesem Planeten gut leben können.
Was sagen Sie jenen, die behaupten, dass es diesen Wandel des Klimas schon immer gegeben hätte?
Dass sie leider Unrecht haben.
Ist es noch fünf vor zwölf oder ist es schon zu spät?
Ich würde sagen, es ist eine Minute vor zwölf und gerade noch so viel Zeit, dass wir jetzt handeln können. Wir müssen jetzt mutig sein, wir müssen jetzt Veränderungen voranbringen. Die Klimakrise stellt uns vor fundamentale Fragen.
In der Regierung sind sich offenbar nicht alle so einig. Der Kanzler hat Ihre Evaluierung aller Straßenprojekte kritisiert und davor gewarnt, in die Steinzeit zurückzufallen. Der FPÖ-Chef spricht sogar von „Klimadikatatur“. Haben Sie erwartet, dass der Widerstand so groß sein würde?
Ich habe viele Fragen erwartet, das liegt in der Natur der Sache. Aber am Ende geht es darum, dass wir Ergebnisse liefern. Und genau das machen wir ja. Mit dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs, dem 1-2-3-Klimaticket, dem Erneuerbaren-Ausbaugesetz und vielen weiteren Projekten.
Anders gefragt: Was ist durch Ihren Kopf gegangen, als Sie den Seniorpartner von „Steinzeit“ reden gehört haben?
Ich war ein bisschen verwundert. Denn es geht ja im Gegenteil darum, voran- und nicht zurückzugehen, die Zukunft zu gestalten. Damit unser Land so schön bleibt, damit wir den Wohlstand erhalten können, letztlich geht es ums Überleben. In den letzten zehn, zwanzig Jahren ist einfach viel zu wenig passiert, deshalb müssen wir jetzt Entscheidungen treffen und die Weichen für die kommenden Jahre stellen.
Wir gestalten im Moment Veränderung, das weiß auch die ÖVP. Sie tut sich halt manchmal mit Veränderungen ein bisschen schwerer.
Umweltministerin Leonore Gewessler
Zuletzt hatte man den Eindruck, dass beim Koalitionspartner ein Grundverständnis für diese Weichenstellung fehlt. Teilen Sie diesen Eindruck?
Wir haben ein gemeinsames Regierungsprogramm beschlossen, in dem der Klimaschutz eine zentrale Rolle spielt. Klimaneutralität bis 2040 ist ein großes Ziel. Und die letzten Wochen haben uns gezeigt, wie wichtig es ist.
Wie grün ist Türkis?
(Gewessler rührt in ihrem schwarzen Tee und überlegt.) - Wichtig ist, wie grün am Ende das Ergebnis ist. Ich finde, in den letzten eineinhalb Jahren ist wirklich viel passiert, die Ergebnisse sprechen ja für sich. Aber natürlich sind wir unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Das ist eine Koalition und keine Beziehung. Mein Maßstab ist nicht, wieviel Prozent Grün in Türkis steckt.
Was ist Ihr Maßstab?
Mein Maßstab ist, dafür zu sorgen, dass uns jetzt nicht der Mut verlässt. Dass wir es schaffen, das Leben für die Menschen in diesem Land zu verbessern. Deshalb bin ich Klimaschutzministerin geworden.
Der Kanzler sagt, dass eine Verbesserung auch ohne Verzicht, mit Innovation und Technologie, geht. Geben Sie ihm Recht?
Wir gestalten im Moment Veränderung, das weiß auch die ÖVP. Sie tut sich halt manchmal mit Veränderungen ein bisschen schwerer. Und was den Verzicht betrifft: Niemand wird vermissen, mit dem Auto im Stau zu stehen, niemand wird die hohe Öl- und Gasrechnung vermissen, die Glashaustomaten aus dem Ausland, die eh nie geschmeckt haben.
Im Moment ist es aber leider so, dass Benzinautos noch immer viel billiger sind als E-Autos, genauso wie die Öl- und Gasheizungen. Und viele Menschen können sich Biofleisch gar nicht leisten …
Genau das ist meine Aufgabe in der Politik: Umwelt- und Klimaschutz muss für die Konsumenten das Einfachste, das Leistbarste, das Bequemste und das Modernste sein. Das ist der Auftrag.
Bleibt es bei der Evaluierung der Straßenprojekte?
Ja, wir sind mitten in der Evaluierung. Wir hatten in der abgelaufenen Woche den Welterschöpfungstag, alle Ressourcen des gesamten Jahres sind aufgebraucht. Wir leben auf Pump. Da sagt uns doch der Hausverstand, dass wir aus dem Planeten nicht jedes Jahr noch mehr rauspressen, dass wir nicht auch noch das letzte Stückerl unberührte Natur zubetonieren können. Österreich ist das Land mit der höchsten Pro-Kopf-Anzahl an Straßenkilometern. Und genau deshalb schauen wir uns das ganze Bauprogramm noch einmal an. Aber natürlich werden wir auch in Zukunft Auto fahren, diese Frage stellt sich ja überhaupt nicht. Mein Schwager lebt am Land und arbeitet Schicht. Natürlich werden er und viele andere weiterhin ein Auto brauchen.
Kurz hat schon gesagt, dass es zum Beispiel bei der S18 in Vorarlberg bleibt, und Bürgermeister Ludwig will am Lobau-Projekt auch nicht rütteln. Wie stellen Sie sich das vor?
Ich werde keine Ergebnisse vorwegnehmen, aber vielleicht gibt es ja bessere Alternativen. Bevor wir unwiderbringlich Tatsachen schaffen, sollten wir uns einen Moment Zeit nehmen und uns fragen, ob das alles noch gscheit ist. Deshalb evaluieren wir und werden dann mit dem Ergebnis neue Entscheidungen treffen.
Haben Sie all das einmal mit Sebastian Kurz unter vier Augen besprochen?
Oh ja, immer wieder, am Rande von Terminen und Besprechungen.
Ein Hauptargument unserer Leser gegen ehrgeizige Klimaziele ist: Österreich kann als kleines Land nichts zur Rettung des Klimas beitragen, es entscheiden ganz andere Länder über die Zukunft des Planeten. Was sagen Sie?
Ich sage, dass kein Land zu klein ist, um einen Unterschied zu machen. Wir haben in Österreich schon einmal, beim Nein gegen das AKW Zwentendorf, eine zukunftsweisende Entscheidung getroffen. Es war die richtige Entscheidung. Und genau solche Entscheidungen treffen wir jetzt wieder. So können wir viel bewegen, weil sich auch andere Länder mit uns auf den Weg machen werden. Wenn wir vorne dabei sind, dann können wir auch die Chancen nutzen, die mit Klimaschutz verbunden sind. Unsere Wirtschaft hat längst verstanden, dass es ein Wettbewerbsvorteil ist, wenn man in grüne Produkte investiert. Ich bin oft in Gesprächen mit CEOs. Da habe ich oft den Eindruck, dass die Wirtschaft weiter ist als die Wirtschaftskammer. Da sind viele, die nicht immer Nein sagen und bremsen. Und wir haben im Klimaschutz auch keine Zeit mehr, immer auf die Neinsager zu warten.
Sind die apokalyptischen Bilder, die im Zusammenhang mit der Klimakrise oft verwendet werden, in Ihren Augen legitim?
Wenn man sich die Bilder der letzten Wochen ansieht, rinnt es einem kalt den Rücken runter. Mich persönlich motiviert aber mehr die positive Vision. Der Gedanke an unsere Kinder und Kindeskinder. Ich möchte, dass die Kinder, die heute geboren werden, noch die schöne Natur sehen, die Vielfalt auf den Wiesen und Feldern erleben können, das Gefühl, wenn im Winter die ersten Schneeflocken fallen.
Wenn Sie auf Ihre Amtszeit zurückblicken, was war der schönste und was war der schwierigste Moment?
Darf ich zwei schönste Augenblicke nennen? Ein besonders schöner Tag war der Beschluss des Erneuerbarengesetzes im Parlament. Ich glaube, die Freude hat man mir angesehen. Da ist uns etwas wirklich Großes gelungen. Es war in dem Moment nur ein Stapel Papier, der vor mir lag, mit vielen Paragrafen, aber dieser Stapel wird Österreich verändern und noch besser machen. Und dann hat mir ein älteres Ehepaar aus Vorarlberg geschrieben. Sie haben ihre Ölheizung getauscht und sich für die Förderung bedankt. Die neue Anlage werde sich für sie zwar nicht mehr rechnen, schrieben sie, aber sie wollten etwas Positives für die Kinder und Enkelkinder hinterlassen. Was der schwierigste Moment war, fällt mir jetzt gar nicht ein. Ich glaube, es waren die vielen Unwetterkatastrophen. Das Gefühl, es passiert immer häufiger, immer intensiver, immer bedrohlicher.
Was wird in fünf Jahren sein?
Wahrsagen ist in der Politik schwierig. Es liegt ja auch eine Wahl dazwischen. Ich würde mir wünschen, dass die Grünen erneut in der Regierung sind, weil es für die riesigen Aufgaben, für die großen Fragen unserer Zeit - Klima, Pandemie, Justiz, Soziales - die Grünen einfach braucht.
Wird die Grünen-Chefin dann Leonore Gewessler heißen?
(Sie lächelt, als hätte sie schon öfter von dieser Idee gehört.) - Die Grünen haben einen wunderbaren Chef, er heißt Werner Kogler, übrigens auch Steirer, und ich hoffe, er macht es noch sehr lange.
Umwelt- und Klimaschutz muss für die Konsumenten das Einfachste, das Leistbarste, das Bequemste und das Modernste sein. Das ist der Auftrag.
Umweltministerin Leonore Gewessler
Könnten Sie es sich vorstellen?
Die Frage stellt sich nicht, ich habe einen wunderbaren Job und bin glücklich da, wo ich bin.
Das war jetzt eine typische Politikerinnen-Antwort.
Stimmt. Ich gebe ehrlich zu, dass ich auf diese Frage nicht vorbereitet war.
Bei Ihrem „Krone“-Antrittsinterview im Jänner 2020 haben Sie gesagt: „Ich gehe ohne Panzer in die Politik hinein und würde auch gerne wieder ohne Panzer rauskommen.“ Haben Sie sich mittlerweile einen Panzer zulegen müssen?
Nein und ich glaube auch nicht, dass ein Panzer in der Politik guttut. Natürlich ist Politik anstrengend, aber mich motiviert das Ziel. Natürlich gibt es Tage, wo man sich nicht wohlfühlt, aber wenn ich mich wohlfühlen will, dann gehe ich mit meinem Mann frühstücken oder mit Freundinnen auf einen Drink. (Lacht.) - Es geht auch in der Politik darum, berührbar zu bleiben, Menschen zuhören zu können. Das geht ohne Panzer besser und das gibt immer wieder sehr viel Kraft.
Geboren am 15. September 1977 als Tochter eines Landarztes in Graz, eine jüngere Schwester. Studium der Politikwissenschaften. 2006 fängt sie als Büroleiterin des Grünen-Büros in Wien-Neubau an. 2008 bis 2014 ist sie in Brüssel bei der Green European Foundation des Europäischen Parlaments, die sie als Direktorin mitgegründet hat. Ab 2014 leitet sie fünf Jahre lang die Umweltorganisation Global 2000. Seit 2019 Parteimitglied bei den Grünen, seit Jänner 2020 Umweltministerin. Verheiratet mit Herbert Greisberger, Geschäftsführer der Energie- und Umweltagentur NÖ, keine Kinder.
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